Entzerrte Weltkarte
Archivmeldung vom 14.08.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWo liegt eigentlich diese fast mythische Insel im hohen Norden, die schon die alten Griechen rund 325 Jahre vor der Zeitenwende als "Thule" bezeichneten? Frank Neitzel und Dieter Lelgemann vom Institut für Geodäsie und Geoinformationstechnik der Technischen Universität Berlin (TUB) versuchen das Geheimnis zu lüften, wenn sie die berühmte Weltkarte des Klaudios Ptolemaios entzerren.
Der griechische Geograf hat nämlich bereits im zweiten Jahrhundert nach der Zeitenwende eine Weltkarte entworfen, auf der auch Thule vorkommt, sechs Tagesreisen nördlich von Britannien sei diese Insel nach früheren Angaben zu finden.
Genau bei solchen Daten aber liegt das Problem. Ptolemaios hat
zwar mehr als 6000 Orte zwischen China, Sri Lanka, Zentralafrika und Britannien
in seinen Karten und Büchern genannt, die dazugehörigen geografischen Daten aber
sind aus verschiedenen Gründen nicht immer richtig. So haben sich beim
Abschreiben dieser Werke immer wieder Fehler eingeschlichen, die eine
Interpretation der Karte schwierig machen. Viele Orte existieren längst nicht
mehr oder ihr Name hat sich im Laufe der Jahrhunderte so stark verändert, dass
er kaum noch wiedererkannt werden kann.
Obendrein waren auch die
ursprünglichen Angaben in der Weltkarte des Ptolemaios nicht immer völlig
korrekt. So hat sich der griechische Geograf oft auf die Aussagen anderer
verlassen, die manchmal Jahrhunderte vor ihm gelebt hatten. Auch damals aber
haben sich in der Überlieferung mit Sicherheit Fehler eingeschlichen. Obendrein
wurden die Entfernungen damals in Stadien gemessen, die aber nicht immer
einheitlich lang waren.
Wer die Karte des Ptolemaios also im 21. Jahrhundert
nutzen möchte, um zum Beispiel Thule oder andere historische Orte
wiederzufinden, muss erst einmal alle diese Fehler aufdecken. Dazu muss er die
Karte sozusagen so lange entzerren, bis sie einer modernen Karte mit ihren
relativ exakten geometrischen Angaben entspricht. Genau diese Aufgabe haben die
TUB-Forscher Eberhard Knobloch, Dieter Lelgemann und Frank Neitzel in einem
Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Angriff genommen.
Zunächst
einmal versucht der Altertumswissenschaftler Andreas Kleineberg, aus den mehr
als sechstausend Angaben des Ptolemaios moderne Orte zu identifizieren. Für
manche Orte wie Toledo oder Barcelona funktioniert das recht gut, weil es diese
Städte noch heute gibt und ihre alten Namen "Toletum" und "Barcino" noch immer
bekannt sind. Viele weitere Orte aber sind längst von modernen Landkarten
verschwunden oder niemand weiß mehr, wo diese Orte sein könnten. So gut es geht,
versucht Andreas Kleineberg nun über Literaturstellen die modernen
Ortsbezeichnungen zu ermitteln. Seine Ergebnisse kennzeichnet er je nach Lage
der Dinge auch noch mit "sicher", "wahrscheinlich" oder "unsicher".
Danach
vergleichen die Forscher die historischen Werte für geografische Längen und
Breiten mit den modernen Werten. Dabei entdecken sie grobe und systematische
Fehler: Im Laufe der Jahrhunderte häufen sich beim Abschreiben der Manuskripte
die sogenannten "groben Fehler" an. Systematische Fehler entstanden dagegen, als
genaue Regionalkarten nicht korrekt zu einer Gesamtkarte zusammengefügt wurden.
Dadurch sind die verschiedenen Teile der Karte in unterschiedlichen
Größenverhältnissen dargestellt und auch gegeneinander verschoben. Mit den
Mitteln der "geodätischen Deformationsanalyse" versuchen Frank Neitzel und seine
Kollegen, die Weltkarte in einzelne Bereiche mit einheitlichen Veränderungen
oder Deformationen zu teilen. Speziell entwickelte Computerprogramme überführen
dann die historischen Werte der jeweiligen Kartenteile mit möglichst
einheitlichen Deformationen in moderne Breiten- und Längengrade. Dabei zeigte
sich, dass die Karte des Ptolemaios im Maßstab 2 : 3 oder 5 : 7 verzerrt ist.
Dieter Lelgemann hat mit dieser Arbeit auch das Geheimnis von Thule gelüftet. Es
handelt sich um die Insel Smola vor der alten Königsstadt Trondheim in
Norwegen.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.