HIStory: Was ist Faschismus?
Archivmeldung vom 27.05.2023
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićHerzlich willkommen zu einer neuen Folge von HIStory! Heute befassen wir uns mit der Frage: ist der Begriff „Faschismus“ überhaupt noch für irgendetwas zu gebrauchen? Diese Frage, ob der Begriff Faschismus aufgrund des inflationären Einsatzes als Kampfkeule in politischen Auseinandersetzungen nicht längst verbraucht und deswegen auch mittlerweile vollkommen sinnentleert ist, stellt sich immer öfter. Dies schreibt Hermann Ploppa auf "apolut".
Weiter berichtet Ploppa: "Jeder bewirft jeden mit dem Begriff „Faschist“. Was soll das noch bedeuten? Besonders absurd wird das, wenn gewaltaffine junge Leute in schwarzer Faschisten-Montur sich als „Anti-Faschisten“ bezeichnen und durch die Brandmarkung ihrer Diffamierungsopfer als „Faschisten“ sich das Recht herausnehmen, jede nur denkbare Gewalttat mit reinem Gewissen zu begehen.
Wer immer die Kultur des politischen Establishments in irgendeiner Weise zu kritisieren wagt, wird für vogelfrei erklärt und darf straffrei diffamiert und gequält werden. Denn als vermeintlicher Faschist ist das so markierte Opfer ja gleichzusetzen mit Holocaust-Verbrechern. Zumindest seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges ist dieser selbsterklärte Antifaschismus komplett desavouiert. Denn die so genannten Antifaschisten solidarisieren sich ungeniert mit den Bandera-Faschisten, die sich stolz mit Hakenkreuzen und SS-Runen fotografieren lassen. Ein derart zur Farce gewordener faschistischer Antifaschismus kann keinen Anspruch mehr erheben, in irgendeiner Weise ernst genommen zu werden.
Doch auch die von den Berufs-Antifaschisten aufs Korn genommenen Konservativen und Rechtspopulisten schwingen die begriffliche Faschismus-Keule und machen den inflationierten Faschismus-Begriff noch inhaltsloser. Da schimpfen rechte Eiferer gegen einen „linksgrün versifften Ökofaschismus“, der die glücklichen Autofahrer mit Geschwindigkeitsbegrenzungen versklaven will. Der aus der SPD geworfene Stimmungsmacher Thilo Sarrazin wiederum verzückt seine Fans mit Horrorvisionen eines aufkommenden „Islamfaschismus“. Offenbar sind wir von Faschisten aller nur denkbaren politischen Färbungen nur so umzingelt. Es sind noch viele Komposita vakant; wie wäre es mit „Ekstase-Faschist“, „Kontra-Faschist“. Ein Begriff verkommt zur leeren Hülse. Und vor allen Dingen bringen wir das durchaus wichtige Wort Faschismus mit derlei törichtem Geplapper schnell zur Strecke. Vielleicht geschieht diese alberne Faschismus-Inflationierung nicht ganz absichtslos? Was machen wir denn, wenn tatsächlich mal wieder ein „echter“ Faschismus gestiefelt und gespornt entgegentritt? Wenn der Faschismus wieder Millionen Menschen auf das Schlachtfeld jagt, und weitere Millionen Menschen in Konzentrationslagern auf Haut und Knochen herunterfoltert? Hier hilft nur, uns den eigentlichen Inhalt des Wortes Faschismus nahezubringen. Und dann mit mehr Respekt vor der Sprache daherzukommen.
Fangen wir damit an. Destillieren wir den unverfälschten Faschismus. Da gab es den ehemaligen Sozialisten Benito Mussolini. Der wollte sein Italien wieder zu jener Weltgeltung emporheben, die die Urahnen mit dem Römischen Imperium dereinst gestemmt hatten. Das konnte Mussolini sich nur vorstellen durch ein hartes Regime. Da war auch die körperliche Züchtigung durch ein Rutenbündel, das so genannte fascis <1>, nach seiner Ansicht unerlässlich. Im antiken Rom der republikanischen Phase schützten die Leibwächter unbeliebter Politiker, die so genannten Liktoren, ihre Herren durch ein Rutenbündel, an dessen Spitze sich eine Axt befindet. Das machte jedem Bürger aus der römischen proles unmissverständlich klar: wer einfach nur den Politiker beschimpft oder ihn mit faulen Tomaten bewirft, bekommt eine milde Ermahnung mit dem Schlag der zusammengesteckten Rute. Wer aber dem Politiker nach dem Leben trachtet, dem wird das eigene Leben durch einen Streich mit der Axt genommen. Genau diese Botschaft wollte Mussolini seinen Gegnern vermitteln. Und so gab er seiner Bewegung den Namen Faschismus. Zudem übernahm er aus der antiken Tradition den Saluto Romano. Bei den Nazis wurde dieser ausgestreckte Arm als Hitlergruß oder auch anmaßender als Deutscher Gruß übernommen. Mussolini modellierte eine synthetische „Bewegung“ mit den typischen Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit man von Faschismus mit Fug und Recht sprechen kann: zum Faschismus gehört eine synthetische Weltanschauung, die für sich selber die absolute Allgemeingültigkeit beansprucht und diese Allgemeingültigkeit mit tödlicher Gewalt durchsetzt. Zum anderen gehört zum Faschismus eine paramilitärische Organisation, die jenen Anspruch auch gewaltsam durchsetzt. Zudem finden wir im Faschismus die Blitzableiterfunktion: der Zorn auf korrupte Eliten wird abgeleitet auf wehrlose Minderheiten. Nur wenn alle diese Kriterien erfüllt sind, kann man wirklich von Faschismus sprechen.
Betrachten wir einmal den Faschismus in seinem historischen Zusammenhang. Im Jahre 1905 kam es in Russland beinahe zu einer Revolution. Das Machtkonglomerat aus Zarenhaus und orthodoxer Kirche hatte im Laufe der Jahrzehnte dringend überfällige Reformen durch härteste Repression verhindert. 1905 platzt dann der Deckel. Da eine ständige weitere Verschärfung der staatlichen Repression nicht mehr möglich war, erfand der zaristische Geheimdienst Ochrana die synthetische „Volksbewegung“ der Schwarzen Hundert. Frustrierte verängstigte Kleinbürger, aufgehetzt von den Predigten der orthodoxen Popen, ließen ihrer Wut freien Lauf gegen wehrlose jüdische Mitbürger in den Ghettos von Odessa.
Im Ersten Weltkrieg hatte der amerikanische Präsident seine Wiederwahl gewonnen mit dem hochheiligen Versprechen, die USA herauszuhalten aus dem Völkerschlachten in Europa. Kaum ist er ein zweites Mal vereidigt, erklärt er Deutschland den Krieg. Gegen eine solche Drehung um hundertachtzig Grad erhebt sich verständlicherweise massiver Widerstand in der amerikanischen Bevölkerung. Die Regierung reagiert, indem sie von null auf hundert den ersten industriellen Totalen Krieg in Gang bringt. Der neu installierte Council on Public Information agiert de facto als Propagandaministerium: Deutschland und die Deutschen werden als Feind in Bausch und Bogen dämonisiert. Differenzierte Zwischentöne werden nicht mehr geduldet. Eine zentrale Regierungsbehörde kommandiert die US-Ökonomie quasi als Planwirtschaft. Trotzdem schießen pazifistische und sozialistische Organisationen wie Pilze aus dem Boden. Darauf muss mit synthetischen paramilitärischen Schocktruppen reagiert werden, die die Pazifisten gewaltsam niederschlagen. Der Ku Klux Klan, der bereits in den 1890er Jahren sanft entschlafen war, wird reaktiviert, und auch die Veteranenorganisation American Legion wird zu einer Schläger- und Streikbrechertruppe umfunktioniert <2>. Auch nach dem Ersten Weltkrieg terrorisieren der synthetische Ku Klux Klan und die American Legion amerikanische Städte. Damit wird die Funktion faschistischer Organisationen deutlich: sie sind Dienstleistungsunternehmen zur reibungslosen Durchführung des modernen Totalen Krieges. Weltanschauungen variieren, je nach geopolitischer Konstellation und Komposition der einbezogenen Bevölkerungskreise. Meistens entsteht ein Flickenteppich zusammengestoppelter Weltanschauungen. Ideologie ist im Faschismus nicht wirklich entscheidend. Da gibt es ein Parteiprogramm für die Menschen draußen im Lande. Das kann aber in der Praxis durchaus vernachlässigt werden.
Die Entwicklung des Faschismus in Europa ist auch zu verstehen als Korrektur gewisser Fehler, die im Ersten Weltkrieg von den Strategen gemacht wurden. Zum Einen kamen die Strategen des Militarismus in Deutschland zu dem Schluss, man hätte ja den Krieg auf dem Schlachtfeld gewinnen können, wenn nicht „linke Störer“ die logistische Hintergrundarbeit durch Streiks massiv behindert hätten. Diese so genannte „Dolchstoßlegende“ war selbstverständlich zu einem großen Teil ein perfides Lügenkonstrukt, um vom Versagen der Militärs um Ludendorff und Hindenburg abzulenken. Zum anderen müssen aber die Industriearbeiter an der „Heimatfront“ unbedingt bis zum bitteren Ende ihre „Pflicht“ tun. Das heißt: Waffen produzieren ohne zu murren.
In der nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Reichswehr versuchten die Strategen, den Militarismus viel tiefer als bisher in der Bevölkerung zu verankern. Zum einen wurde an paramilitärischen Truppen gebastelt. Ein Ergebnis war die Einheit unter Ernst Röhm, die später zum Nucleus der SA wurde. Zum anderen müsse man auch Massenorganisationen aus dem Boden stampfen, die die unteren Gesellschaftsschichten begeistern für einen kommenden Krieg. Dazu müsse man die amerikanischen Propagandatechniken <3> übernehmen und zum anderen Plagiate sozialistischer Parteien ins Leben rufen, die in die Milieus des Widerstandes einbrechen und den Sozialisten und Kommunisten den Wind aus den Segeln nehmen. Folglich wurde der Gefreite Adolf Hitler beauftragt, englische Propagandatexte zu studieren und Ausschau zu halten nach einer geeigneten Partei, die man für die eigenen Zwecke kapern konnte. Das Ergebnis ist als NSDAP bekannt.
Benito Mussolini kam selber aus der sozialistischen Bewegung. An seinem Beispiel kann man deutlich die Funktion des Faschismus als Garanten des Totalen Krieges beobachten. Denn Mussolini mutierte in dem Augenblick zum Faschisten, als der englische Auslandsgeheimdienst MI5 ihn in seine Dienste nahm und Mussolini pro Woche den zu jener Zeit beträchtlichen Sold von 100 englischen Pfund auszahlte. Seine Gegenleistung: er sollte die Kriegsunwilligkeit der italienischen Arbeiter und Bauern brechen und eine reibungslose Zuarbeit für die Kriegsanstrengungen der Alliierten gegen die Achsenmächte garantieren. Mussolini aktivierte paramilitärische Schlägertruppen, hielt ganze Städte unter seiner Herrschaft und garantierte damit die reibungslose Produktion für den Krieg der Alliierten <4>. Und der Faschismus ist keineswegs rückwärtsgewandt. Die Gewaltverherrlichung geht einher mit einer Anbetung neuer Technologien. Der Futurist Filippo Tomaso Marinetti pries die entfesselte Kraft der Rennautomobile und trommelte für Mussolini. Ernst Jünger konnte dem „Stahlgewitter“ des Schlachtfeldes durchaus Faszination abgewinnen. Der moderne Faschismus fand seine Stahlgewitterkrieger in jenen jungen Männern, die in den Schützengräben über Jahre hinweg jegliche Empathiefähigkeit eingebüßt hatten und sich jetzt nur noch an der „Lust an der Zerstörung“ (Ernst von Salomon) weiden konnten <5>.
Faschistische Organisationen waren nun in allen europäischen und amerikanischen Staaten präsent. Meistens dienten sie als eiserne Reserve, um im Bedarfsfall der Agenda ihrer nationalen Eliten Nachdruck zu verleihen. In den USA kamen die Silver Shirts zu Ku Klux Klan und American Legion hinzu. In Frankreich machte die Truppe Croix de Feu Furore. Eine direkte Nachbildung des Ku Klux Klan. In Rumänien wütete die Eiserne Garde.
Jedoch nur in Deutschland, Italien und Spanien erlangten die Faschisten Regierungsgewalt. In Deutschland mussten massive Widerstände der Bevölkerung durch schmutzige Manöver gebrochen werden <6>. Nach der Machtergreifung der Nazis konnte Deutschland ungestört auf den Totalen Krieg gegen die Sowjetunion vorbereitet werden. Italien wurde durch einen Megakredit der Wall Street in Höhe von 100 Millionen Dollar bereits in den 1920er Jahren fit gemacht für den kommenden Krieg <7>. Dank des totalen Zugriffs der Faschisten auf die Bevölkerung konnten Deutschland und Italien in Duldungsstarre in den Zweiten Weltkrieg geführt werden. Wäre die deutsche Bevölkerung tatsächlich begeistert gewesen von den Nazis, hätte es nicht mehrerer Millionen SA-Söldner bedurft, um den Willen der Nazi-Hierarchen durchzusetzen.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Mission der faschistischen Regierungen erfüllt. Faschistische Organisationen waren jetzt in die Ersatzreserve zurückgedrängt. Dem Faschismus wurde eine neue Funktion als Propagandakeule im Kalten Krieg zugeteilt. Denn nach dem Grauen des Holocaust konnte der Faschismus nicht mehr offen gefeiert werden. Und so begann jeder, der seinen Gegner zum Schweigen bringen wollte damit, ihn als „Faschisten“ zu etikettieren. Das veranlasste George Orwell, der später mit seinen Romanen „Farm der Tiere“ und „1984“ Weltruhm erlangen sollte, zu der genervten Frage: was ist (eigentlich) Faschismus? <8>
Sozialdemokraten werden von Kommunisten als „Sozialfaschisten“ bezeichnet; Sozialdemokraten bezeichnen Kommunisten als Faschisten; Trotzkisten werden als Faschisten bezeichnet und geben den Ball weiter an die Stalinisten. Und so weiter und so fort. Orwell kommt zu der Schlussfolgerung: „Es wird sich erweisen, dass das Wort ‚Faschismus‘ in dieser Anwendung weitgehend bedeutungslos geworden ist. Und im persönlichen Gespräch wird das Wort noch weitaus wilder eingesetzt als in gedruckter Form. Ich habe gehört, wie es angewandt wurde gegen Bauern, Ladenbesitzer, Sozialkassen, Körperliche Strafen, Fuchsjagd, Stierkampf … Rudyard Kipling, Mahatma Gandhi, Tschiang-Kai-Scheck, Homosexualität … Jugendherbergen, Astrologie, Frauen, Hunde, und was nicht noch alles sonst.“
Eine weitere Entwertung des Begriffs Faschismus ergab sich zudem nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Erfindung der so genannten Totalitarismustheorie <9>. Um eine erneute Mobilisierung aller Kräfte, nunmehr gegen die Sowjetunion, auf den Weg zu bringen, musste die Behauptung installiert werden, Nationalsozialismus oder Faschismus und auf der anderen Seite Sowjetkommunismus seien vom Wesen her das Gleiche. Nachdem der freie Westen nunmehr erfolgreich den Hitlerfaschismus niedergerungen hatte, war es jetzt sittlich geboten, auch noch die andere Spielart des Totalitarismus, den Kommunismus in einem Krieg niederzuringen. Gewisse phänomenale Übereinstimmungen von Nazismus und Kommunismus wurden kurzerhand zum Beweis ihrer kompletten Gleichartigkeit. Damit war einer präzisen Begriffsbestimmung des Faschismus endgültig der Riegel vorgeschoben.
Kehren wir in die Hitze der gegenwärtigen Debatte zurück. Im Spektrum politischer Parteien in Deutschland gibt es die NPD. Diese Partei entspricht den oben genannten Kriterien. In ihrer Blütezeit in den späten 1960er Jahren unterhielt die NPD eine paramilitärische Schlägertruppe, die faschistische Veranstaltungen auch gegen den massiven Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen im Stande war. Und immer waren staatliche Stellen und Konzerne als diskrete Strippenzieher im Hintergrund präsent. Das führte zu der absurden Situation, dass ein Verbot der NPD nicht möglich war, weil nicht genau bestimmt werden konnte, was bei den Aktivitäten der Nationaldemokraten von der Basis der NPD stammt und was von eingeschleusten Mitarbeitern des Verfassungsschutzes eingebracht worden war.
Gerne diffamieren die pseudolinken Antifaschisten die Mitglieder der Alternative für Deutschland als „Faschisten“. Hier hilft eine einfache Frage weiter: marschieren paramilitärische Schlägerbanden mit Knobelbechern durch deutsche Städte und schützen Höcke, Gauland und Co? davon ist nichts bekannt. Die AfD reagiert bislang nicht einmal mit Vergeltung auf Attacken auf ihre Mitglieder oder die Verbrennung ihrer privaten Automobile. Die AfD verhält sich auffällig passiv gegenüber ihren ärgsten Widersachern, den selbsternannten Antifas und Antideutschen. Und das Online-Magazin Telepolis kommt zu dem Schluss: „Die AfD ist eine zeitgenössische Rechtspartei und kein Wiedergänger der NSDAP.“ <10> „Alternative“ ist zudem ironischerweise ein Plagiat aus der linken Subkultur vergangener Jahrzehnte. Es gab alternative Landwirtschaft, alternative Wohngemeinschaften oder alternative Einkaufsgenossenschaften im linken Milieu, lange bevor es die Alternative für Deutschland gab. Doch die Ironie der Geschichte geht noch weiter: Geführt wird die AfD nämlich von einem durch Geschlechterproporz ermittelten Duo, dessen weiblicher Teil von einer bekennenden Lesbierin besetzt ist. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind in dieser Partei aktiv. Die Grünen könnten die AfD von daher glatt auf Plagiat verklagen.
Eine Interpretation der AfD oder ihres neurechten Umfeldes nach dem uralten Muster aus den 1930er Jahren ist nicht nur grotesk. Es entsteht der Eindruck, dass mit diesen anachronistischen Interpretationsmustern ein echtes Verstehen der Gefährlichkeit moderner rechter Gruppierungen verdunkelt werden soll. Hier wird mit inhaltsleeren Versatzstücken eine Art geistiger Bürgerkrieg angefacht. Mit der Faschismus-Keule wird ein freies ergebnisoffenes Nachdenken über die Fehlentwicklungen der letzten Jahre schon im Keim unterbunden.
Ich möchte noch ein paar ketzerische Gedanken in die Debatte werfen. Ich hatte vor Jahren das moderne Netzwerksystem transatlantischer Governance beschrieben, das auch Deutschland schon seit vielen Jahrzehnten diskret und nachhaltig beeinflusst <12>. Ein Netzwerk, in dem über Parteigrenzen hinweg Eliten herangezogen werden, die durch die Beeinflussung entscheidender Institutionen ohne demokratische Legitimation unsere Gesellschaft steuern. Der Council on Foreign Relations erscheint mir als das Zentrum und Gehirn dieses globalen Spinnennetzes. Diese diskreten Organisationen haben Einfluss genommen, um den Nationalstaat zu lähmen und die Macht der globalen Konzerne zu stärken. Wir sehen heute die Folgen dieser Deregulierung: soziale Spannungen verschärfen sich, das soziale Kapital, also das geschmeidige Zusammenwirken von Administration und Bevölkerung, ist weitgehend zerrüttet. Weite Kreise der Bevölkerung sind abgekoppelt worden und sind sich selber überlassen. Damit hat sich das Netzwerksystem selber sein Grab geschaufelt. Denn die gesellschaftliche Verwahrlosung wird von neuen Konjunkturrittern, den Populisten, ausgeschlachtet. Konservative, die sich in der sozialdemokratisierten CDU von Frau Merkel nicht mehr wiederfinden, suchen eine neue Heimat und neue Geborgenheit. Die populistischen Rattenfänger profitieren von der gereizten Atmosphäre in der Gesellschaft und sie tun alles, um die Spannungen noch zusätzlich anzufachen. Sie profitieren zudem von der Gewaltverherrlichung durch die Medien.
In den USA, die uns mal wieder um Längen voraus sind, wird die Desintegration der Gesellschaft von der so genannten Tea Party aufgefangen. Diese Gruppe hat sich in die Republikanische Partei eingenistet. Eine Koalition aus reaktionären Christen und Predigern des Marktradikalismus treiben die Politiker der Mitte vor sich her. Die Marktradikalen, unzutreffend auch als „Neoliberale“ bezeichnet, sind entschiedene Feinde eines aktiven, gestaltenden Staates, der für die sozial Schwachen eintritt. Die Marktradikalen wollen am liebsten den Staat komplett abschaffen zugunsten einer radikal erweiterten Macht der Globalkonzerne. Es ist kein Geheimnis, dass hinter der Tea Party und ähnlichen „neokonservativen“ Gruppen Milliardäre wie z.B. die Koch-Brüder <11> als Sponsoren stehen, die durch diese populistischen Parteien ihre Investitionsbedingungen verbessern wollen. Sie nutzen bestehende reaktionäre Bewegungen in der Bevölkerung, um darauf Huckepack ihre leblosen und für die Massen unattraktiven Ideen in die Gesellschaft zu transportieren.
Auch in Deutschland entwickeln sich in aller Stille solche Netzwerke <12>. Noch allerdings sind diese marktradikalen Rechtsausleger weit davon entfernt, auch nur ansatzweise so vernetzt aufzutreten wie die Transatlantiker vom Council on Foreign Relations. Stattdessen tummeln sich in jenem rechtsalternativen Lager unkoordiniert Marktradikale, reaktionäre Kircheneiferer wie die Piusbrüder, clevere politische Glücksritter, Edelmetallspekulanten, Waffenschieber und selbstverständlich auch faschistoide Elemente, verbunden mit Intellektuellen mit durchaus nicht zu verachtenden Potentialen. Der ehemalige Chefstratege von Donald Trump, Stephen Bannon, versuchte die europäischen Parteien aus diesem rechten Lager im Jahre 2018 zu einen, allerdings bis dato ohne Erfolg. Immerhin konnte Bannon schon mit beträchtlichen Geldmitteln locken und es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese von amerikanischen Milliardären gesteuerten und finanzierten Gruppierungen zu einem koordinierten Handeln gelangen.
Diese neue Rechte gewinnt mit jedem Tag, an dem selbsternannte Faschismusexperten die demokratische Öffentlichkeit an der Nase herumführen, an Macht und Einfluss. Währenddessen führt die massiv geförderte Desintegration unserer Gesellschaft zu ganz gefährlichen Verwerfungen. Es wird deutlich, dass die Verfälschung der Geschichte in der Faschismus-Frage politisch gewollt ist. Ich hoffe, mit dieser Folge von History ein bisschen zu einem vertieften Verständnis des Begriffes „Faschismus“ beigetragen zu haben.
Wir lernen aus der Geschichte, wie wir die Zukunft besser machen."
Quellen und Anmerkungen:
<1> Bei Wikipedia fälschlich als fasces bezeichnet. Das ist
aber die Mehrzahl der Einzahl fascis (lt. Stowasser 1971, S.210).
<2> Hermann Ploppa, Hitlers amerikanische Lehrer – Die Eliten als
Geburtshelfer des Nationalsozialismus. Marburg 2016. Paul A. C.
Koistinen, Mobilizing for Modern War – The Political Economy of American
Warfare 1865-1919. University Press of Kansas 1997.
<3> Harold Dwight Lasswell: Propaganda Technique in the World War London/New York 1927
<4> The Guardian, 13.10.2009. Recruited by the MI5: The name’s Mussolini. Benito Mussolini. https://www.theguardian.com/world/2009/oct/13/benito-mussolini-recruited-mi5-italy
<5> Zur psychischen Befindlichkeit von Freikorpssöldnern: Klaus Theweleit: Männerphantasien. Berlin 2019.
<6> Hermann Ploppa, Der Faschismus Coup. Rubikon 3.8.2019 https://www.rubikon.news/artikel/der-faschismus-coup
<7> Walter Isaacson/Evan Thomas: The Wise Men – Six Friends and the World they made. New York 1986, S.122
<8> George Orwell, What is Fascism? Tribune 1944. https://orwell.ru/library/articles/As_I_Please/english/efasc
<9> Hermann Ploppa, Totalitarismus 2.0. Rubikon 15.6.2019 https://www.rubikon.news/artikel/totalitarismus-2-0
<10> Peter Nowak, Kein Bollwerk gegen die AfD in Thüringen. Telepolis, 5.2.2020 https://www.heise.de/tp/features/Kein-Bollwerk-gegen-die-AfD-in-Thueringen-4654019.html
<11> Die texanischen Milliardäre Charles und David Koch. Siehe auch Hermann Ploppa, Der Feudal-Staat. Rubikon 31.3.2018 https://www.rubikon.news/artikel/der-feudal-staat
<13> Hermann Ploppa, Gnadenlos Marktradikal. Rubikon 20.9.2017 https://www.rubikon.news/artikel/gnadenlos-marktradikal
Quelle: apolut