HIStory: Der Council on Foreign Relations - Teil 2
Archivmeldung vom 18.09.2023
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićHerzlich willkommen zu einer neuen Folge von HIStory! Mein Name ist Hermann Ploppa. Heute setzen wir unsere Erzählung über das zentrale Gehirn und Nervenzentrum der US-amerikanischen Finanzkapitalismus, den Council on Foreign Relations, fort. Wir hatten in einer früheren Folge von HiStory diese Denkzentrale in New York seit den Anfängen im Jahre 1921 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges beschrieben.
Der Council on Foreign Relations, also der Rat für Auswärtige Beziehungen, wurde von mächtigen Bankiers, Konzernherren, Politikern, Wissenschaftlern und Medienleuten gegründet, um die Außenpolitik der USA professioneller und effektiver zu gestalten. Der Council on Foreign Relations hatte einerseits darauf geachtet, dass sein Personenkreis klein und handverlesen blieb. Andererseits hatten die Council-Leute auch immer der Öffentlichkeit und der Regierung ihre Vorstellungen von guter Politik durch eigene Veröffentlichungen mitgeteilt.
Mit der Zeit klappte die Verzahnung dieser exklusiven Denkfabrik mit Regierung und Parlament immer besser. Im Zweiten Weltkrieg hat dann der Council on Foreign Relations die Weltordnung nach dem Krieg formuliert und die Nachkriegsordnung entscheidend geprägt. Nachdem im Council nicht klar war, ob man die Sowjetunion in die kapitalistische Weltordnung mit einbeziehen sollte, setzte sich dann doch die Meinung durch, dass man gegenüber dem einstigen Kriegsverbündeten Sowjetunion eine konfrontative Haltung einnehmen sollte. Mittlerweile war die Macht des Council on Foreign Relations so groß geworden, dass ein Nationaler Sicherheitsrat eingerichtet wurde, der an Regierung und Parlament vorbei die eigentliche Regierung darstellte.
Der Council on Foreign Relations drang nämlich nach dem Zweiten Weltkrieg tief in den Regierungsapparat der USA ein. Die Vision des Council on Foreign Relations-Vordenkers Walter Lippmann war Wirklichkeit geworden: Eine diskret agierende neue Kaste von Politikberatern ignorierte weitgehend die Regeln der demokratischen Gewaltenteilung. Der Nationale Sicherheitsrat traf die Schlüsselentscheidungen, fernab jeder parlamentarischen Kontrolle.
Mit dem 1952 neu ins Amt gewählten US-Präsidenten Dwight David Eisenhower regierte es sich noch wesentlich einfacher als unter seinem Amtsvorgänger Harry Truman oder gar unter dessen Vorgänger Franklin Delano Roosevelt. Denn Eisenhower war ebenfalls Mitglied im Council on Foreign Relations.. Ihm zur Seite stand John Foster Dulles, seines Zeichens Council on Foreign Relations-Mitglied und nebenbei neuer Außenminister. Auf dem Fundament des Geheimkabinetts und der gigantischen Vervierfachung des Rüstungsetats im Jahre 1950 verschärfte Außenminister Dulles die Gangart gegenüber der Sowjetunion. An die Stelle des Containments, also der Einhegung der Sowjetunion in ihren eigenen Machtbereich, trat nun die Doktrin der „massiven Vergeltung“.
Bezeichnenderweise wählte John Foster Dulles ein Dinner des Council on Foreign Relations am 12. Januar 1954 in New York, um der durch Rundfunk und Fernsehen anwesenden Öffentlichkeit zu verkünden: „Regionale Verteidigung muss verstärkt werden durch die ergänzende Abschreckung der massiven Vergeltungskraft.“ „Massiv“ meint: nukleare Attacke. Wenn also die Rote Armee Westberlin einnehmen sollte, würde das durch einen atomaren Gegenschlag auf Moskau von den USA quittiert. Eine solche Zuspitzung spannte die gesamte Welt an den beiden Polen USA und Sowjetunion auf.
Doch zu den Kennzeichen des Council gehört die unermüdliche Überprüfung der eigenen Produkte. Auch das Produkt „massive retaliation“ des unendlich mächtigen Wall Street-Anwaltes Dulles wird von der Arbeitsgruppe Nuclear Weapons and Foreign Policy unter der Leitung des aufstrebenden Henry Kissinger unter die Lupe genommen – und dann publikumswirksam verworfen. Denn Kissinger stellt die Befunde in einem Buch vor, das 1957 in die Bestsellerlisten vorrückt <1>.
Kissingers Schlussfolgerung: Wenn die USA bei jedem kleinen Regionalkonflikt zwischen den Supermächten gleich mit der Apokalypse drohen, dann aber doch vor der letzten Konsequenz zurückschrecken, verliert die amerikanische Supermacht rasch an Glaubwürdigkeit. Das hatte sich kurz zuvor im Jahre 1956 gezeigt. In Ungarn gab es einen Volksaufstand, den sowjetische Panzer blutig niederschlugen. Die Amerikaner hatten vollmundig über Radio ihre Hilfe für die Aufständischen angekündigt. Es passierte aber rein gar nichts. Das war nicht gut für das Image der damaligen Supermacht USA. Das Konzept des „Alles oder Nichts“ wurde der Lächerlichkeit preis gegeben. Kissinger erarbeitete mit seiner Studiengruppe das Konzept der „Flexible Response“, also zu Deutsch: der flexiblen Antwort. Wenn jetzt die Sowjetunion den USA in die Quere kommen sollte, würde man erst mal Diplomaten vorschicken um zu fragen, was das soll. Falls das nicht fruchtete, würde man auch mal mit konventionellen Waffen winken. Wenn aber auch das nichts brachte, könnte man als letzte Antwort auch Atomwaffen einsetzen.
Doch ein weiteres Motiv dürfte beim Council on Foreign Relations ausschlaggebend für die flexible Wende gewesen sein. Council on Foreign Relations-Geschäftsleute wie Harriman oder Rockefeller hatten die Erfahrung gemacht, dass sich mit kommunistischen Staaten wunderbare Geschäfte abschließen ließen. War es nicht viel besser, hinter den ideologischen Äußerungen der kommunistischen Staaten jeweils nationalistische Interessen erkennen zu können?
Kissinger kam mit seiner Philosophie des „außenpolitischen Realismus“ wie gerufen. Und so interpretierte Kissinger die Weltlage um 1960 als ein Gleichgewicht der beiden Großmächte USA und Sowjetunion, zu denen sich jetzt die Volksrepublik China gesellte. Wenn die USA sich mit China anfreundet, wird die Sowjetunion gezwungen sein, einer amerikanisch-chinesischen Übermacht in vielen Punkten nachzugeben. Die Aussicht auf einen erweiterten kapitalistischen Weltmarkt sowohl mit der Sowjetunion als auch mit China gelangt erneut in den Mittelpunkt der Council-Planspiele.
Nun hätten sich die Strategen des Council on Foreign Relations auf ihren Lorbeeren ausruhen können: ausländische Staatsgäste besuchten, vor dem Stelldichein beim Präsidenten, zuerst die Council-Zentrale in New York, um „von Angesicht zu Angesicht mit den einflussreichsten Männern des Landes geredet“ zu haben. <2> Staatsmänner wie Chruschtschow oder Kwame Nkrumah publizierten in der Hauszeitung des Council, den Foreign Affairs. Und wer im Bereich Außen- oder Sicherheitspolitik in Washington was werden wollte, musste seine Karriere beim Council, „dieser Schule für Staatsmänner“, beginnen. Der Council on Foreign Relations stellte das Scharnier dar, durch das die Interessen der New Yorker Finanzwelt immer im Weißen Haus durchgesetzt wurden, egal ob Demokraten oder Republikaner regierten. Dazu wusste ein Insider zu berichten „So wird inoffiziell die Kontinuität gewahrt, wenn in Washington die Wache wechselt.“ <3>
Doch mit der Zeit machte sich sogar beim Council on Foreign Relations eine krisenhafte Verunsicherung breit. Der Aufstieg der Bürgerrechtsbewegung irritierte genauso wie die nicht zu übersehende Stagnation der US-Militärmacht in Vietnam und der damit einher gehende Volkszorn in den USA selber. Also raffte sich Anfang der 1970er Jahre der Council zu einer „drastischen Generalüberholung“ der Weltordnung von Bretton Woods auf. Die seit der Konferenz von Bretton Woods im Jahre 1944 für alle Länder der Welt gültige Deckung des Dollars durch Gold wurde 1973 offiziell aufgekündigt. Wie sollte es in der veränderten weltpolitischen Lage weitergehen? Die klugen Köpfe wurden zusammen gerufen, um im „Projekt 1980“ Wege aus der Sackgasse zu weisen. Das „Projekt 1980“ sollte in zahlreichen Arbeitsgruppen eine schonungslose Bestandsaufnahme anfertigen sowie als Zukunftswerkstatt die Welt von morgen entwerfen.
Als erstes wirft der Council on Foreign Relations mit seinem neuen „Projekt 1980“ Kissingers Theorie vom Gleichgewicht der Mächte über Bord. In einer Zeit, in der multinationale Konzerne bereits die Umsatzgröße mittlerer Nationalstaaten erreicht hatten und durch die Beschleunigung der internationalen Geldflüsse Konzerne manövrierfähiger waren als Staaten, da konnten nationale Regierungen nicht mehr das erstrangige Subjekt des Handelns darstellen. Internationale Akteure arbeiten quer durch die nationalen Grenzen. Die Rede ist jetzt von der „Interdependenz“. Das meint die gegenseitige Abhängigkeit unterschiedlichster Akteure über Grenzen hinweg. Eine solche Welt kann nur noch durch internationale Apparate wirkungsvoll gehandhabt werden.
Die erste Konsequenz aus der Interdependenztheorie ist, dass der Council sich als Trilaterale Kommission ausweitet. Trilateral steht für die drei Seiten, die man nun fest zusammenschweißen will: USA, Europa und Japan. Council on Foreign Relations und Trilateral Commission dehnen ihren Aufgabenbereich angesichts des Bedeutungsverlustes der Nationalstaaten auf die Bereiche Innenpolitik und nationale Wirtschaftsordnung aus.
In der stimulierten, synchronisierten Weltarena treten viele neue Akteure in Erscheinung. Sie alle fordern Teilhabe an der Macht. Miriam Camps entwickelt im Auftrag des Council on Foreign Relations Vorschläge, wie das befürchtete Chaos durch zu viele Mitspieler auf der Weltbühne vermieden werden kann. Dass z.B. Tonga in der UN-Vollversammlung dasselbe Stimmrecht hat wie die USA, führe nur zur Blockade. Man müsse sich aufraffen, einige Spieler auszuschließen und abgestufte Zugangsrechte zu globalen Entscheidungsprozessen einzurichten. Das Papier fordert „mehr exklusive Gruppen, ein gewichtetes Abstimmungsrecht, neue Techniken der Vertretung und möglicherweise verschiedene Kammern oder Ebenen in einigen Weltorganisationen.“ <4> Es sollte möglich sein, so das Denk-Papier, „die ‚Management’-Aufgaben von den partizipatorischen, legitimierenden Funktionen zu trennen.“ <5> So vornehm kann man die Forderung nach Abschaffung der Demokratie auch formulieren …
Die Akteure der wichtigen Weltregionen – das sind von jetzt ab laut Council on Foreign Relations: Nordamerika, Europa und Asien – sollen in einem solchen Netzwerk von Bündnissen und Institutionen das US-amerikanische Betriebssystem des Kapitalismus durchsetzen. Denn: „Die amerikanische Macht ist nicht ewig.“ <6> Der Anteil US-amerikanischer Wirtschaftstätigkeit betrug 1945 etwa fünfzig Prozent der Weltwirtschaft, und war seitdem kontinuierlich abgesunken. So wie dereinst das antike Rom implodierte, sich aber die römischen Regelwerke in der Vernetzung der katholischen Kirche bis heute erhalten konnten, so hoffen die Theoretiker der US-Hochfinanz im Council on Foreign Relations, die für sie so vorteilhafte US-Variante des Wirtschaftens für alle Zeiten durch ein trilaterales Netz bewahren zu können: „Und weil Amerikas beispiellose Machtfülle dazu verurteilt ist, mit der Zeit dahinzuschwinden, steht an erster Stelle, den Aufstieg anderer Regionalmächte in einer Weise zu bewerkstelligen, die nicht Amerikas Erstrangigkeit bedroht.“ <7>
Für die USA, so dekretiert der Direktor der Trilateral Commission, Zbigniew Brzezinski, ist die eurasische Kontinentalplatte „der wichtigste geopolitische Gewinn“, und dort besonders die zentralasiatische Region, die natürliche Gas- und Ölreserven von Kuwait, dem Golf von Mexiko und der Nordsee „winzig erscheinen lassen“. Brzezinski fordert, China, Russland, den Iran sowie die Türkei fest in das trilaterale Bündnis einzubinden.
Es genügt nicht, die neuen Verbündeten mit Hard Power, also Militär- und Sicherheitstechnik sowie überlegener Wirtschaftsmacht einzuhegen. Genauso wichtig ist der Gewinn der kulturellen Hegemonie, der Soft Power. Council on Foreign Relations-Vordenker Joseph Nye, der sich auf Antonio Gramsci beruft, argumentiert zunächst ganz wirtschaftlich: „Wenn die USA Werte repräsentieren, denen andere folgen möchten, wird uns die Führung weniger kosten.“ Die USA agieren wie kluge Eltern, deren „Macht über die Kinder größer ist und länger dauert, wenn sie sie mit den richtigen Überzeugungen und Werten erzogen haben …“ <8>
So studieren pro Jahr 500.000 Studenten aus aller Welt in den USA, die dann als Eliten in ihren Heimatländern die Anbindung an den American Way of Life mit der größten Selbstverständlichkeit durchsetzen. Ganz geräuschlos vollzog sich so hinter den Kulissen in der europäischen Politik eine „transatlantische“ Wende, die jetzt unübersehbar Früchte trägt.
Denn im Laufe der letzten zwanzig Jahre wurde eine institutionelle Anbindung Europas an die USA durchgeführt, die nur noch schwer rückgängig zu machen ist. Der Council on Foreign Relations-Vordenker John Ikenberry sagt dazu: Das beste Mittel, „die Beziehungen unter den größten westlichen Staaten zu ‚domestizieren’“ <9>, besteht in der Einrichtung eines transatlantischen Freihandelsabkommens, das „das Risiko einer zunehmenden Wirtschaftsrivalität zwischen einer stärker vereinten EU und den USA abmildert“. <10> Unter der Regie von Council on Foreign Relations und Trilateral Commission hat ein ganzes Netz von Organisationen der Soft Power die europäischen Gesellschaften immer feinmaschiger durchdrungen.
Ganz oben befinden sich die Runden Tische, in denen Konzerndirektoren und Finanzgrößen mit Politikberatern in lockerer Runde die allgemeinen Richtlinien der Politik für die nächsten Jahre besprechen. Auf amerikanischer Seite existiert seit 1972 der Business Roundtable. Seine spiegelbildliche Entsprechung auf europäischer Seite stellt der 1983 gegründete European Round Table of Industrialists dar. Fünfundvierzig Top-Manager bilden den inneren Kreis. Für Deutschland dabei: Henning Kagermann vom Software-Konzern SAP, Wulf Bernotat vom Energiekonzern e.on, Gerhard Cromme von Thyssen-Krupp und Manfred Schneider vom Chemiekonzern Bayer.
Die Vorgaben der Runden Tische werden zum einen an die europäischen Politiker weitergereicht. Der Transatlantic Business Dialogue hat in seinem Gründungsjahr 1995 siebzig „Empfehlungen“ für den USA-EU-Gipfel im Dezember 1995 in Madrid ausgearbeitet, die „New Transatlantic Agenda“. Die anwesenden Regierungen übernahmen bereitwillig die Vorschläge aus USA. Während der Transatlantic Business Dialogue die EU-Administration in Brüssel betreut, kümmert sich das Transatlantic Policy Network um die Europa-Abgeordneten in Strasbourg.
Zum anderen erreichen die Vorgaben der Runden Tische wissenschaftliche Netzwerke. Die Gesellschaft für Auswärtige Politik ist die offizielle „Partner“organisation des Council on Foreign Relations für Deutschland. In Ansätzen bereits 1946 aktiv, wurde die DGAP 1955 zeitgleich mit dem Deutschlandvertrag offiziell aus der Taufe gehoben. Karl Kaiser und Erwin Scheuch sind zwei prominente Personen aus diesem Institut. Die Stiftung Wissenschaft und Politik ist offiziell der Ratgeber der Bundesregierung in Fragen der Außenpolitik. Dieses private Institut ergreift ebenfalls energisch Partei für eine unverrückbare Zusammenschweißung der Wirtschaftsräume der USA und Europas, wie wir den Verlautbarungen dieser Kreise entnehmen: „Auch innerhalb der EU ist Deutschland derzeit gut positioniert, um die widerstreitenden Interessen der Mitgliedstaaten in der Perspektive einer ambitionierten transatlantischen Integrationsagenda zusammenzuführen.“ <11> Das könnte „die Führungsrolle von EU und USA in der Welthandelsorganisation WHO stärken.“
Die Rekrutierung des transatlantischen Nachwuchses besorgt neben dem allseits bekannten Fulbright-Stipendium der weniger bekannte German Marshall Fund of the US. Dieser wurde 1972 von dem außergewöhnlich eifrigen Transatlantiker Willy Brandt quasi verordnet, und kostete die Steuerzahler in der ersten Rate 150 Millionen DM. Seitdem sind noch weitere erkleckliche Summen aus dem Steuerzahlertopf hinzugekommen.
Gleichermaßen verdiente wie verdienende Leistungsträger aus Politik, Wissenschaft, Medien und Kultur treffen sich seit 1952 in der Atlantik-Brücke. In diesen Kreis wird man handverlesen. Der langjährige Präsident der Atlantik-Brücke, Arend Oetker, bekennt in dankenswerter Offenheit: „Die USA werden von 200 Familien kontrolliert. Wir möchten gerne mit diesen Familien gut Freund sein.“ Das spiegelbildliche Gegenstück auf USA-Seite stellt der vom Hamburger Bankier Erich Warburg und dem Council on Foreign Relations-Funktionär John McCloy 1952 gegründete American Council on Germany dar.
Es ist schöne Sitte, dass ein neu gekürter deutscher Regierungschef sich im ersten Vierteljahr seiner Amtszeit in New York beim ACG einfindet und den US-Unternehmern Bericht erstattet. So auch Angela Merkel am 12. und 13. Januar 2006. Beim American Council on Germany sagte sie ganz eilfertig: „Wir müssen uns entscheiden, ob wir uns in einem Kampf um Boeing und Airbus verklammern, oder ob wir uns auf die weit bedeutendere Frage konzentrieren, wie wir alle zusammen … mit China umgehen sollen.“ Auf Kosten des deutschen Steuerzahlers darf schließlich noch das Aspen Institute in Berlin für die Irak-Invasion und gegen eine europäische Selbständigkeit agitieren.
Alle hier genannten Einrichtungen sind selbstverständlich pro forma absolut eigenständig. Jedoch findet sich in allen diesen Gruppen als harter Kern das immer gleiche Personal der „üblichen Verdächtigen“. Es hat sich nämlich in Deutschland mittlerweile jenes Modell der Herrschaft durch informelle Seilschaften – Walter Lippmann sprach etwas nobler vom „social set“ – etabliert, das für die angloamerikanischen Gesellschaftsformationen so kennzeichnend ist. Ob im Deutschlandfunk, ob in Talkshows, oder wo auch immer: das Personal von „Experten“, das zu jedem beliebigen Thema befragt wird, ist – gelinde gesagt – überschaubar. Und es gehört komplett zum „transatlantischen“ Netzwerk.
Wenden wir uns abschließend noch der Frage zu, ob der Council on Foreign Relations nicht mittlerweile von noch aggressiveren Neokonservativen und christlichen Fundamentalisten beiseite gedrückt worden sein könnte.
Viele Council on Foreign Relations-Größen raufen sich die Haare angesichts der Flurschäden, die das inkompetente und rücksichtslose Bush-Regime im fragilen internationalen Bündnisgewebe dereinst verursacht hatte. Joseph Nye geißelt den „Unilateralismus“ der Bushisten. Das meint: Die Bushisten lassen ihre „Verbündeten“ gar zu deutlich spüren, dass deren Meinung ihnen schnuppe ist. Das Project for a New American Century stellt sich energisch gegen die Vision des Council on Foreign Relations, die Nation USA schleichend in einer globalen Pax Americana aufgehen zu lassen.
Immer lauter wird der Groll der Council-Männer gegen die allgegenwärtige Israel-Lobby, angeführt von deren Frontgruppe, der AIPAC. Deshalb wagte Council on Foreign Relations-Mitglied John Mearsheimer zusammen mit Stephen Walt den Frontalangriff auf die AIPAC-Seilschaft. Ihr Buch zum Thema wetteiferte einst um den Spitzenplatz in der US-Bestsellerliste mit einem Buch von Norman Podhoretz, in dem dieser die Invasion in den Iran forderte. Ironie dabei: Auch Israel-Lobbyist Podhoretz ist Council-Mitglied.
Doch die Mehrheitsmeinung im Council on Foreign Relations lautet, durch zahlreiche Denkschriften bekundet, dass die Bush-Regierung sich im Irak und Afghanistan verzettelte, und dass der alleinige Einsatz der Hard Power dem Iran und anderen Anrainerstaaten langfristig in die Hände spielen würde. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren, in denen die US-Streitkräfte immer tiefer im irakischen Sand versanken, ein erstarkendes Gegenbündnis in der Region formiert: die Shanghai Cooperation Organization. Die SCO stellt strukturell eine Kopie der westlichen Bündnissysteme dar. Der SCO gehören China, Russland, die zentralasiatischen Republiken, und als Beobachter, Indien, Afghanistan und der Iran an. Und je länger die Hardliner in Washington in jener Region Porzellan zerschlugen, um so deutlicher wird die SCO zu einem Abwehrinstrument gegen die US-amerikanischen Anmaßungen. Dabei hätte Brzezinski die SCO gerne als Teil der trilateralen Ordnung eingebunden.
Und so redete der Altmeister der verfeinerten Pax Americana, Brzezinski, im Jahre 2007 Tacheles: der War on Terror sei eine „bedeutungslose Phrase“. Die USA seien auf dem Weg in eine selbstverschuldete Lähmung. Es herrsche Demoralisierung und eine „Kultur der Furcht“ durch „fortgesetzte Gehirnwäsche“ im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, angestiftet durch eine aufgeblähte Sicherheitsindustrie. Eine paranoide Stimmung greife um sich, in der gegen Araber gehetzt werde wie im Nazireich gegen Juden. <12>
Solche Töne veranlassten europäische Kongressveranstalter, Council on Foreign Relations-Leute als Kronzeugen gegen den Bush-Terror mit offenen Armen zu empfangen. Unstreitig gibt es eine große Meinungsvielfalt im Council on Foreign Relations. Council-Mitglied Paul Krugman z.B., ein hochrangiger Ökonom, fordert mehr soziale Gerechtigkeit und erinnert nachdrücklich an Roosevelts New Deal, der dem Wildwuchs der Finanzspekulanten Einhalt gebot. Council on Foreign Relations-Vordenker Robert Putnam fordert einen Administrationsstil, der den Bürgern dient, sie ernst nimmt und die Zivilgesellschaft fördert – und auf diese Weise das von ihm so genannte „Soziale Kapital“ anwachsen lässt.
Doch die Grundlagen der Council on Foreign Relations-„Philosophie“ sind unantastbar. Nach wie vor schwört der Council auf unbeschränkte Herrschaft der Technokraten und hält nichts von einer Regierung durch das Volk. Das paternalistische Bevormundungs-Paradigma steht über allen anderen Überlegungen. Es ist immer noch gültig, was ein Denkpapier in den 1970er Jahren festgeklopft hatte: „Die Arenen, wo demokratische Prozeduren angemessen erscheinen, sind … begrenzt.“ <13> Am Betriebssystem „Pax Americana“ wird nicht gerüttelt. Die Council on Foreign Relations-Vordenker werden immer hartnäckig ignorieren, dass der Verlust an Stabilität und Ordnung gerade durch die privatisierte Variante des Bretton-Woods-Systems und der nachfolgenden Entstaatlichung und Deregulierung verursacht worden ist.
Die Vordenker des Council on Foreign Relations können und dürfen keine ehrliche Tiefenanalyse der globalisierten Misere vornehmen. Denn die Geldgeber aus den Kreisen der Investmentbranche, wie z.B. Goldman Sachs oder Morgan, werden sich wohl kaum von ihren Council on Foreign Relations-Theoretikern ans Zaumgeschirr legen lassen. Und so steuern die USA immer schneller und unerbittlicher auf ihren Niedergang zu. Es gibt heute keine Instanzen in den USA mehr, die den Mächtigen den Spiegel vorhalten könnten.
Wir lernen aus der Geschichte, wie wir die Zukunft besser machen.
Hier der Link zum 1. Teil: https://apolut.net/history-der-council-on-foreign-relations-teil-1/
Quellen und Anmerkungen:
- <1> Henry A. Kissinger: Nuclear Weapons and Foreign Policy. New York 1957
- <2> Robert D. Schulzinger: The Wise Men of Foreign Affairs – The History of the Council on Foreign Relations. New York 1984. S.146
- <3> Beide Zitate von Joseph Kraft, Harper’s, Juli 1958, in Schulzinger, S.146
- <4> Miriam Camps: The Management of Interdependence – A Preliminary View. CFR New York 1974. S.59
- <5> a.a.O. S.94
- <6> Joseph S. Nye: Das Paradox der amerikanischen Macht – warum die einzige Supermacht Verbündete braucht. Hamburg 2003. S.17
- <7> Zbigniew Brzezinski: The Grand Chessboard – American Politics and its Geostrategic Imperatives. New York 1997. S.198
- <8> Nye a.a.O. S.30
- <9> John Ikenberry, zitiert in Brzezinski, a.a.O. S.29
- <10> RAND-Studie, zitiert nach Brezezinski, a.a.O. S.199
- <11> Volker Perthes/Stefan Mair (Hg.): Europäische Außen- und Sicherheitspolitik – Aufgaben und Chancen der deutschen Ratspräsidentschaft. Berlin September 2006. S.50
- <12> Zbigniew Brzezinski: How a Three-Word Mantra Has Undermined America” Washington Post, 25.3.2007
- <13> Samuel Huntington in: Crozier/Huntington/Watanuki: The Crisis of Democracy. New York 1975. S.114
Quelle: apolut