Adolf Hitlers willige ausländische Helfer
Archivmeldung vom 12.07.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakDer Diktator erweckte gern den Eindruck, Deutschland könne allein die ganze Welt besiegen. Doch schon beim Krieg gegen die Sowjetunion kämpften Finnen, Rumänen, Slowaken und Ungarn mit den deutschen Soldaten. Rolf-Dieter Müller hat ein Standardwerk über die Wehrmacht und ihre Helfer geschrieben.
Hitler war langsamer als Napoleon. Abgesehen von einigen Dutzend Elitedivisionen zogen die meisten Soldaten der Wehrmacht wie die Grande Armée zu Fuß und mit Pferdegespannen durch Russland. Dennoch war der Korse schneller in Moskau gewesen als die deutschen Panzerkolonnen, die erst im Dezember dort eintrafen und dann über den Stadtrand von Stalins Regierungszentrale nicht hinauskamen.
In Napoleons Ostarmeen hatten mehr Ausländer als Franzosen gedient. Und sie waren weder gering geschätzt noch diskriminiert worden. Dagegen glaubte Hitler in Überschätzung der eigenen Möglichkeiten auf ausländische Unterstützung und die Mobilisierung von Bundesgenossen weitgehend verzichten zu können. Doch es kam anders.
Wie deutlich anders, ist öffentlich bislang nur wenig bekannt. Daher ist es das große Verdienst von Rolf-Dieter Müller, nun eine grundlegende Studie über Hitlers ausländische Helfer bei seinem „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ vorzulegen, die ein neues Licht auf den deutsch-sowjetischen Krieg 1941-1945 wirft.
Wehrmacht brauchte die Hilfe
Bereits in der ersten Phase von Hitlers Ostfeldzug machten die Verbündeten der Wehrmacht und die Freiwilligen aus allen Teilen Europas knapp eine Million Mann aus: 476.000 Finnen, 325.685 Rumänen, 41.000 Slowaken, 45.000 Ungarn und 43.000 ausländische Freiwillige standen neben drei Millionen deutschen Soldaten.
Während die durchschnittliche Stärke der
Wehrmacht in den folgenden Jahren auf rund 2,5 Millionen Mann sank, erhöhte
sich der Einsatz von Ausländern um eine weitere Million. Dabei handelte es
sich in der Masse um ehemalige Sowjetbürger, die sich bereit fanden, auf
deutscher Seite gegen den Bolschewismus zu kämpfen.
Diese
Größenordnungen lassen Müller die militärischen Dimensionen an der deutschen
Ostfront neu bewerten. Der Wissenschaftliche Direktor im
Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam und Professor für
Militärgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin formuliert drei
Thesen, die nicht nur die Fachwelt werden aufhorchen lassen. Erstens: Ohne
den Einbau der verbündeten Armeen – von Hitler eher lustlos und ohne große
Erwartungen betrieben – hätte die Wehrmacht 1941 nie bis vor die Tore
Moskaus marschieren können.
Durch den Einsatz der finnischen,
ungarischen und rumänischen Wehrpflichtigen konnte die Ostfront nach Norden
und Süden erheblich ausgedehnt und abgedeckt werden. Bei 2.000 Kilometern
Frontlinie wurden 600 Kilometer von den Finnen gehalten, weitere 600
Kilometer von Ungarn und Rumänen. Auf diese Weise war die Wehrmacht in der
Lage, die Masse des Ostheeres im Zentrum gegen Moskau zu konzentrieren. Die
Bindung der sowjetischen Hauptarmee in der Ukraine vor allem durch die
deutschen Verbündeten ermöglichte den Erfolg der größten Kesselschlacht der
Weltgeschichte bei Kiew 1941.
Freiwillige waren für Krieg unverzichtbar
Zweitens ist Müller davon überzeugt, dass Hitler ohne die Mobilisierung zusätzlicher Kräfte der Verbündeten seine neue Sommeroffensive 1942 in Richtung Wolga und Kaukasus nicht hätte durchführen können. Denn die Verbündeten sicherten die weite Flanke an Wolga und Don. So ermöglichten sie den riskanten Vorstoß zu den Ölfeldern des Kaukasus. Dazu trugen auch Hunderttausende von einheimischen Freiwilligen bei, die als „Hilfswillige“ oder in bewaffneten Formationen den Vormarsch der Wehrmachtsdivisionen unterstützten.
Und, so Müllers dritte These, die Wehrmacht konnte spätestens nach der Katastrophe von Stalingrad einen Zusammenbruch der Ostfront nur mit Hilfe der ausländischen Helfer verhindern. Ihre größte Bedeutung hatten sie bei der Sicherung des Hinterlandes und der Bekämpfung der Partisanen. So führten 1943 allein im Baltikum 107 Bataillone „Schutzmannschaften“ mit 60.000 Mann den Kampf gegen die Partisanen.
Zugleich trugen sie nach wie vor in Finnland und in der Ukraine auch in Frontverbänden zur Stabilisierung der Ostfront bei. Wegen der Verkürzung der Front durch die Rückzüge 1943/44 fiel das Ausscheiden der großen Verbündeten Finnland, Italien und Rumänien nicht stärker ins Gewicht. Als letzter Verbündeter ermöglichte Ungarn, dass Hitler im Frühjahr 1945 seine letzte Offensive an der Ostfront zumindest beginnen konnte. Auch im letzten Kriegsjahr hing die Mobilität der Wehrmacht nicht nur vom Treibstoff, sondern auch von fast einer Million Freiwilliger der osteuropäischen Völker ab.
Soldaten aus "eingedeutschten" Gebieten
Dabei übersieht Müller den Umstand nicht, dass der millionenfache Einsatz von ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen sowie die Produktion im Hinterland der Ostfront die Wehrmacht ab 1942 überhaupt erst materiell in die Lage versetzte, den Abnutzungskrieg gegen einen überlegenen Gegner weitere drei Jahre führen zu können. In der Schlussphase des Krieges 1944, als das NS-Regime fast sämtliche ideologischen und rassischen Vorurteile fallen ließ, wenn es um die Rekrutierung von Soldaten ging, stammten 763.000 Mann allein aus den annektierten und „eingedeutschten“ Gebieten, also acht Prozent der Ist-Stärke der gesamten Wehrmacht.
Die ausländischen Soldaten und „Hilfswilligen“ hinzugerechnet, dürfte die Gesamtzahl der nichtdeutschen Soldaten innerhalb von Wehrmacht und Waffen-SS bis zu 20 Prozent ausgemacht haben – in der Masse an der Ostfront eingesetzt, wo ihr Anteil deutlich höher gewesen ist. Zwang oder Freiwilligkeit – diese politisch-moralische Dimension kann auch Müller angesichts der vielfältigen Formen der ausländischen Beteiligung und der Veränderungen im Kriegsverlauf nicht immer klar definieren: Die wehrpflichtigen Soldaten der verbündeten Armeen mögen freudig oder nicht nach Osten marschiert sein, freiwillig kämpften dort wohl die wenigsten.
Das gilt vermutlich auch für die meisten deutschen Soldaten. Politisch motivierte Freiwilligkeit kann Müller am ehesten bei den ausländischen Legionären aus Süd-, West- und Nordeuropa ausmachen. Aber nur ein Teil von ihnen gehörte zu den sogenannten germanischen Freiwilligen, die von der SS bevorzugt genommen wurden.
Osteuropäische Länder wollten unabhängig sein
Bei den osteuropäischen Völkern kamen das Streben nach Unabhängigkeit vom russischen Imperium und die Erfahrung des Stalinismus hinzu. In Teilen Ostmitteleuropas entwickelten sich bürgerkriegsähnliche Situationen und zerfallende Kriegsgesellschaften, wo nur der Kampf ums Überleben zählte. Dennoch oder deswegen überdauerten sogar größere militärische Formationen, die den Kampf gegen das Sowjetsystem nach dem Rückzug der Deutschen bis weit in die Nachkriegszeit hinein fortsetzten.
Müller zeigt eindrucksvoll, dass der landläufige Begriff der Kollaboration untauglich ist, um das Phänomen ausländischer „Helfer“ für Hitlers Wehrmacht in seiner Vielfalt und Vielschichtigkeit zu erfassen. In seinem Wortsinn – Bereitschaft zur Zusammenarbeit – eigentlich unpolitisch, diente er während des Krieges der Anti-Hitler-Koalition zur Ausprägung von Feindbildern gegenüber den vermeintlichen Verrätern in den eigenen Reihen beziehungsweise in den besetzten Gebieten. Kollaboration wurde zum Odium für alle, deren man sich bei Kriegsende entledigen wollte. Es betraf Schuldige und Unschuldige, große und kleine Täter, die sich nicht nur auf die Seite des Feindes geschlagen, sondern auch an den Verbrechen beteiligt hatten.
Antikommunismus und Antisemitismus hatten
tatsächlich viele der Freiwilligen oder Kollaborateure zu Terror und Mord
gegen eigene Landsleute veranlasst. Die Frontkämpfer unter ihnen konnten
sich aus dieser Verantwortung nicht heraushalten.
In
Deutschland brauchte es mehr als eine Generation, um ein differenziertes
Bild von Hitlers Ostkrieg zu schaffen, bei dem durch den Autor Müller nun
auch die ausländischen Helfer nicht mehr ausgeblendet sind.