Schauplatz eines Massakers in den Ruinen einer alten Mayastadt entdeckt
Archivmeldung vom 18.11.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEinunddreißig ermordete und zerstückelte adlige Maya sind in einer heiligen Zisterne am Eingang des weitläufigen Königspalasts in Ruinen von Cancuén gefunden worden. Cancuén war die Hauptstadt eines der blühenden Königreiche der klassischen Mayazeit (ca. 300 - 900 n. Chr.) im Petén-Regenwald von Guatemala.
Die National Geographic
Society, die Vanderbilt University und das Kulturministerium von
Guatemala gaben den grausigen Fund bekannt, den man für den Beleg
eines wichtigen historischen Datums hält: den Beginn des
geheimnisumwitterten Zusammenbruchs dieser großartigen Kultur.
Etwa 75 Meter von der Massenbegräbnisstätte entfernt entdeckte das
guatemaltekisch-amerikanische Archäologenteam unter Leitung von
Arthur A. Demarest, Ingram-Professor für Anthropologie an der
Vanderbilt University, außerdem flache Gräber mit den Skeletten des
Königs und seiner Gemahlin. Auch nördlich des Palasts von Cancuén
fand man mehr als ein Dutzend weitere teils zerstückelte Skelette
ermordeter hochrangiger Persönlichkeiten.
Laut Demarest zeigt die Entdeckung unvollendeter Verteidigungswälle,
verstreuter Speerspitzen, verlassener Palast- und Wohngebäude und
Skelette mit Spuren von Speer- und Axtwunden, dass das Königreich
überfallen, die Stadt zerstört und die königliche Familie um 800 n.
Chr. liquidiert wurde. Ein System aus hastig hochgezogenen
Steinmauern und Palisadenwänden rund um den Palast und eine Portage
der Grabungsstätte zeugt von dem verzweifelten Versuch, die Stadt
gegen einen Überfall zu befestigen. "Offensichtlich scheiterten diese
Bemühungen", so Demarest.
Anscheinend handelte es sich um eine Massenhinrichtung des dort
mit seinen Edelleuten versammelten Königspaars - viele starben durch
Lanzenstöße in Hals oder Kopf," sagt er. "Männer, Frauen und Kinder
jeden Alters wurden niedergemetzelt, wie die Gebeine belegen." Sogar
zwei Schwangere waren unter den Getöteten - die Föten der beiden
erhielten sich im Schlamm, der später die alte Steinzisterne füllte.
Die starken Knochen, die Schädelverformung und der Schmuck - zum
Beispiel Jade, Halsketten aus Jaguarzähnen und Muscheln von der
Pazifikküste - lassen den Schluss zu, dass es sich bei den Opfern um
Adelige aus dem alten Palast handelt, möglicherweise sogar um
Angehörige der Königsfamilie.
Cancuén war ein reicher Stadtstaat der Maya, strategisch günstig
gelegen am Pasión. Dieser Fluss stellte die bedeutendste Handelsroute
der alten Mayakultur dar. Laut Demarest lag hier die Schnittstelle
zwischen der klassischen Mayakultur der mexikanischen
Tieflanddschungel und des nördlichen Guatemala sowie den vulkanischen
Hochlandgebieten und Küsten im Süden. Der Reichtum lässt sich an der
Weitläufigkeit des Königspalasts ablesen, der eine Fläche von beinahe
sechs Fußballfeldern einnimmt, und der von Hunderten riesiger
Stuckskulpturen gesäumt wurde. Um den Palast herum gab es Werkstätten
für Jade, vulkanisches Glas, Pyrit ("Katzengold") und andere
Preziosen aus dem Gebirge und von den Küsten im Süden.
"Doch nach diesem tragischen und gewaltsamen Ereignis wurde die Stadt
Cancuén - anders als andere bislang entdeckte Stätten der Maya -
völlig aufgegeben. Das gleiche Schicksal widerfuhr vielen anderen
Städten, die auf der gleichen Route weiter flussabwärts lagen", so
Demarest. "In den Jahren vor dem Königsmassaker hatten sich die
Kriegshandlungen bis über dieses westliche Gebiet der alten Welt der
Maya ausgebreitet. Sie scheinen Cancuén um 800 n. Chr. erreicht zu
haben."
Das Massengrab wurde entdeckt, als die guatemaltekische Archäologin
Sylvia Alvarado und der Kodirektor des Cancuén-Projekts, Tomas
Barrientos, das heilige Palastreservoir in der Nähe des zeremoniellen
Eingangs zum Palast freilegten und feststellten, dass die 85
Quadratmeter große Zisterne mit Tausenden menschlicher Gebeine und
mit kostbaren Gerätschaften gefüllt war. Da es sich um einen so
umfangreichen Fund handelte und die Regenzeit gerade bevorstand, bat
das Archäologenteam die forensische anthropologische Stiftung von
Guatemala (FAFG) um Unterstützung.
Die FAFG wurde 1996 bei der Unterzeichnung der Friedensvereinbarungen
von Guatemala gegründet. Ihre Wissenschaftler arbeiteten unter
Aufsicht der Vereinten Nationen an der Freilegung von Massengräbern
Tausender guatemaltekischer Dorfbewohner, die beim Bürgerkrieg in
Mittelamerika umkamen. Seitdem wurde das forensische Team unter
Leitung der guatemaltekischen Archäologen Fredy Peccerelli und Jose
Suasnavar nach Bosnien, in den Kosovo, nach Ruanda, Afghanistan und
in weitere Länder geschickt, um andere Massenmorde für
Kriegsverbrechertribunale zu untersuchen.
In der Zusammenarbeit mit dem Archäologenteam der Vanderbilt
University unter Leitung von Demarest und Barrientos untersuchte die
FAFG zum ersten Mal den Schauplatz eines antiken Massenmords. Andere
forensische Forscherteams, darunter DANN- und Isotop-Analysten,
beginnen jetzt mit der Auswertung von Tausenden der gefundenen
Knochenfragmente. Die Vermutungen über die Hinrichtung konnten sie
bereits bestätigen. Jetzt erforschen sie die
Verwandschaftsbeziehungen sowie die gesundheitlichen und andere
Aspekte der Knochen der königlichen Toten.
Die Erforschung des Massakers und das archäologische Projekt von
Cancuén werden vom guatemaltekischen Kulturministerium, der
Vanderbilt University, der National Geographic Society, der Stiftung
zur Förderung mittelamerikanischer Studien, der Nationalen
Wissenschaftstiftung, National Endowment for the Humanities und
anderen internationalen Organisationen unterstützt.
Die Forscher erhoffen sich von weiteren Untersuchungen des
Schauplatzes dieses "Kriegsverbrechens", das vor mehr als 1200 Jahren
stattfand, weitere Hinweise zum Untergang der alten Mayakultur. "In
den nächsten beiden Jahren wird eine Untersuchung der Skelette und
Gerätschaften sogar noch mehr Details über das Leben und den
gewaltsamen Tod des Herrschers und der Edlen von Cancuén zu Tage
fördern", sagt Demarest.
Quelle: Pressemitteilung NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND