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Immer im Aufbruch: Mobilität spielt in allen Kulturen und zu allen Zeiten eine entscheidende Rolle

Archivmeldung vom 20.12.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.12.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bild: J Jünger / pixelio.de
Bild: J Jünger / pixelio.de

Die Geschichte der Menschheit im globalen Maßstab ist eine Geschichte ihrer Bewegung im Raum: Männer und Frauen, Verwandtschaftsgruppen, Berufsgruppen und ganze Völker waren stets bereit, aufzubrechen, neue Räume zu erschließen und andere Orte zu erkunden. „Mobilität ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung von Kultur“, so der Frankfurter Ethnologe Prof. Hans Peter Hahn in seinem Übersichtsartikel zu Formen der Mobilität in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Forschung Frankfurt“ (2/2013).

Das Konzept der Sesshaftigkeit ist dagegen eine relativ neue Erfindung der Menschheit, auch die Idee einer Nation, deren Kultur mit dem dauerhaft bewohnten Lebensraum eng verbunden ist. Beides entspringt neueren Vorstellungen, die wenig mit einer grundlegenden Disposition der Menschen zu tun hat: unterwegs zu sein, Neues zu entdecken und die Welt zu erfahren. „Die Vorstellung, eine Gesellschaft aufgrund ihrer Mobilitätsmuster zu beschreiben, steht damit in einem grundsätzlichen Widerspruch zur Idee der Nation“, erläutert Hahn und beschreibt das in der Kulturanthropologie seit über 20 Jahren verwendete Konzept des Transnationalismus: Es erklärt, wie Menschen zwischen Nationen und Staaten leben, indem sie an Orten beiden Ländern eine sozial verankerte Identität entwickeln und bewahren – ein Beispiel sind türkische Migranten, die in Deutschland leben, aber auch ihre familiären und sozialen Beziehung in ihrem oder dem Herkunftsland ihrer Eltern pflegen. Die Idee des Transnationalismus sieht nicht mehr die Verwurzelung als Basis der Identität, sondern die Kompetenz, an zwei ganz verschiedenen Orten am sozialen Leben teilzuhaben.

Der Frankfurter Ethnologe, der vor allem in Westafrika forscht, erläutert in seinem Beitrag auch, was wir über andere Kulturen, ihre Gesellschaftsstrukturen und Normen erfahren können, wenn wir beobachten, wie und welche Menschen sich im Raum bewegen. In vielen Kulturen haben die Männer beispielsweise einen größeren Bewegungsradius als Frauen. Für Ethnologen ist es auch aufschlussreich, Rhythmen der Mobilität zu analysieren, um mehr über Gesellschaften zu erfahren als statische ökonomische und soziale Daten hergeben. Hahn nennt zwei Beispiele: Was bedeutet es zum Beispiel für Familien, wenn Wege zwischen der Wohnung am Stadtrand und der Innenstadt immer mehr Zeit in Anspruch nehmen? Wie bewerten Pendler die Zeit, die sie im Auto oder in der U-Bahn verbringen?

In der Ethnografie der Mobilität spielt der Begriff „Chronotopos“ eine wichtige Rolle. „Man kann Gesellschaften sehr gut beschreiben, indem man den zeitlichen Verlauf von Bewegungen an bestimmten Orten in der öffentlichen Sphäre dokumentiert. Jeder Ort kann mithin als Chronotopos gesehen werden; das Chronotopos ist durch die Zahl der sich dort aufhaltenden Menschen charakterisiert, durch deren räumliche Bewegung, durch ihre Reiseziele und nicht zuletzt durch die erwartete Dauer des Aufenthaltes am Ziel“, erklärt Hahn. Ethnologen haben eindringliche Studien zu Chronotopen vorgelegt, zum Beispiel zur U-Bahn (Marc Augé) oder zu Autobahn-Raststätten (Julio Cortazar und Carol Dunlop). Die Fallstudien fragen nach der Funktion dieser „Orte der Bewegung“ – nach den Erwartungen, die Menschen mit den Orten und mit ihrem Aufenthalt dort verbinden. Dazu Hahn: „Bestimmte Chronotopen (Flughäfen, Bahnhöfe, Fußgängerzonen, Autobahnraststätten) sind mit bestimmten technischen Modalitäten der Bewegung verbunden. Aber ihnen sind auch bestimmte soziale Gruppen, deren ökonomische Möglichkeiten und deren Wissen zuzuordnen.“

In dem Beitrag des Frankfurter Ethnologen zu Formen der Mobilität geht es auch darum, wie die reale mit der virtuellen Mobilität verknüpft ist. Noch ist nicht umfassend erforscht, ob in Zukunft diese beiden Mobilitätsformen wirklich ineinander übergehen. Kann ein – via Skype – gemeinsam verbrachtes Frühstück bzw. Abendessen für verschiedene Familienangehörige in Dehli und London als eine „geteilte Alltagserfahrung“ gelten? Aktuelle Forschungen zur Mobilität beschäftigen sich mit der Entwicklung eines neuen Konzepts der virtuellen Ko-Präsenz.

Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main (idw)

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