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Eine andere Weihnachtsgeschichte — wahre Begebenheit aus 1944

Archivmeldung vom 27.12.2023

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.12.2023 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Bild: Kla.TV (www.kla.tv/27761) / Eigenes Werk
Bild: Kla.TV (www.kla.tv/27761) / Eigenes Werk

Diese etwas andere Weihnachtsgeschichte zeigt deutlich, dass Menschen keine Kriege wollen. Sie müssen von außen geschürt sein. Winter 1944 in Deutschland. Viele am Rhein dachten, der Krieg gehe zu Ende. Darum holte der Bäckermeister Vincken seine ausgebombte Familie, seine Frau und den zwölfjährigen Sohn Fritz in seine Nähe in den Hürtgenwald, wo er dienstverpflichtet war, um für die Wehrmacht Brot zu backen. Dies berichtet Fritz Vincken auf "Kla.TV".

Weiter berichtet Vincken: "Auf einem Kübelwagen brachte er die Beiden nach stundenlanger Nachtfahrt in eine leerstehende Baracke, die versteckt auf einer Lichtung stand. Aber die Front versteifte sich. Im Dezember kam es sogar zu einer Gegenoffensive. Tief eingeschneit harrten die Zwei nach wie vor in der Hütte aus. Dem Vater fiel es aber immer schwerer, seine Familie zu versorgen. So kam der Heilige Abend 1944.

Sein Sohn Fritz hat später aufgeschrieben, was alles geschah: Wir hörten den ganzen Tag lang das dumpfe Dröhnen alliierter Kampfflugzeuge. Es war bitterkalt. Mutter bereitete am Ofen im spärlichen Licht einer Kerze eine Hühnersuppe. Vater war unterwegs, um zu organisieren. Auf einmal klopfte es an der Tür. Erschrocken zuckte ich zusammen und sah, wie Mutter hastig die Kerzen ausblies. Es klopfte wieder. Wir fassten uns ein Herz und machten auf. Draußen standen zwei Männer mit Stahlhelmen. Einer sprach in einer fremden Sprache und zeigte auf einen Dritten, der im Schnee lag. Wir begriffen: Diese Männer sind amerikanische Soldaten. Mutter stand regungslos neben mir. Sie waren bewaffnet und hätten ihr Eintreten erzwingen können, doch sie standen da und fragten mit den Augen. Der im Schnee Sitzende schien mehr tot als lebendig. 

"Kommt rein", sagte Mutter mit einer einladenden Geste. Einer von ihnen konnte sich mit meiner Mutter auf Französisch verständlich machen. Mutter kümmerte sich um den Verwundeten. Am Ofen sitzend wich die Kälte von ihnen. Die Lebensgeister stellten sich wieder ein. Die Drei waren Versprengte, hatten ihre Einheit verloren und waren seit Tagen im Wald umhergeirrt. Mutter trug mir auf: "Geh, bring' noch sechs Kartoffeln." Sie zündete eine zweite Kerze an und schnitt die gewaschenen, ungeschälten Erdäpfel in die Suppe hinein. Sie zu schälen, wäre damals eine Verschwendung gewesen. Der Verwundete hatte viel geblutet und lag teilnahmslos und still. Mutters Suppe verbreitete einen einladenden Duft. Ich war gerade dabei, den Tisch zu decken, da klopfte es wieder an der Tür. Ich erwartete weitere versprengte Amerikaner und öffnete ohne Zaudern. Es waren Soldaten, vier Mann, und alle bis an die Zähne bewaffnet. Die Uniform war mir vertraut. Das waren unsere Soldaten der Wehrmacht. Ich war vor Schreck wie gelähmt. War das unser Ende? Mutter trat heraus. Ihre gefasste Stimme beruhigte mich etwas. 

"Ihr bringt eisige Kälte mit, wollt ihr mit uns essen?", entfuhr es ihr. Damit hatte sie den richtigen Ton gefunden. Die Soldaten grüßten freundlich und waren sichtlich froh, an Heiligabend im Grenzland der Ardennen zwischen den Fronten Landsleute gefunden zu haben. "Dürfen wir uns etwas aufwärmen?", fragte der Rangälteste, ein Unteroffizier. "Vielleicht können wir bleiben bis morgen?". "Natürlich", antwortete Mutter herzlich und fügte dann mutig hinzu: "Es sind bereits drei Durchfrorene hier, um sich aufzuwärmen. Macht jetzt bitte an Heiligabend keinen Krawall!" Der Unteroffizier hatte begriffen. Barsch verlangte er zu wissen: "Amis?" Mutter sah jeden Einzelnen an und sagte langsam: "Ihr könntet meine Söhne sein und die da drinnen auch. Einer ist verwundet, gar nicht gut dran. Die anderen sind so hungrig und müde wie ihr." Dann sagte sie zum Unteroffizier: "Es ist Heiligabend, hier wird nicht geschossen!". 

Der starrte sie an. Für zwei, drei endlose Sekunden; doch Mutter sagte entschlossen: "Legt das Schießzeug auf das Holz und kommt rein!". "Tut, was sie sagt", knurrte der Unteroffizier. Wortlos legten sie ihre Waffen in den Schuppen, in dem wir unser Holz aufbewahrten: drei Karabiner, zwei Pistolen, ein leichtes Maschinengewehr und zwei Panzerfäuste. Den Amerikanern war der Feind nicht verborgen geblieben. Mit dem Mut der Verzweiflung waren sie willens, sich zur Wehr zu setzen. Als alle in der kleinen Stube waren, schienen sie ratlos. Mutter aber war in ihrem Element. Lächelnd suchte sie für jeden eine Sitzgelegenheit. Wir hatten drei Stühle, aber Mutters Bett war groß. Man schwieg sich an - es lag eine Gespanntheit in der Luft. Mutter machte sich wieder ans Kochen. Der Verwundete stöhnte laut. Einer der Deutschen beugte sich über ihn. „Sind Sie Sanitäter?“, fragte Mutter. Er erwiderte: „Nein, aber ich habe bis vor wenigen Monaten in Heidelberg Medizin studiert. Dann erklärte er den Amerikanern auf Englisch: „Die Wunde ist dank der Kälte nicht entzündet. Aber er hat Blut verloren und braucht Ruhe und kräftiges Essen.“ Jetzt löste sich die Spannung. Der Unteroffizier nahm aus seinem Brotbeutel eine Flasche Rotwein, ein anderer legte ein Kommissbrot (haltbares Brot zur Versorgung von Soldaten) auf den Tisch. 

Mutter schnitt das Brot in Scheiben. Von dem Wein füllte sie etwas in den Becher: „Für den Kranken!“ Der Rest wurde aufgeteilt. Jetzt war alles für das Weihnachtsmahl vorbereitet. Zwei Kerzen flackerten auf dem Tisch. Am Kopfende saß Mutter auf einer improvisierten Sitzgelegenheit. Bei uns zuhause war es nicht üblich, laut vor dem Essen zu beten. Doch nun war alles anders. Es war eine feierliche Stimmung. Keinem wäre es eingefallen, sich ohne weiteres über das Mahl herzumachen. Wir fassten einander bei den Händen, Mutter sprach mit ergreifender Innigkeit, als ob sie Weihnachten verkündete: „Komm, Herr Jesus, und sei unser Gast…“ Sie schloss mit den Worten: …und bitte, mach endlich Schluss mit diesem Krieg!“ Als ich mich in der Runde umsah, bemerkte ich Tränen in den Augen der Soldaten. Und niemand schämte sich. 

Schließlich gingen wir schlafen. Ich fand noch in Mutters Bett Platz. Nach einem kargen Frühstück zeigte der Unteroffizier den Amerikanern den Weg zu den amerikanischen Linien. Ein deutscher Kompass wechselte den Besitzer. „Passt auf, wo ihr geht. Viele Wege sind vermint. Wenn ihr eure Jabos (Jagdbomber) hört, winkt ihnen zu wie der Teufel.“ Der Mediziner übersetzte ins Englische. Dann bewaffneten sie sich wieder. Alle umarmten sich fröhlich; man versprach sich wiederzusehen: „As soon as this damn war is over!“, was heisst: „Sobald dieser verdammte Krieg vorüber ist!“ Im Januar 1996, also über 50 Jahre später, kam es tatsächlich noch zu einem Wiedersehen von Fritz Vincken mit den Amerikanern. Einer von ihnen besaß noch immer den deutschen Wehrmachtskompass, von dem er sich nie getrennt hatte. 

Quellen/Links: VERGISSMEINICHT, Jürgen Hösl, Postfach 1218, 02752 Zittau, im Dezember 2022 (aus der Leserbriefzeitung LBZ, 328. Ausgabe, Jahrgang 2023)

Quelle: Kla.TV

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