Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Geschichte: Studie „Chemiker im Dritten Reich“ erschienen
Archivmeldung vom 31.03.2015
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDie Geschichte der chemischen Industrie im Dritten Reich wurde umfassend dokumentiert, doch eine Untersuchung der wissenschaftlichen Organisationen der Chemiker fehlte bisher. Nun legt der versierte Wissenschaftshistoriker und Autor mehrerer wissenschaftsgeschichtlicher Werke, Professor Helmut Maier, dieses Buch vor. Er deckt mit „Chemiker im Dritten Reich“ den gesamten Zeitraum von 1933 bis 1945 ab und erschließt in seiner Arbeit auch erstmals bislang unzugängliche Dokumente. Die umfassende Studie wurde von der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) in Auftrag gegeben und erscheint im Verlag Wiley-VCH.
Das Buch – es spricht sowohl Chemiker als auch Historiker und natürlich alle geschichtlich Interessierten an – beleuchtet die Geschichte der beiden Vorläuferorganisationen der GDCh und liefert eine fundierte Auseinandersetzung mit den Verstrickungen Einzelner und der chemischen Gesellschaften als solche in das NS-Unrechtsregime. Aus dem Vorwort der Professoren Henning Hopf und Petra Mischnick: „Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man historische Ereignisse – und ganz besonders negative Ereignisse – auf irgendeinem Wege wieder „gut machen“ oder gar „bewältigen“ kann. Aber man kann und muss sich ihrer möglichst detailliert erinnern. Diesem Zweck dient das vorliegende Werk.“
Es brauchte ein Umdenken, bis die offene Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Rolle der chemiewissenschaftlichen Vereine möglich wurde. Lange noch nach Kriegsende sah man sich in der Tradition der Vorgängerorganisationen – und auch die Verurteilungen im „IG-Prozess“ in Nürnberg 1948, so Helmut Maier, sorgten eher für einen „Abwehrreflex“: „Man setzte sich nicht mit dem Menschheitsverbrechen auseinander, sondern bestritt vehement die Mitverantwortung, die ‚Siegerjustiz‘ den IG-Direktoren nachgewiesen hatte.“ Ein weiterer Punkt, der einer Aufarbeitung mit der Vergangenheit eher entgegenstand: Die technisch-wissenschaftlichen Organisationen verstanden sich traditionell als unpolitisch und der „objektiven Sachlichkeit“ verpflichtet. Aber ab der Vereidigung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 kamen die wissenschaftlichen Organisationen in Zugzwang, auch politisch Stellung zu beziehen.
Diese Geschichte arbeitet nun Helmut Maier in „Chemiker im ‚Dritten Reich‘“ umfassend auf. Beginnend mit der Gründerzeit der Chemie (1850-1900), untersucht er auf gut 740 Seiten detailliert u. a. die Weimarer Krisenjahre, die „Gleichschaltung“, die „Arisierung“ und die Machtkämpfe in den Organisationen der chemischen Wissenschaft, die internationalen Beziehungen in der Zeit des Nationalsozialismus, die Schicksale von jüdischen Mitgliedern, die Kriegsarbeit der Reichsfachgruppe Chemie im NSBDT und die Gemeinschaftsarbeit für den NS-Vernichtungsapparat. Insbesondere das Kapitel "Schicksale: Gefallene, Inhaftierte, Deportierte, Suizide" dürfte keinen Leser gleichgültig lassen. Den Text, der zahlreiche, gut recherchierte Chemiker-Schicksale beispielhaft schildert, ergänzen hier Tabellen über gefallene Chemiker, differenziert nach Jahren und Alter – beginnend mit 18-jährigen Chemiestudenten. Die Tabellen führen auch Chemiker im Konzentrationslager Theresienstadt und in weiteren Konzentrationslagern und Ghettos sowie infolge deutscher Besatzung verfolgte Chemiker auf.
Quelle: Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V. (idw)