"Ein Fund von europäischer Bedeutung" - Vergoldeter Pferdekopf aus Waldgirmes
Archivmeldung vom 29.08.2009
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.08.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBei Ausgrabungen in Waldgirmes (Gemeinde Lahnau/Lahn-Dill-Kreis) entdeckte ein Team unter Leitung von Frau Dr. Rasbach und Herrn Dr. Becker (beide Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts) am 12. August 2009 einen lebensgroßen Pferdekopf einer vergoldeten römischen Reiterstatue.
"Diese Bronzeskulptur gehört qualitativ zu den besten Stücken, die jemals auf dem Gebiet des ehemaligen Römischen Reichs gefunden wurden." Mit diesen Worten enthüllte Staatsministerin Eva Kühne-Hörmann während einer Pressekonferenz in Frankfurt im Beisein des Ersten Direktors der Römisch-Germanischen Kommission, Prof. Dr. Friedrich Lüth und des Landesarchäologen Prof. D. Egon Schallmayer den lebensgroßen Pferdekopf sowie einen Schuh des Reiters. Der Kopf ist in seinem Rang als archäologische Entdeckung an die Seite des Keltenfürsten vom Glauberg oder der Himmelsscheibe von Nebra zu stellen. "Der einzigartige Fund zeugt vom geplatzten Traum der Römer, ein unter Ihrer Herrschaft geeintes Europa im modernen Sinne zu schaffen. Waldgirmes ist also durchaus ein Fundort von europäischer Bedeutung", so auch Kühne-Hörmann.
Die Ausgrabungen in Waldgirmes hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Bruchstücke eines lebensgroßen Reiterstandbilds zutage gefördert, das wohl Kaiser Augustus (23 v. Chr. - 14 n. Chr.) darstellt. So wurden etwa ein Pferdefuß und ein schön verzierter Brustgurt des Pferdes gefunden. Im August 2009 entdeckten die Archäologen bei der Freilegung eines der beiden bisher nachgewiesenen Holzbrunnen nun den fast vollständigen Pferdekopf des Standbilds (ca. 55 cm lang und 25kg schwer), der in elf Metern Tiefe auf der Brunnensohle lag. Das Zaumzeug des Pferds ist mit sechs Zierscheiben reich geschmückt. Auf der Stirn befindet sich eine Platte mit der Darstellung des Kriegsgottes Mars, an den Seiten sind so genannte Viktorien (Siegesgöttinnen) angebracht.
Weist der Fund allein schon aufgrund des imperialen Hintergrunds auf
reichspolitische Zusammenhänge hin, so werden diese durch die
hervorragende künstlerische Qualität noch unterstrichen. Nur zwei
unmittelbar vergleichbare Stücke existieren im Gebiet des ehemaligen
Imperium Romanum: die beiden Reiterstatuen der sog. Cartoceto-Bronzen
aus Cartoceto di Pergola in der Provinz Pesaro/ Urbino, Region Marken,
in Italien - die Originale sind heute im Nationalmuseum in Ancona
ausgestellt. Ihre Datierung und die Identifikation der Dargestellten
sind in der Fachwelt allerdings umstritten. Der Neufund von Waldgirmes
könnte hier völlig neue Datierungs- und demzufolge auch
Identifikationsansätze bieten, denn zumindest die Aufstellungszeit der
Statue in der römischen Stadt an der Lahn lässt sich auf weniger als
zwei Jahrzehnte bestimmen.
Die Reiterstatue muss in den Jahren 4 oder 3 vor Christus - zur Zeit
der Anlage der römischen Stadt Waldgirmes - aufgestellt worden sein. Um
9 nach Christus, nach der Niederlage des Varus in der so genannten
Schlacht im Teutoburger Wald, gaben die Römer die Stadt auf. Das
Standbild wurde von nachfolgenden Germanen zerschlagen und der
Pferdekopf rituell in dem Brunnen versenkt, während die anderen Reste
weiterverwendet werden sollten.
Die Restaurierung und Konservierung des Pferdekopfs sowie der mittlerweile mehr als 100 weiteren, größeren und kleineren Bruchstücke des Reiterstandbilds erfolgt in der Werkstatt der Hessischen Landesarchäologie. Das Bronze- und Eisenmaterial sowie die als Oberflächenauflage erhaltenen Goldfolienreste werden dabei archäo-metallurgisch untersucht. Zugleich werden die Holzfunde der Brunnenverschalung, des Brunnenfasses und einzelner Holzgerätschaften restauriert und konserviert. Vorgesehen ist auch die archäobotanische Untersuchung des Brunneninhalts, denn dadurch können Einzelheiten des Vegetationsumfelds der römischen Siedlung festgestellt werden, was dann wiederum Aussagen zum Charakter der Kulturlandschaft in der Umgebung von Waldgirmes zulässt.
Die Aufarbeitung der archäologischen Funde - zu der darüber hinaus auch
die Auswertung der umfangreichen Grabungsdokumentation, des sonstigen
vielfältigen Fundmaterials und die Einordnung der Erkenntnisse in den
allgemeinen archäologisch-historischen Kontext gehört - erfolgt mit
Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie aus Mitteln
des Deutschen Archäologischen Instituts. Nach den Worten von Ministerin
Kühne-Hörmann stellt das Land Hessen zudem 150.000 Euro aus Mitteln des
Landesamts für Denkmalpflege zur Verfügung.
Zur Bearbeitung aller Funde und Befunde wird ein interdisziplinäres
Projektteam gebildet, zu dem Provinzialrömische und Klassische
Archäologen, Althistoriker, Numismatiker, Archäozoologen,
Archäobotaniker, Bodenkundler und Metallurgen gehören. Am Ende wird die
Publikation der insgesamt gewonnenen Ergebnisse stehen. Nach Abschluss
der Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten soll der Pferdekopf des
Reiterstandbilds im Rahmen einer Sonderausstellung an einem zentralen
Ort in Hessen der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Der endgültige Aufstellungsort des Reiterstandbilds und die
Präsentation der übrigen Funde werden noch festzulegen sein. Aus der
Region liegt eine von Regierungsbezirk Gießen, dem Lahn-Dill-Kreis und
der Gemeinde Lahnau unterstützte Machbarkeitsstudie zu einem
Museumspark "Römische Stadt an der mittleren Lahn" vor. Das könnte nach
den Worten der Ministerin vielleicht eine langfristige Perspektive
sein. Sie verwies zugleich aber auf die angespannte finanzielle Lage
der öffentlichen Haushalte.
Seit 1993 erforscht die Römisch-Germanische Kommission des Deutschen
Archäologischen Instituts unter jahrelanger Leitung von Prof. Dr.
Siegmar von Schnurbein in Zusammenarbeit mit der Landesarchäologie
Hessen in Waldgirmes die römische Stadtanlage aus der Zeit des Kaisers
Augustus. Maßgeblich unterstützt werden diese Untersuchungen von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Entdeckt worden war der Siedlungsplatz durch Luftbildbeobachtungen und
Lesefundaufnahmen ehrenamtlicher Beauftragter der Landesarchäologie.
1993 wurden erste Sondierungen im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms
"Kelten, Römer und Germanen im Mittelgebirgsraum" unternommen. Von 1996
bis 2000 fanden in einer Kooperation von Römisch-Germanischer
Kommission und Landesarchäologie großflächige Untersuchungen im Rahmen
einer Bauvoruntersuchung zur Erschließung neuer Gewerbeflächen in
Waldgirmes statt.
Seit 2001 ist das Forschungsvorhaben ein Langfrist-Projekt der DFG, das
von dieser bis 2011 gefördert wird. 2009 ist das Jahr der letzten
großflächigen Ausgrabungen am Ort, die noch bis etwa Mitte Oktober
dauern werden. Unterstützt werden die Ausgraben - wie in den Jahren
zuvor - vom Förderverein Römisches Forum Waldgirmes e.V., der Gemeinde
Lahnau und dem Lahn-Dill-Kreis.
Die Ausgrabungen der vergangenen Jahre haben die Reste einer planmäßig
angelegten zivilen römischen Stadt zutage gefördert. Sie liefert den
Beweis, dass sich die römische Militär- und Verwaltungsmacht hier einen
Platz geschaffen hat, von dem aus die weitere strukturelle und
verwaltungstechnische Entwicklung der germanischen Gebiete
vorangetrieben werden sollte.
Die Siedlung wurde kurz vor der Zeitenwende (4 oder 3 vor Christus)
gegründet, was dendrochronologische Datierungen der Holzbrunnen
belegen, und endete wohl 9 nach Christus mit der sogenannten Schlacht
im Teutoburger Wald oder spätestens mit dem Rückzug der Römer aus den
Gebieten östlich des Rheins im Jahr 16 nach Christus, als diese nach
mehreren Rückschlägen den Plan aufgeben mussten, Germanien rechts des
Rheins zur Provinz zu machen.
Eindrucksvoll ist die Gesamtanlage der Siedlung, die auf einer
regelrechten Stadtplanung beruht. Innerhalb einer Umwehrung, die von
einem holzverschalten Erdwall mit davor liegendem Graben gebildet
wurde, erfolgte die Anlage ganzer Siedlungs- oder Stadtquartiere mit
Einzelbauten unterschiedlicher Funktion und Nutzung. Im Zentrum
entstand auf 2.200 Quadratmetern das Forum mit Basilika, einem Bautyp
wie er im mediterranen Raum als Verwaltungs-, Gerichts- oder auch
Markthalle Verwendung fand.
Ein solcher Ort bringt die Macht des römischen Staats optisch zum
Ausdruck, wenn die Gesamtanlage eine eindrucksvolle Gebäudegestaltung
und entsprechende -höhen erreicht und die Bauwerke noch dazu innen und
außen entsprechend aufwändig gestaltet sind. Das allein hat aber den
Römern offenbar nicht genügt: Vor der großen Halle errichteten sie noch
fünf steinerne Postamente, auf denen die Standbilder der höchsten
Repräsentanten des Staats Aufstellung fanden. Es liegt auf der Hand,
dass hier nur die Statuen des regierenden Kaisers Augustus sowie die
seiner engsten Verwandten und Vertrauten standen, um das Imperium
Romanum zu repräsentieren. Im Zentrum kann dabei nur der Kaiser selbst
gestanden haben, dessen Abbild im Verständnis der Antike seine
Anwesenheit am Ort verkörperte.
Quelle: Deutsches Archäologisches Institut