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HIStory: Euthanasie in den USA und Großbritannien

Archivmeldung vom 05.07.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.07.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Bild: SS Video: "HIStory: Euthanasie in den USA und Großbritannien" (https://tube4.apolut.net/w/c9r6zS9JbABw8tHtdfY7FV) / Eigenes Werk
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Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von HIStory! Wenn wir den Begriff „Euthanasie“ hören, denken wir sofort an Morde von Schwachen, Alten und Behinderten im Deutschland der Nazi-Ära. In Deutschland wurden tatsächlich in Behindertenheimen wie Hadamar Kinder vergast. Wobei Medizinstudenten hinter einer Glasscheibe saßen und das qualvolle Sterben der nackten Kinder wissenschaftlich kühl protokollierten. Damals hatte der Bischof Clemens August Graf von Galen in einer Predigt diese Mordtaten öffentlich angeprangert. Daraufhin wurden die Nazis vorsichtiger und verlegten ihre Euthanasie-Verbrechen an weitaus diskretere Orte. Vornehmlich in Konzentrationslager.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lernten wir an Schulen und Universitäten, dass die Euthanasie, also der Mord an Schwachen und Kranken, eine rein deutsche Episode gewesen sei und mit dem Ende der Nazi-Herrschaft ihr definitives Ende gefunden habe.

Intensive Recherchen ergaben für mich allerdings: Euthanasie wurde in den USA, in Großbritannien und vielen anderen Ländern lange vor Anbruch der Nazi-Diktatur bereits nicht nur propagiert, sondern auch praktiziert. Und mit dem Ende der Nazi-Diktatur war Euthanasie noch lange nicht beendet. Und jetzt müssen wir feststellen, dass die Büchse der Pandora wieder einmal weit geöffnet wurde. Der Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Monsieur Jacques Attali, propagiert Euthanasie vollkommen ungeniert. Und mit dem Begriff der „Triage“ wird erneut entschieden, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Es war mir ein Anliegen in meinem Buch „Hitlers amerikanische Lehrer“, meine Leser darauf hinzuweisen, dass Euthanasie immer wieder ihr Unwesen treibt, wenn die Öffentlichkeit nicht energisch aufpasst. Aufgrund der erschreckenden neuen Salonfähigkeit der Euthanasie werde ich heute einen entsprechenden Abschnitt aus meinem Buch „Hitlers amerikanische Lehrer“ hier vortragen:

Der Begriff Euthanasie kommt aus dem Altgriechischen und setzt sich zusammen aus den Teilen Eu für „gut“, und thanasie, von thanatos für „Tod“. Euthanasie bedeutet also: „guter Tod“. Wir verbinden damit die Vorstellung von Todkranken, die nur noch eine Strecke unsagbaren sinnlosen Leidens auf dieser Welt vor sich haben, und die der Arzt mit einer überdosierten Morphiumspritze sanft in das Meer des Vergessens erlöst.

Verwendet wird der Begriff „Euthanasie“ jedoch vornehmlich für all jene Maßnahmen, durch die im Zivilleben Menschen zu Tode gebracht werden, die keineswegs die Einwilligung zu ihrer Tötung gegeben haben. Ja, er wird sogar angewendet auf die Tötung ganzer Gruppen von Menschen.

Der Begriff Euthanasie ist fast immer gleichbedeutend mit der radikalsten Maßnahme zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen, in der Sozialarbeit oder in der Rechtspflege.

Zunächst die Frage: stellt Euthanasie die äußerste Konsequenz der Eugenik dar?

Experten meinen, dass die Euthanasie nicht in Einklang zu bringen ist mit dem Denkgebäude der Eugeniker:

„Sie [die Euthanasie-Überlegungen] hatten in ihr schlicht keinen systematischen Ort, denn weder aus einer noch so fehlgedeuteten Perspektive der Auslese noch unter dem Gesichtspunkt einer Entartungsgefahr lässt sich die Tötung von Menschen als erforderlich herleiten. Dem eugenischen und oder rassenhygienischen Gebot des ‚Erbschutzes’ und des ‚Rassenschutzes’ … wäre durch Sterilisation und Eheverbot Genüge getan.“

Was Peter Weingart und Stefan Kühl bezüglich der deutschen Eugenik sagen, ist nicht auf das Vorbild der deutschen Rassenhygiene, die US-amerikanische Eugenik, anwendbar.

Auch wenn Autoren wie Charles Davenport,  Lothrop Stoddard, Paul Popenoe oder Madison Grant einerseits (Lippen-) Bekenntnisse gegen Euthanasie abgegeben haben, so lassen andererseits viele ihrer Gedanken keinen anderen logischen Schluss zu als die körperliche Vernichtung der „Minderwertigen“.

Denn das dogmatische Beharren der US-Eugeniker auf der Unveränderbarkeit des Keimplasmas führt fast zwangsläufig zu dem Schluss, neben der Einsperrung, neben der Unfruchtbarmachung, neben dem Eheverbot, neben dem Einwanderungsverbot, auch die physische „Eliminierung“ der Menschen, die der nationalen Effizienz im Wege stehen, in die Tat umzusetzen. Die Arbeitsgruppe des Eugenics Record Office hatte in den Jahren 1911-14 als mögliche Option Nummer 8 zur Bekämpfung des Rassenverfalls die Euthanasie ernsthaft diskutiert.

In den USA und Großbritannien wird der wirtschaftliche Wert des Menschen der modernen Industriegesellschaft immer wieder ganz ungeniert thematisiert. Der Statistiker Richmond Mayo-Smith rechnet 1895 den Geldwert eines englischen Arbeiters und Verluste durch frühe Mortalität aus:

„… von einer Million geborenen Personen sterben 72.397 im Alter zwischen 15 und 45 Jahren an Schwindsucht … Wenn wir den Geldwert jeder Person im Alter zwischen 15 und 45 Jahren mit 200 Pfund Sterling ansetzen, dann beträgt der Verlust alleine schon 14.479.400 Pfund Sterling.“

Margaret Sanger, die die Angebotspalette der Eugeniker um das Thema Geburtenkontrolle erweitert, wettert im Jahr 1922:

„Geisteskrankheit, die, wie wir uns erinnern sollten, in hohem Maße erblich ist, zieht jedes Jahr vom Staatsetat nicht weniger als 11.985.695.55 Dollar und aus privaten und Stiftungsmitteln noch einmal zwanzig Millionen Dollar ab. Wenn wir weiterhin erfahren, dass die Gesamtzahl der Insassen in öffentlichen und privaten Einrichtungen im Staat New York – in Armenhäusern, Besserungsanstalten, Blinden-, Tauben- und Stummenschulen, in Irrenasylen, in Heimen für die feeble-minded und für die Epileptiker – sich auf nicht weniger als 65.000 beläuft – eine unbedeutende Anzahl verglichen mit der Gesamtbevölkerung – dann sollten uns die Augen geöffnet sein für die furchtbaren Kostenaufwendungen für die Gemeinschaft zugunsten der toten Last dieses menschlichen Abfalls.“

Und Frau Sanger spielt im nächsten aufrüttelnden Beispiel auf die Gattung der eugenischen Schauerchroniken von Stammbäumen erfolgloser Sippenverbände in den USA an:

„Der Nachwuchs eines einzigen geistesschwachen Mannes namens Jukes hat die Öffentlichkeit auf die eine oder andere Weise 1.300.000 Dollar in 75 Jahren gekostet. Wollen wir noch mehr solche Familien?“

Während die Eugenik noch mit allerlei Rechtfertigungslyrik garniert dargeboten wird, kommt das Plädoyer für die Euthanasie in der rohen grauen Nacktheit der oben geschilderten Modellrechnungen daher.

Die Tötung unrentabler Menschen hat im anglo-amerikanischen Raum eine lange Tradition. Als Heinrich VIII. von England sich zum Oberhaupt der katholischen Kirche auf der britischen Insel machte, musste von jetzt ab der Staat wohl oder übel selber für die Kosten der wohltätigen Einrichtungen aufkommen.

Es begab sich aber zu jener Zeit, dass die großen Landbesitzer die Kleinbauern von ihren Höfen vertrieben. Die landlos gewordenen Bauern mussten notgedrungen massenhaft als Bettler durch die Lande ziehen. Da noch keine Industrialisierung dieses Wanderproletariat aufnehmen konnte, wurden die Opfer des Landraubes zu einer Last für die Gemeinschaft.

Man kehrte das Opfer-Täterverhältnis kurzerhand um: man ging davon aus, dass die Enteigneten einfach keine Lust hätten zu arbeiten. Rigide Armengesetze sahen für aufgegriffene Bettler beim ersten Mal „nur“ Auspeitschung vor. In Wiederholungsfällen drohten Zwangsarbeit, Brandmarkung und schließlich Hinrichtung.

Zudem predigte der Calvinismus in England und den USA, dass Reichtum ein Zeichen der Vorsehung (providence) sei; dass der mit Reichtum Gesegnete von Gott ausersehen sei. Der Arme hat folglich nicht nur die Folgen seiner Not zu bewältigen. Es haftet auch noch an ihm das Stigma, ein von der Vorsehung Verfluchter zu sein.

Doch auch den Personen, denen man das Recht auf Sozialhilfe zuerkannte – den ganz Alten und den ganz Jungen – wurde selten angemessene Förderung zuteil.

Waisenkinder wurden in vernichtenden Arbeitsverhältnissen regelrecht verheizt. Oder sie kamen in Waisenhäuser, die eher den Namen Verwahranstalt verdienen, durch Vernachlässigung, Aushungerung oder Verwahrlosung zu Tode. Charles Dickens hat in seiner Romanfigur Oliver Twist diese Form der Beseitigung unwirtschaftlicher Menschenleben mit äußerst galliger Ironie angeprangert.

Der kleine Oliver wird bei einer privaten „Pflegemutter“ einquartiert, die von den städtischen Geldzuwendungen das meiste für sich selber einbehält. Dem Kind bekommt diese Art der „Fastenkur“ nicht:

„… genau in dem Augenblick, wenn ein Kind sich darin eingerichtet hat, von der geringst möglichen Portion der am wenigsten ergiebigen Nahrung zu existieren, ereignet es sich in achteinhalb von zehn Fällen, dass das Kind von Mangel und Kälte krank wird, oder es fällt aus Vernachlässigung ins Feuer, oder es erstickt halb durch einen Unfall; in jedem dieser Fälle wurde das elende kleine Lebewesen in eine andere Welt abberufen, und es leistet dort dem Vater Gesellschaft, den es in dieser Welt nie kennen gelernt hat.“

Olivers nächste Station ist dann ein städtisches Waisenhaus, in dem es zu einer Art Hungeraufstand der Kinder kommt aufgrund der systematischen Vernachlässigung zu Tode.

Eine vergleichbare Situation deportierter Indianerkinder in den USA wurde von dem amerikanischen Historiker Ward Churchill geschildert. Und Charles Henderson, Präsident der National Conference for Charities and Correction, also dem nationalen Treffen der Wohlfahrt- und Besserungseinrichtungen der USA, sagte auf der Konferenz im Mai 1899 vor Heimleitern: „Wir wünschen, dass dieser parasitische Zweig [die Heiminsassen] ausstirbt.“ Und in der Mai-Ausgabe der entsprechenden Fachzeitschrift Institution Quarterly heißt es: „… es wäre ein Akt der Freundlichkeit für diese [Heiminsassen] und ein Akt des Schutzes für den Staat, wenn sie getötet werden könnten.“ Am 12.7.1877 empfiehlt der Herausgeber der Chicago Tribune, Joseph Medill, eine Radikalkur gegen die Obdachlosen, ganz der englischen Tradition folgend:

„Das Gesetz für Obdachlose … ist für Vorstadtbereiche, wo Polizeibeamte selten und Friedensrichter schwer zu gewinnen sind, nicht sehr hilfreich. Die einfachste Lösung für Leute, die nicht zur Gesellschaft der Menschen gehören, besteht wahrscheinlich darin, ein bisschen Strychnin oder Arsen in das Essen und andere Dinge zu bringen, die Obdachlose zugeteilt bekommen. Das verursacht den Tod in einer vergleichsweise kurzen Zeit. Das schreckt andere Obdachlose soweit davon ab, dass sie sich aus dieser Nachbarschaft fernhalten …“

Die Tötung von Wehrlosen bekommt 1915 die massive Unterstützung der führenden Medien in den USA. Eine Frau namens Anna Bollinger bringt ein Baby mit Darm- und Mastdarm-Missbildungen in einem Chicagoer Krankenhaus zur Welt. Oberarzt Harry Haiselden, ein glühender Eugeniker, lässt das Baby nackt in der Zugluft liegen und unterlässt jede ärztliche Hilfe. Der Säugling stirbt infolgedessen bald.

Daraufhin läuft eine gut geschmierte Kollaboration von Presse, Stiftungen und eugenischer Ärzteschaft an. Im ganzen Land wird der Fall des Hilfe unterlassenden Oberarztes diskutiert. Das Hearst-Presseimperium lässt die Leser zu Wort kommen. Ein Leser heißt Charles Davenport, und der nimmt wie folgt Stellung:

„Wenn der Fortschritt der Chirurgie zum Schaden der Rasse eingesetzt wird … kann es möglicherweise die Rasse ruinieren. Kurzsichtig sind die, welche jene Arbeit beeinträchtigen wollen, die eine der größten rassischen Segnungen der Natur darstellt – nämlich: den Tod.“ Nun bekommt Haiselden eine sechswöchige Serie in der Zeitung Chicago American. Seine Taktik besteht darin, die alltägliche Praxis des Tötens Wehrloser in privaten und öffentlichen Einrichtungen offenzulegen und so das Publikum an diese Praxis zu gewöhnen.

Haiselden berichtet über skandalöse Zustände in der Illinois Institution for the Feebleminded in Lincoln/Illinois. „Fliegen im WC, Müll und bei den Ausscheidungen der Patienten“. Dazu gibt es Milch von tuberkulösen Rindern. Das war in früheren Jahren auch schon der Aufsichtsbehörde aufgefallen. Aber: schwer zu sagen, welche von den Kühen das sein könnte. Die Leitung der Lincoln-Anstalt gibt zurück: was wollt ihr denn; in anderen Anstalten liegt die Todesrate bei 40%! Die Lincoln-Anstalt wird von Eugenikern geführt, was zur Folge hat, dass sich auch nach Haiseldens Enthüllungen nichts ändert. Im Gegenteil: in den 1930er Jahren liegt die durchschnittliche Lebenserwartung der Insassen nur noch bei 18.5 Jahren.

Hollywood entdeckt Haiseldens Heldentat als geeigneten Filmstoff. Daraus wird schließlich ein abendfüllender Stummfilm. Dr. Haiselden spielt sich selber in diesem Rührschinken. Ein behindertes Pärchen wird von Haiselden dahingehend beraten, aufgrund seiner Erbschwäche von einer Fortpflanzung abzusehen. Dennoch gebiert die Frau ein Baby, natürlich behindert, wen überrascht es.

Doch die eugenisch einsichtige Mutter willigt liebend in das Sterben durch ärztliche Untätigkeit ein. Und in einer für damalige Tage sensationellen Überblendtechnik kommt der Herr Jesus Christus persönlich ins Sterbezimmer. Das Baby-Seelchen schwebt beglückt in seine Arme.

Der Film heißt „The Black Stork“, also: Der Schwarze Storch. Interessierte Kreise werfen gigantische Gelder in die nationale Verbreitung und Bewerbung des Streifens, der bis in die 1940er Jahre hinein zum nationalen Dauerbrenner avanciert. Diese „eugenic lovestory“ wird mithilfe gigantischer Werbebanner mit dem Text: „Töte Behinderte. Rette die Nation und schau’ Dir den ‚Schwarzen Storch’ an.“ angepriesen.

Man bedenke: 1917 traten die USA in den Ersten Weltkrieg ein, um vermeintliche Unmenschlichkeit und Barbarei der Deutschen zu bekämpfen.

Unwerte Menschen zu vergasen, war schon Ende des Neunzehnten Jahrhunderts in England eine geradezu sprichwörtliche Volksvorstellung. Man vergaste nicht vermittelbare Hunde und Katzen in Tierheimen. Die Todesstrafe in den USA ist nichts anderes als in der Sprache der Rechtsstaatlichkeit verbrämte Euthanasie. Es ist hinlänglich bekannt, dass sich in den Todestrakten US-amerikanischer Gefängnisse fast ausschließlich Menschen afroamerikanischer, hispanischer oder asiatischer Herkunft befinden. Konsequenterweise wurde die erste Hinrichtung durch Vergasung in den USA 1921 an einem Chinesen durchgeführt.

Die Vorstellung, „unwertes Leben“ gewaltsam und mit Rückendeckung des Staates ins Jenseits zu befördern, war in England und in den USA so verbreitet, dass Prominente nicht umhin konnten, sich mit Äußerungen zugunsten der Euthanasie zu profilieren. So sagte zum Beispiel der uns im Schulunterricht so hoch gepriesene Menschenfreund George Bernard Shaw bei einer Vorlesung der London Eugenic Education Society im Jahre 1910:

„Ein Teil der eugenischen Politik würde uns endlich zu einem ausgiebigen Gebrauch der Tötungskammer führen. Eine große Anzahl Menschen müsste aus dem Leben gebracht werden, ganz einfach, weil es die Zeit von anderen Menschen vergeudet, sich um sie zu kümmern.“

Und der berühmte englische Romanautor H. D. Lawrence schrieb 1908:

„Wenn ich freie Hand hätte, würde ich eine Todeskammer bauen, so groß wie der Crystal Palace [ein inzwischen abgerissener gigantischer Londoner Prestigebau aus Stahl und Glas H.P.], wo eine Militärkapelle sanft aufspielt, und ein Film vorgeführt wird. Und dann gehe ich raus in die Neben- und Hauptstraßen und nehme sie alle mit: all die Kranken, all die Lahmen und die Krüppel. Ich würde sie sanft begleiten, und sie würden mir zulächeln.“

Aus der großen Masse von anglo-amerikanischen Bekenntnissen zur Euthanasie picken wir uns den Arzt und Kunstmäzen Duncan McKim heraus, der im Jahre 1900 der Euthanasie ein ganzes Buch gewidmet hat. Der Titel: „Heredity and Human Progress“. Das Buch erschien gleichzeitig in London und New York, und zwar bei dem hochrenommierten Putnam-Verlag.

Wir lesen dort das uns schon bekannte Credo, dass, wer böse oder schwach ist, dieses alleine seinem Keimplasma zu verdanken hat, und dass deshalb jeder Versuch zur Besserung von vorneherein vergebliche Liebesmüh’ und Verschwendung von Zeit und Geld ist. Und deswegen bleibt im Interesse der rassischen Aufartung nur: Tötung „unwerten Lebens“:

„Das sicherste, einfachste, freundlichste und humanste Mittel, die Fortpflanzung unter jenen zu verhindern, die wir dieses hohen Vorrechts für unwürdig halten, besteht in einem sanften, schmerzlosen Tod; das sollte nicht als eine Bestrafung vollstreckt werden, sondern als aufgeklärtes Mitgefühl mit den Opfern.“

Das würde auch nicht viel kosten: „Die schmerzlose Vernichtung dieser Leben würde praktisch keine Schwierigkeiten bereiten; mit Kohlenmonoxyd haben wir einen Wirkstoff, der umgehend seinen Zweck erfüllt.“

Ja, aber ist es denn nicht unchristlich, Wehrlose so einfach umzubringen?

Nein, es ist vielmehr sittlich geboten:

„Das Band zwischen Schwäche und Bösartigkeit ist sehr eng …“ „Lasst uns deswegen Abstand nehmen von der törichten Vorstellung, die wir manchmal so sentimental behaupten, dass das Menschenleben eine Angelegenheit ist, die immer geheiligt und unverletzlich zu sein hat.“

Nun könnte man sagen: eine extreme Einzelmeinung. Aber dann schauen wir uns bitte aufmerksam folgende Textstelle an:

„Wenn die Sicherheit einer Nation durch Krieg gefährdet ist, dann wird allgemein die Auffassung vertreten, dass es rechtens ist, unzählige Menschenleben ihrer besten Bürger freiwillig aufzubieten oder unter Zwang zu opfern, um ihre Existenz zu garantieren. Kann es dann als falsch angesehen werden, eine Nation vor einer viel größeren, permanenten Gefahr als einem auswärtigen Feind zu schützen – nämlich vor der heimtückischen Übertragung eines stinkenden und wertlosen Erbes – indem man gewisse schwache, nutzlose und ansteckende Menschenleben zur Ausmerzung verdammt?“

Fast dieselben Worte finden wir an einer ganz anderen Stelle, wo wir so etwas nicht so unbedingt vermuten würden:

„Wir haben mehr als einmal erlebt, dass die öffentliche Wohlfahrt den besten Bürgern das Opfer ihres Lebens abverlangt hat. Es wäre doch wohl merkwürdig, wenn es nicht auch jene zu einem geringeren Opfer auffordern würde, die bereits von der Stärke des Staates zehren. Und die häufig nicht begriffen haben, dass sie gemeint sind; um zu verhindern, dass wir mit Unfähigkeit überschwemmt werden … Es ist besser für die ganze Welt, wenn die Gesellschaft, anstatt darauf zu warten, dass man den entarteten Nachwuchs wegen Verbrechen hinrichten muss, oder ihn aufgrund von Schwachsinnigkeit dahinsiechen lässt, jene stoppen kann, die offensichtlich ungeeignet sind, ihre Artung fortzupflanzen.“

Duncan McKim hätte erfolgreich eine Plagiatsklage gegen den Richter Wendell Holmes führen können. Wendell Holmes war Richter am Obersten Gerichtshof der USA, dem berühmten Supreme Court. Dieser Supreme Court hatte im Jahre 1927 ein Urteil höchstrichterlich gefällt, mit dem der Ärzteschaft erlaubt wurde, einer Heiminsassin namens Carrie Buck und in der Nachfolge allen ihren Leidensgenossinnen für alle Zeiten die Möglichkeit zu rauben, Kinder zu bekommen. Obendrein garniert mit der beleidigenden Unverschämtheit: „Drei Generationen Schwachsinnige sind genug“. Carrie Buck durfte aufgrund dieses Urteilsspruches gegen ihren Willen sterilisiert werden. Darauf waren Tür und Tor geöffnet für die massenhafte Zwangssterilisation als „minderwertig“ erachteter Frauen.

Die Arbeitsgruppe des Eugenics Record Office, die 1914 einige Vorschläge zur Beseitigung der unteren Bevölkerungssegmente im Auftrag von Rockefeller, Carnegie und Harriman vorgelegt hatte, zusammengefasst in dem ERO-Bulletin 10B, hatte unter anderem ja auch ernsthaft über das Mittel der Euthanasie zur „Eliminierung“ der Untauglichen nachgedacht. Nach reiflicher, verantwortungsbewusster Überlegung kommt man bezüglich der Euthanasie zu folgendem Beschluss:

„Wie sehr wir auch die spartanischen Ideale missbilligen, sowie ihre Mittel sie zu erreichen, so müssen wir doch [Spartas] Mut bewundern, derart unerbittlich ein solches praktisches System der Auslese anzuwenden … Im Fall der Euthanasie, wie auch im Fall der Polygamie, würde ein wirkungsvolles eugenisches Instrument zu einem insgesamt zu hohen moralischen Preis erkauft.“

Mit anderen Worten: das Eugenics Record Office möchte es nicht auf einen Machtkampf mit den Kirchen ankommen lassen. Wir haben aber bereits an Davenports Wortmeldung zu Oberarzt Haiseldens Vorstoß gesehen, was Davenport, und gewiss auch seine Mitstreiter, über den „Segen“ der Euthanasie wirklich dachten.

Der Botaniker Luther Burbank gab 1906 bei einer Sitzung der American Breeders Association, also der amerikanischen Züchter-Vereinigung, zu Protokoll: „Über das ganze Land betreiben wir gewaltige Krankenasyle und ähnliche Einrichtungen, in denen wir die Ungeeigneten (unfit) und Verbrecher durchfüttern, anstatt sie auszulöschen (exterminate).“ Professor Leon J. Cole von der Universität Wisconsin sagte bei dem Race Betterment Congress, also dem Rassenaufbesserungskongress in Battle Creek 1914, ausgerichtet von Mister Kellogg: „Tod ist der normale Vorgang der Eliminierung im sozialen Organismus, und wir können den Gedanken einen Schritt weiterführen und sagen, dass, indem wir das Leben von Behinderten verlängern, wir in die Arbeit der sozialen Nieren hineinpfuschen.“

Und Doktor William Robinson, eugenisch eingestellter Urologe im Jahre 1917: „Das Beste wäre es, die Kinder der Untauglichen zu vergasen oder ihnen eine Dosis Zyankali zu verabreichen.“ Die Feministin und Euthanasie-Befürworterin Margaret Sanger bekennt in ihrem Buch „Woman and the New Race“, also: „Frau und die neue Rasse“: „Die größte Gnade, die die Großfamilie einem seiner kindlichen Mitglieder antun kann, ist, es zu töten.“ Und Frau Sanger in einem Gastkommentar in der angesehenen liberalen Zeitschrift Collier’s am 15.8.1925: „… wir füttern die Untauglichen und Verbrecher durch, anstatt sie auszumerzen.“

Ein Mitautor des Bulletin 10B der ERO, der nobelpreisdekorierte Starchirurg Alexis Carrel, seines Zeichens medizinische Koryphäe der Rockefeller Stiftung, der zudem mit Charles Lindbergh zusammen eine künstliche Herzklappe entworfen hatte, machte aus seinem eigenen Herzen nie eine Mördergrube.

1937 veröffentlichte der Franzose in den USA seinen Bestseller „Man the Unknown“, das in 9 Sprachen übersetzt, praktisch weltweit vertrieben wurde. Im Nazireich erschien eine deutsche Übersetzung von W.E. Süskind unter dem Titel „Der Mensch – Das unbekannte Wesen“. Das Buch wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland vollkommen unverändert wieder aufgelegt, und dort lesen wir:

„Bei kleineren Verbrechen könnte man den Übeltätern eine heilsame Lektion mit der Peitsche oder einem etwas wissenschaftlicher arbeitenden Züchtigungsmittel angedeihen lassen, was, wenn etwa noch ein kurzer Aufenthalt im Krankenhaus angeschlossen würde, die Dinge vermutlich in beste Ordnung brächte. Wer aber gemordet, mit Selbstladepistolen und Maschinengewehren bewaffnet einen Raubüberfall begangen, wer Kinder entführt, den Armen ihre Ersparnisse abgeknöpft, die Menschen in wichtigen Dingen mißleitet <sic!> hat, mit dem sollte in humaner und wirtschaftlicher Weise Schluß gemacht werden; in kleinen Anstalten für schmerzlose Tötung, wo es die dazu geeigneten Gase gibt. Ebenso müßte man zweckmäßigerweise mit jenen Geisteskranken verfahren, die sich ein Verbrechen haben zuschulden kommen lassen. Die moderne Gesellschaft muß endlich entschlossene grundsätzliche Maßnahmen treffen, und zwar mit dem Endziel, dem normalen Individuum (sic!) zu seinem Recht zu verhelfen.“

In diesem ausführlichen Zitat wird der tiefe innere Zusammenhang von Eugenik, Euthanasie, Kostendämpfung im Sozial-, Gesundheits- und Justizbereich und totalitärem Überwachungsstaat im Denken von Davenport und Freunden in wunderbarer Weise deutlich.

Das soll für heute ausreichen. Es ist also keineswegs verwunderlich, dass in Deutschland Grüne, Linke und Liberale im Gleichschritt mit dem rechten und ultrarechten Lager nicht nur für Kriege trommelt. Das Zusammenwirken von vermeintlich „progressiven“ Kräften mit Nazis hat eine lange Tradition, wie das Beispiel von Margaret Sanger zeigt. Wir sind damit in Deutschland lediglich in amerikanischen Verhältnissen angekommen.

Wir lernen aus der Geschichte, wie wir die Zukunft besser machen.

Quellen und Anmerkungen:

<1> Margaret Sanger, The Pivot of Civilization. New York 1922. S.112

<2> zitiert nach: George Seldes, Facts and Fascism. In Fact 1943. S.221

<3> zitiert nach: http://www.worldfuturefund.org/wffmaster/Reading/Biology/Eugenics.htm#HOLMES

„A part of eugenic politics would finally land us in an extensive use of the lethal chamber. A great many people would have to be put out of existence simply because it wastes other people’s time to look after them.“ Die selbe Quelle zitiert G.B. Shaw aus dem Jahre 1934: „If people are fit to live, let them live under decent human conditions. If they are not fit to live, kill them in a decent human way.”

<4> zitiert nach: http://stereotypeandsociety.typepad.com/stereotypeandsociety/2007/04/margaret_sanger.html

Verwendete Literatur:

Hermann Ploppa: Hitlers amerikanische Lehrer – Die Eliten der USA als Geburtshelfer des Nationalsozialismus. Marburg 2016

Edwin Black: The War against the Weak – Eugenics and America’s Campaign to create a Master Race. New York 2003

Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Bayertz: Rasse, Blut und Gene – Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Frankfurt/Main 1988

Stefan Kühl: Die Internationale der Rassisten – Aufstieg und Niedergang der internationalen Bewegung für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert. Frankfurt/Main, New York 1997

Quelle: apolut

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