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Deutsch-maghrebinische Forschergruppe erschließt kulturelles Erbe in der Nordsahara

Archivmeldung vom 05.12.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.12.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Getreidespeicherburg in Südmarokko: der Agadir-n-Tiddas.Quelle: Foto: Prof. Dr. Herbert Popp, Universität Bayreuth (idw)
Getreidespeicherburg in Südmarokko: der Agadir-n-Tiddas.Quelle: Foto: Prof. Dr. Herbert Popp, Universität Bayreuth (idw)

Es sind eindrucksvolle Zeugen der Vergangenheit in Nordafrika: die Getreidespeicherburgen am Nordrand der Sahara, die verschiedene Berberstämme seit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert dort errichtet haben. Ein internationales Team unter der Leitung von Prof. Dr. Herbert Popp, Universität Bayreuth, erforscht die Entstehung, Geschichte und Funktion dieser weltweit einzigartigen Bauwerke. In einem neuen illustrierten Atlas dokumentieren die Wissenschaftler den aktuellen Forschungsstand zu den „Agadiren“, den Getreidespeicherburgen in Südmarokko. Sie wollen damit auch einen Beitrag zu aktuellen Überlegungen leisten, wie dieses kulturelle Erbe gerettet und langfristig genutzt werden kann.

Der Agadir Imhaïlen: Links und rechts befinden sich auf drei Stockwerken die Eingänge zu den Speicherkammern.Quelle: Foto: Prof. Dr. Herbert Popp, Universität Bayreuth (idw)
Der Agadir Imhaïlen: Links und rechts befinden sich auf drei Stockwerken die Eingänge zu den Speicherkammern.Quelle: Foto: Prof. Dr. Herbert Popp, Universität Bayreuth (idw)

In den nördlichen Regionen der Sahara gehen verschiedene Klimazonen ineinander über. Nach Norden hin ist Ackerbau ohne künstliche Bewässerung, der sog. Regenfeldbau, gerade noch möglich; die Steppenvegetation im Süden lässt jedoch nur Weidewirtschaft zu. In diesem Grenzbereich zwischen Regenfeldbau und Weidewirtschaft sind die historischen Getreidespeicherburgen angesiedelt. Sie verteilen sich auf einen Landstreifen, der sich vom Südwesten Marokkos über Südtunesien bis nach Libyen erstreckt. Seit 2009 stehen sie im Mittelpunkt eines umfangreichen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts. Darin arbeitet Prof. Dr. Herbert Popp, der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Stadtgeographie innehat, mit nordafrikanischen Experten eng zusammen; insbesondere mit Prof. Dr. Mohamed Aït Hamza und Prof. Dr. Brahim El Fasskaoui in Marokko und mit Prof. Dr. Abdelfettah Kassah in Tunesien.

Schutz vor Nahrungsknappheit und feindlichen Übergriffen: Die Getreidespeicherburgen im Maghreb

Die Forschungsgruppe konnte zeigen, dass die Getreidespeicherburgen für die ackerbauenden Berberstämme eine doppelte Funktion erfüllten. Zum einen ließen sich dort größere Getreidemengen über eine längere Zeit hinweg lagern. Da die Niederschlagsmengen in der Nordsahara von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich ausfallen, konnten geringe Ernteerträge in regenarmen Jahren durch gespeicherte Vorräte ausgeglichen werden. Zum anderen dienten die Getreidespeicherburgen auch als Festungen. Sie ermöglichten Zuflucht und Sicherheit in Konflikten mit rivalisierenden Stämmen. Heute sind die Speicherburgen in Südtunesien funktionslos; in Südmarokko wird hingegen noch etwa ein Drittel der Speicherburgen als Speicherdepots genutzt.

'Le patrimoine' in Nordafrika: Wachsendes Interesse an der eigenen Kulturgeschichte

Seit einiger Zeit ist in der nordafrikanischen Berberbevölkerung ein verstärktes historisches Bewusstsein zu beobachten. Es wächst das öffentliche Interesse, die Getreidespeicherburgen als Zeugen der eigenen Vergangenheit zu erhalten. "In den Maghreb-Staaten gewinnt das Schlagwort vom 'patrimoine', dem kulturellen Erbe, sichtlich an Bedeutung", berichtet Professor Popp. "Mittlerweile stellen die Regierungen auch finanzielle Mittel für die Restaurierung und die bauliche Sicherung der Speicherburgen zur Verfügung. Zudem haben sich Initiativen gebildet, die darauf abzielen, dass sie in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen werden – und dies völlig zu Recht. Denn wir haben es mit fotogenen Zeugen einer kulturhistorischen Meisterleistung zu tun, durch die sich eine ländliche, in Stämmen organisierte Gesellschaft wirksam gegen existenzielle Risiken geschützt hat."

Dokumentation des kulturellen Erbes: Ergebnisse einer deutsch-maghrebinischen Forschungskooperation

Diese Bestrebungen will das deutsch-maghrebinische Forschungsteam mit ihrem illustrierten Atlas unterstützen, der jetzt unter dem Titel "Les agadirs de l’Anti-Atlas occidental" erschienen ist. Er ergänzt den im vorigen Jahr veröffentlichten Band "Les ksour du Sud tunisien". Die zwei Bände führen die bisherigen Forschungsergebnisse zu den Speicherburgen zusammen, die in Marokko als "Agadire" und in Tunesien als "Ksour" bezeichnet werden. Sie geben Aufschluss über deren Geschichte, Funktionen und Organisationsformen. Zudem liegt jetzt erstmals eine vollständige und seriöse Inventur dieses kulturellen Erbes vor: Jeder noch funktionstüchtige oder in gutem baulichen Zustand verbliebene Speicher wird darin systematisch beschrieben. Erstmals hier veröffentlichte Schrägluftbilder führen eine eindrucksvolle Kulturlandschaft vor Augen.

Beiträge zu einem wissenschaftlich fundierten Kulturtourismus

Im weiteren Verlauf des Projektes will die deutsch-maghrebinische Forschergruppe ihre bisher erarbeiteten Ergebnisse insbesondere für touristische Projekte nutzbar machen. In Marokko ist das Gebirgsmassiv des Antiatlas, trotz seiner Nähe zum Touristenzentrum Agadir, für kulturtouristische Aktivitäten weitgehend unerschlossen. Daher wollen die Wissenschaftler für dieses Gebiet eine thematische Karte im Maßstab 1:150.000 erstellen und in drei Sprachen (Französisch, Englisch und Deutsch) veröffentlichen. "So können die Ergebnisse unserer Forschungsarbeiten mithelfen, die faszinierende Landschaft des Antiatlas für einen seriösen Kultur- und Bildungsreisetourismus zu öffnen", erläutert Professor Popp. "Dies wollen wir im ständigen Gedankenaustausch mit den marokkanischen Behörden tun. Gemeinsam wollen wir in den nächsten Jahren darauf hinarbeiten, dass die UNESCO den Antiatlas als ‚Kulturlandschaft‘ im Sinne ihres Welterbe-Programms einstuft."

Quelle: Universität Bayreuth (idw)

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