Tonscherben sollen den Wettergott von Nerik verraten
Archivmeldung vom 21.07.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFür Henning Marquardt und Silvio Reichmuth (beide Mitarbeiter an der Professur für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft der TU Dresden) beginnt die fachliche Arbeit, wenn sich die meisten Studenten längst in die Semesterferien verabschiedet haben. Ende Juli brechen die beiden Sprachforscher nach Nordanatolien auf.
Sie nehmen mit finanzieller Unterstützung der Freunde und Förderer der TU Dresden e. V. an einer auf mehrere Jahre angelegten Ausgrabung teil, die dem Siedlungshügel Oymaagaç Höyük unweit der Stadt Vezirköprü seine Geheimnisse entlocken soll. Bis zum Beginn der Regenzeit im Oktober werden sie gemeinsam mit 13 anderen internationalen Wissenschaftlern das archäologisch vielversprechende Gebiet nach Tontafeln und -scherben absuchen, topografische Messungen vornehmen und die Funde vor Ort auswerten. Die an Hand der Tontafeln gesammelten Erkenntnisse sollen auch in ein hethitisches Wörterbuch einfließen, an dem der Inhaber der Professur für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft der TU Dresden, Prof. Johann Tischler, seit 1983 arbeitet.
Das erweiterte Berufsfeld eines Hethitologen umfasst neben der Erforschung der Geschichte, Sprache, Kultur und Religion Altanatoliens auch praktische Aspekte. So wird etwa Silvio Reichmuth dieses Jahr als Kraftfahrer für die Expedition arbeiten, an der Errichtung des Grabungshauses mitwirken und die Maschinen zum Erdeauswaschen betreuen. Henning Marquardt kümmert sich schon seit Jahren um die fotografische Erfassung der Funde. Dieses Jahr hat er zusätzlich den Auftrag, ein Funknetzwerk rund um den Grabungshügel einzurichten, damit die Archäologen direkt vor Ort ihre Sammel- und Grabungsfunde auf dem Laptop erfassen und mit der erstellten Datenbank arbeiten können. Aber auch mit der Reinigung der gefundenen Tafeln mit Hilfe von Skalpellen, Bürstchen und Salzsäurelösung müssen sich angehende Orientalisten auskennen: die gefundenen Tontafelfragmente und Scherben werden direkt vor Ort gereinigt und dann in einem langwierigen Prozess mehrmals per Hand abgezeichnet. Auf diese Weise hilft die Erfahrung, aber oft auch die Intuition den Hethitologen bei der Entschlüsselung der hethitischen Sprache.
Diese Sprache, von der inzwischen Tausende Tontafelfragmente
künden, aber auch die gesamte Entwicklung der hethitischen Kultur stellen die
Wissenschaftler immer noch vor zahlreiche Rätsel. Ein tschechischer
Sprachwissenschaftler konnte 1905 überzeugend nachweisen, dass die hethitische
Sprache zur indogermanischen Sprachfamilie gehört: Sie ist damit die erste
inschriftlich belegte indoeuropäische Sprache. Seitdem weiß man also auch, wie
die zum Teil phonetisch, zum Teil aber auch in Bildern abgefasste Schrift, die
die Hethiter vermutlich bei den Babyloniern entlehnten, zu entziffern ist.
Trotzdem klaffen noch große Lücken in dem Wissen um die Geschichte des
hethitischen Volkes, das im zweiten Jahrtausend v. Chr. ganz Kleinasien
beherrschte und den Ägyptern und den Babyloniern als ebenbürtig galt.
Woher die Hethiter genau kamen, und warum das stolze Reich bereits im 12. Jahrhundert v. Chr. wieder zerfiel, haben auch die Funde des Grabungsortes bei Vezirköprü bisher nicht verraten können. Da die Forscher hier jedoch die ältesten Schriftfunde Nordanatoliens gemacht haben und der Fundort den bislang nördlichsten Nachweis für die hethitische Kultur darstellt, versprechen sich die an den Grabungen beteiligten Hethitologen noch weitere bahnbrechende Erkenntnisse. Könnte hier etwa der sagenumwobene Tempel des Wettergottes von Nerik, der Krönungsplatz der hethitischen Könige gelegen haben?
Auf der Homepage des Forschungsprojektes www.nerik.de werden die Grabungsfortschritte aktuell und ausführlich dokumentiert.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.