Grabinschriften, die nicht gelesen werden sollten
Archivmeldung vom 04.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Grabinschriften großer europäischer Herrscher sind häufig recht gut erhalten, da die Särge und Grabsteine geschützt vor Witterungseinflüssen in Kirchen und Grufträumen stehen. Trotzdem wurde von vielen Inschriften bisher kaum Notiz genommen; sie sind schlecht lesbar und wurden wohl auch als historische Quellen nicht sonderlich ernst genommen.
Die Philologin Veronika Rücker, die seit fünf Jahren an der Technischen
Universität Dresden forscht, hat in ihrer Dissertation erstmals
versucht, den Grabinschriften der Hohenzollern beizukommen: sie hat sie
von den Originalen abgeschrieben, übersetzt und ausführlich
kommentiert.
Einige ungewöhnliche Besonderheiten sind
darunter. Die barocken Inschriften des 17. Jahrhunderts im Berliner Dom
zum Beispiel fallen auf durch ihre extreme Länge. Bis zu 500 Wörter in
75 Zeilen sind auf die Zinnsärge eingraviert. Eigentlich sehr
unpraktisch, da die Inschriften ja im Vorübergehen gelesen werden
sollten. Die lateinischen Texte, die Veronika Rücker untersuchte,
beginnen mit einem langen Prosateil. Am Anfang stehen eine Formel, die
Namen und die Titel des Verstorbenen und eine kurze Genealogie: "Gott,
dem besten größten geweiht. Joachim Friedrich, Markgraf von
Brandenburg, aus uralter Familie der Grafen von Zollern." Es folgt ein
detaillierter Lebenslauf, der auf folgende Punkte eingeht: Geburtsort
und -datum, Erziehung und Ausbildung, Ehe, Ämter, Taten, Vorzüge,
Kinder, letzte Krankheit und Sterbeszene: Abschließend werden die
genaue Lebenszeit und die Sterbestunde angegeben. Darunter findet sich
bei einigen Inschriften ein Epigramm, das den Verstorbenen liebevoll
ehrt.
Wer sollte diese langen Erzählungen in komplizierter
lateinischer Syntax lesen? Veronika Rücker meint: niemand. Die kleine
auf die waagerechte Deckelfläche der Zinnsärge gravierte Schrift
erstreckt sich vom Kopfende des Sarges bis zum Fußende und konnte
unmöglich in der dunklen Gruft gelesen werden. Wofür wurde nun solche
Sorgfalt auf das Verfassen von Texten gelegt, die nicht gelesen werden
konnten? Die Wissenschaftlerin hat dafür eine Erklärung: die Texte
wurden gemeinsam mit den Leichenpredigten gedruckt und in recht hohen
Auflagen veröffentlicht. So war die Inschrift auf dem Sarg wie eine
Grabbeigabe allein dem Verstorbenen gewidmet, während die Nachwelt
mithilfe der Druckversionen im privaten Rückzug des Toten gedenken, die
eigene Sterbevorbereitung angehen und sich erbauen konnte.
Da zu einem aussagekräftigen Vergleich zu den Grabinschriften anderer Herrscherdynastien meistens die Grundlagen fehlen, hat Veronika Rücker 2007 anlässlich des Jahres der Geisteswissenschaften das Projekt "Vetera Wettinensia" ins Leben gerufen, um eine weitere Dynastie hinsichtlich ihrer Bestattungskultur zu erschließen. Studentinnen und Studenten des Instituts für Klassische Philologie der TU Dresden sind mit der mühsamen Erarbeitung des Quellenmaterials, der Transkription, Übersetzung und Kommentierung und der Suche nach Druckversionen der Wettinerinschriften in den Grablegen zu Meißen, Freiberg und Dresden beschäftigt. Die Ergebnisse werden 2008 in einer Ausstellung präsentiert.
Quelle: Universität Dresden