Ann Jarvis: Der Muttertag war ihr Werk
Archivmeldung vom 09.05.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer weltweit gefeierte Muttertag ist der amerikanischen Werbeleiterin Ann Jarvis (1864-1948) aus Philadelphia zu verdanken. Die ehemalige Lehrerin, die später zur Werbung umschwenkte, machte sich nach dem Tod ihrer Mutter immer wieder Vorwürfe, der Verstorbenen zu deren Lebzeiten nicht genug Liebe entgegengebracht zu haben.
Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass man den Muttertag zuerst in den USA und später auch anderswo eingeführt hat.
Ann Jarvis wurde am 1. Mai 1864 als Tochter eines Methodistenpredigers in West Virgina
geboren. Ihre Mutter hatte elf Kinder zur Welt gebracht, sich ihr Leben lang –
vor allem für die Mütter – sozial engagiert und wiederholt den Wunsch nach einem
„Memorial Mother’s Day“ geäußert. Ann war noch keine zwei Jahre alt, als ihre
Eltern nach Grafton bei Webster (West Virginia) zogen. Nach dem Tod des Vaters
1902 zogen die Mutter, Ann und ihre Schwester Lillie nach Philadelphia
(Massachusetts).
Schon zu Lebzeiten ihrer Mutter kämpfte Ann Jarvis für
die Rechte der unterdrückten und entrechteten Frau. Dies bedeutete damals, dass
man sie in der Öffentlichkeit, teilweise auch bei ihren Geschlechtsgenossinnen,
nicht so recht für voll nahm. Sie selbst machte sich lächerlich und man machte
sich über sie lustig, doch bei ihrer Mutter fand sie viel Rückhalt und
Unterstützung.
Am 12. Mai 1907, dem zweiten Sonntag nach dem Todestag
ihrer am 9. Mai 1905 gestorbenen Mutter, hielt Ann Jarvis mit Freunden eine
private Gedenkfeier ab und regte dabei erstmals im kleinen Kreis an, man solle
auch den lebenden Müttern einen Ehrentag widmen. Ein Jahr später – am zweiten
Maisonntag 1908 – ließ sie die Gedenkfeier als offiziellen Gottesdienst
wiederholen.
Einer der ersten Prominenten, dem die unverheiratete und
kinderlose Ann Jarvis ihre Idee vortrug, jeweils am zweiten Sonntag im Mai
sollten alle Menschen ihre Mütter durch einen Besuch, Blumen und ein kleines
Geschenk besonders ehren, war der Bürgermeister von Philadelphia. Er hörte
aufmerksam zu, fand diesen Gedanken gut, betrachtete sich aber dafür nicht
zuständig.
Der Verlauf des Gespräches mit dem Bürgermeister erweckte in
Ann Jarvis eine unglaubliche Energie. Zuhause angekommen, begann sie einen
gigantischen Werbefeldzug, der etliche Jahre dauerte. Sie schrieb mit der Hand
mehr als 100000 Briefe an Gouverneure, Industrielle, Frauenvereine, Geistliche
und Abgeordnete, sprach mit wichtigen Persönlichkeiten, hielt zahlreiche
Vorträge über die Befreiung der Frau und gab Broschüren heraus. Auf diese Weise
opferte sie allmählich ein Vermögen für Porto und Reisen.
Der erste
Erfolg für Ann Jarvis stellte sich ein, als man in Charleston (Virginia) den
Muttertag einführte, bald folgte der US-Bundesstaat Pennsylvania diesem
Beispiel. Später erklärten sich zwei Abgeordnete aus Alabama und Texas bereit,
dem Kongress in Washington einen Antrag vorzulegen, für alle Bundesstaaten der
USA den „Mother’s Day“ (Muttertag) zu empfehlen.
1912 führte die
„General Conference of the Methodist Episcopal Church“ den Muttertag als
kirchlichen Feiertag ein. Am 10. Mai 1913 beschloss der amerikanische Kongress,
künftig solle in jedem Jahr am zweiten Sonntag im Mai offiziell der Muttertag
begangen werden. Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson (1856–1924)
unterzeichnete das entsprechende Gesetz.
In den USA wurde der Muttertag
erstmals als „General Memorial Day of all Mothers“ am 9. Mai 1914 gefeiert.
Damit war eigentlich das Lebenswerk von Ann Jarvis gekrönt. Doch der Erfolg in
den USA spornte sie an, ihre Idee in allen Ländern der Erde zu verwirklichen.
Mit dem amerikanischen Muttertag konkurrierte anfangs in England der
dort bereits seit dem 16. Jahrhundert nachweisbare „Mothering Sunday“ an
Mitfasten – Lätare bzw. vierter Fastensonntag –, den ein „Mothering Sunday
Movement“ wiederbeleben wollte. Durch die Heilsarmee setzte sich 1917 der
Muttertag in der Schweiz durch, 1918 führte man ihn in Norwegen und 1919 in
Schweden ein.
In Deutschland beschloss 1922 der Verband der
Blumenhändler, eine Werbekampagne für den Muttertag zu starten. Außerdem traten
volkserzieherisch und bevölkerungspolitisch engagierte Verbände wie der
„Reichsbund der Kinderreichen zum Schutze der Familie“ für diesen Gedenktag ein.
Entscheidend dafür war auch der Gedanke, die Leistungen und Opfer der Mütter
während des Ersten Weltkrieges (1914–1918) für das Land zu würdigen.
Presse und Rundfunk in Deutschland unterstützten das Vorhaben. In einem
Leitartikel aus jener Zeit hieß es, der Muttertag wäre ein trefflicher
Bundesgenosse gegen die Verrohung, Verflachung und Entseelung der Zeit. Die der
katholischen Kirche nahestehende Presse dagegen äußerte sich zurückhaltend und
befürchtete, ein derartiges profanes Fest könnte das öffentliche Leben weiter
„entchristlichen“.
Am 13. Mai 1923 fand der schöne Brauch des Muttertags
auch in Deutschland Eingang. Die Bevölkerung nahm die neue Idee anfangs zögernd
an. Es dauerte Jahre, bis sich der Brauch durchsetzte. Offiziell wurde der
Muttertag in Deutschland 1933 eingeführt und in den Dienst der
nationalsozialistischen Sache gestellt. Als Höhepunkte galten später die
Muttertagsfeiern, in denen Mütter mit vier und mehr Kindern das „Ehrenkreuz der
Deutschen Mutter“ erhielten.
Ann Jarvis nahm an, der Muttertag würde dem
Gedanken der Gleichberechtigung der Frau nützen. Doch bald spürte sie, dass der
Muttertag das Bild der Frau erneut und sogar umfassender einengte. Die Mutter
als Symbol der Häuslichkeit, des Friedens in der Familie, der Aufopferung für
Kind und Mann, gewann mit zunehmender Kommerzialisierung dieses Tages fast
kindlich-naive, zumindest „entmündigte“ Züge.
Ann Jarvis sah in der
einseitigen kommerziellen Ausschlachtung des von ihr ideell gedachten
Muttertages eine grobe Verfälschung ihres Anliegens. Sie prozessierte deswegen
und verlor dabei ihr gesamtes Vermögen. Völlig mittellos und vor Hunger
entkräftet wurde sie von Frauen, die sich an sie und ihren Kampf um ihre Rechte
erinnerten, in einer zugigen Dachkammer aufgestöbert. Diese Besucherinnen
kümmerten sich darum, dass sie ihren Lebensabend in einem Altersheim verbringen
konnte.
1946 fragte ein Reporter die 82-jährige Ann Jarvis, ob sie glücklich darüber sei, dass sich der Muttertag weltweit durchgesetzt hat. Ihre Antwort lautete: „Ich bin glücklich und unglücklich zugleich. Mein Sieg ist zugleich auch meine Niederlage geworden. Es sollte ein Tag des Herzens und kein Tag des Geldbeutels sein!“ Die zuletzt blinde Ann Jarvis starb am 24. November 1948 im Alter von 84 Jahren in West Chester (Pennsylvania) in einem Armenhaus.
Im Todesjahr von Ann Jarvis wurde der Muttertag bereits in mehr als 40 Ländern am zweiten Maisonntag gefeiert. In der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) beging man den Gedenktag offiziell am „Internationalen Frauentag“ jeweils am 8. März. Dagegen fand der Muttertag in der Bundesrepublik Deutschland bald zu seinen gewohnten Inhalten und Formen zurück.
Quelle: Pressemitteilung Verlag Ernst Probst zum Taschenbuch "Superfrauen 11 - Feminimus und Familie" von Ernst Probst