Hochwasserrisiko: Historische Daten übertreffen die Messungen mit Instrumenten
Archivmeldung vom 14.07.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.07.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDaten von Abflussmessungen kombiniert mit historischen Bild- und Schriftquellen: So rekonstruierte ein Berner Historiker die grössten Hochwasser des Rheins in Basel seit 1268. Einige davon waren grösser als instrumentell gemessene Extremwerte, was auch für die AKW-Sicherheit von Bedeutung ist. Die Studie des Historischen und des Geographischen Instituts der Universität Bern wurde im «Hydrological Sciences Journal» publiziert.
Die monatlichen Temperaturen sind in Mitteleuropa bis ins Jahr 1500 zurück bekannt. Weit weniger weiss man über seltene Hochwasser in den letzten Jahrhunderten. Abschätzungen erfolgen üblicherweise durch statistische Hochrechnungen von Abflussreihen, die für kleinere Gewässer nur für die letzten 25 bis 100 Jahre vorliegen. Berichte aus historischen Dokumenten führen hier weiter, wie Oliver Wetter vom Oeschger Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern in seiner Studie zeigt. Dem Historiker ist es nun unter Leitung des Berner Umwelthistorikers Christian Pfister gelungen, ausgehend von dieser längsten Messreihe der Schweiz zusammen mit Fachhydrologen die Spitzenabflüsse der grössten Hochwasser bis 1268 zu quantifizieren.
Neues Modell aus kombinierten Zahlen und Chroniken
«Am 1. August 1480 fing es an zu regnen, und in den folgenden drei Tagen prasselte intensiver Regen pausenlos nieder.» Mit diesen Worten beginnt der Berner Chronist Diebold Schilling seinen Bericht über die grösste bisher bekannte Überschwemmung im Schweizer Mittelland. In den vorangehenden Tagen sei es «unerträglich heiss» gewesen, schreibt er, so dass der Schnee auf den Alpweiden schmolz. Der dreitägige Dauerregen setzte ein, als Flüsse und Seen bereits randvoll mit Schmelzwasser waren. Ausführlich schildert Schilling die gewaltigen Schäden, welche die ausufernden Flüsse in allen Teilen der Schweiz angerichtet hatten und die Not der Menschen, die sich auf Dächer und Bäume geflüchtet hatten. In der oberrheinischen Tiefebene nahm der Rhein eine Breite von 3 bis 4 Kilometer ein.
Wie dieses Ereignis einzuschätzen sei, fragte sich Oliver Wetter und machte sich einen ausserordentlichen Umstand zu Nutze: Neben den täglichen Aufzeichnungen der Höhe des Flusses am Rheinpegel in Basel seit 1808 hatte sich in der Stadt am Rheinknie eine über Jahrhunderte fortdauernde Tradition der Hochwasserbeschreibungen entwickelt. Die Chronisten nahmen in ihren Schilderungen der höchsten Wasserstände systematisch auf ein Dutzend Referenzpunkte Bezug – etwa zum Gasthaus «Krone», zur Schifflände, zum Fischmarkt sowie zum Niveau der Brücke. Diese Beobachtungstradition wurde bis ins späte 19. Jahrhundert beibehalten, so dass sie nun mit den parallel instrumentell gemessenen Pegeln in Zusammenhang gebracht werden kann.
Durch den Einsatz eines hydrologischen Modells konnte Oliver Wetter quantitative Angaben zu den Wassermassen gewinnen, die bei Hochwasser durch die Stadt fluteten. Die Daten-Kombination des Historikers zeigt, dass beim Spitzenereignis vom August 1480 der Rhein in Basel deutlich mehr Wasser als beim grössten je instrumentell gemessenen Hochwasser von 1852 führte. Kein einziges Extremhochwasser wurde hingegen in der so genannten «Katastrophenlücke» zwischen 1877 und 1993 gemessen.
Hochrechnungen auch für AKW-Sicherheit wichtig
Die Studie belege, dass die vorinstrumentelle Messung von Hochwassern anhand von Daten aus historischen Dokumenten zu einer verbesserten Abschätzung des Risikos von Extremereignissen führe, so der Historiker. Was nicht zuletzt für die Sicherheit von Atomkraftwerken von Bedeutung ist: «Die Studie wurde für die Hochwassersicherheitsüberprüfung der AKWs Beznau und Leibstadt im Auftrag des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI) verwendet», sagt Wetter. Für die Schätzung eines 10'000-jährigen Hochwasserereignisses seien lange Hochwasserreihen, welche die instrumentellen Messreihen bei weitem übertreffen, von zentraler Bedeutung. «Eine als Grundlagenforschung konzipierte Untersuchung hat damit praktische Bedeutung gefunden», so Oliver Wetter.
Quelle: Universität Bern