Abenteuerlich und schwierig: Warum und wie Archäologen nach alten Schlachtfeldern suchen
Archivmeldung vom 15.11.2021
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Freigeschaltet durch Anja SchmittAlte Schlachtfelder sind nicht nur eine große Herausforderung für Archäologen, sondern liefern auch eine Vielzahl wichtiger historischer Erkenntnissen. Die Suche nach solchen Orten ist für die Geschichtsforscher häufig abenteuerlich und eine schwierige technische Aufgabe. Dies berichtet das russische online Magazin „SNA News“ .
Weiter ist auf deren deutschen Webseite dazu folgendes geschrieben: "Die Agentur RIA Novosti sprach mit Experten aus Russland und Polen über die Suche nach bekannten mittelalterlichen Kriegsschauplätzen und darüber, wie Archäologie heutzutage wirklich funktioniert.
Für Archäologen sind entdeckte Schlachtfelder so etwas wie ein Füllhorn geschichtlichen Wissens, denn im Erdreich stecken viele verlorene und fallen gelassene Gegenstände, die ein wichtiges Puzzlestück bei der Einschätzung der materiellen Kultur der jeweiligen Epoche sind.
Ein Archäologe, der Siedlungen, Festungen bzw. Heldengräber erforscht, muss seine Funde streng nach archäologischen Perioden datieren. Bei Schlachtfeldern handelt es sich eben um Felder, die viele Spuren der Kriege und Epochen enthalten, oft in der Landwirtschaft genutzt werden, was eine korrekte Datierung der Funde erschwert und ihre Intaktheit senkt.
Nomaden bedrohen Europa
Die Schlacht bei Liegnitz, auch als Schlacht bei Wahlstatt bekannt, ist Historikern zufolge eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte Polens. Das Gedenken an die Schlacht vom 9. April 1241 ist auf dem Grabmal des Unbekannten Soldaten in Warschau verewigt.
„Dieses Ereignis war historisch von kolossaler Bedeutung für Europa. Die christlichen Kräfte schlossen ein Bündnis, an denen Einheiten der Ritterorden aus verschiedenen Ländern beteiligt waren. Sie zogen den Kürzeren gegen die vordringenden Mongolen. In Europa herrschte Angst vor einem neuen nomadischen Feind aus dem Osten, der an den Grenzen des Heiligen Römischen Reichs stand“, sagte der Historiker und Waffenexperte vom Institut für Geschichte der Natur- und Geisteswissenschaftlichen Universität Siedlce, Adam Kubik.
Liegnitz ist eine Stadt in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien, die an Tschechien und Deutschland grenzt. Als Nomaden 1240 das Fürstentum Galizien-Wolhynien im Westen der heutigen Ukraine zerschlugen, teilten sie sich in zwei Verbände auf. Ein Teil zog in Richtung Ungarn, der andere Teil plünderte die südlichen Gebiete Polens aus und kam bis nach Schlesien.
„In der damaligen Zeit bedrohten die vielen Militärkonflikte zwischen dem Feudaladel die Existenz Polens. Großfürst Heinrich II. der Fromme, der das Land formell regierte, wollte es vereinigen, was die Macht der Aristokraten stark beschnitten hätte. Sein tragischer Tod bei Liegnitz macht nicht nur diese Pläne zunichte, sondern ermöglichte auch den Übergang Schlesiens unter deutsche Herrschaft“, so Adam Kubik.
Die ersten Versuche, das Schlachtfeld bei Liegnitz zu finden, gab es im 20. Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg, als Schlesien an Polen zurückging. Doch dem Experten zufolge handelte es sich dabei eher um eine propagandistische Kampagne als eine wissenschaftliche Studie – mit den Sucharbeiten konnte sich damals nur das Militär befassen.
„Heute begegnet die Forschergemeinschaft in Polen dieser Aufgabe mit großer Verantwortung und Interesse. Wir stützen uns auf eine erfolgreiche Erfahrung bei den Feldarbeiten am Ort der Schlacht bei Grunwald, ziehen aktiv Enthusiasten hinzu, die uns bei der Suche helfen “, so Adam Kubik.
Zurzeit läuft in der Katholischen Kirche der Prozess der Kanonisierung von Heinrich II. dem Frommen. Somit bekommt der Ort des Schlachtfeldes nicht nur eine historische und kulturelle, sondern auch geistliche Dimension.
„In den Gebieten des heutigen Russlands und der Ukraine gibt es sehr viele Orte, die mit den Kämpfen gegen Nomaden verbunden sind. Russland hat große Fortschritte bei diesen Forschungen gemacht, weshalb der Erfahrungsaustausch mit russischen Kollegen es uns ermöglichen wird, die Typen der Artefakten, ihre Lage im Erdreich und andere Faktoren besser zu verstehen. In der Zukunft wird das, wie wir hoffen, dabei helfen, den Ort der Schlacht bei Liegnitz und andere Faktoren zu bestimmen, was bislang unmöglich ist“, ergänzt Kubik.
Teile der im Nahkampf gebrochenen Säbel. Bild: © Das staatliche Freilichtmuseum Kulikowo Pole
Eine Münze aus der Zeit des Iwan der Schreckliche. Bild: © Das staatliche Freilichtmuseum Kulikowo Pole
Reste eines kettenhemdes mit Kupferbesatz. Bild: © Das staatliche Freilichtmuseum Kulikowo Pole
Wenn die Steppe auf den Wald trifft
Zu Beginn dieses Jahres begannen Experten des Freilichtmuseums Kulikowo Pole und des Instituts für Archäologie der Russischen Akademie der Wissenschaften mit der Erforschung des Ortes der Schlacht von Sudbischtschi, die sich 1555 zwischen den Truppen des Moskauer Zarentums und des Khanats der Krim ereignete. Laut Wissenschaftlern wurden dank den Methoden, die bei der Erforschung der Schlacht in Kulikowo Pole entwickelt wurden, bereits mehr als 2000 Funde gemacht.
Die Schlacht fand am 24. und 25. Juni alten Stils auf dem Territorium des heutigen Gebiets Orjol statt. Die 17.000 Kämpfer zählende russische Einheit unter Leitung des Bojaren Iwan Scheremetjew stoppte auf dem Weg nach Tula den 60.000 Mann starken Krim-Kampfverband mit Khan Devlet Giray an der Spitze. Zwei Jahre zuvor hatte Tula erfolgreich die Belagerung durch Steppen-Kämpfer überstanden, weshalb jene nun die Operation mit größeren Kräften wiederholten.
Während der Schlacht war Sudbischtschi einfach ein Ort auf der Murawski-Route, über die der Verkehr über Dikoje Pole verlief. Nach knapp 100 Jahren entstand dort ein gleichnamiges Dorf, das bis heute existiert. Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde vermutet, dass sich in der Nähe von Sudbischtschi die nach der Chronik und anderen Dokumenten bekannte Schlacht zugetragen haben könnte.
„Zwei Tage war das Glück mal auf der einen Seite, mal auf der anderen Seite. Zunächst wurde die Vorhut der Krim-Truppe zerschlagen, doch Scheremetjew wurde dabei stark verwundet. Daraufhin besiegten die wichtigsten Kräfte von Devlet Giray beinahe die Russen, doch die Wojewoden Alexej Bassmanow und Stefan Sidorow trommelten die Reste der Truppen zusammen und errichteten schnell Befestigungsanlagen auf dem Feld. Der Khan trat am nächsten Morgen den Rückzug in Richtung Krim an, offenbar nicht gewillt, sich auf ein Gemetzel einzulassen – ein weiterer Überfall wurde gestoppt“, erzählt der wissenschaftliche Sekretär des Freilichtmuseums Kulikowo Pole, Alexej Woronzow.
1995 wurde nahe des Dorfes Sudbischtschi eine Gedenkstätte eröffnet. Allerdings ist bis heute unklar, wo genau die Schlacht verlief – wie auch bei vielen anderen bekannten mittelalterlichen Schlachten in anderen Regionen. Ausgangspunkt bei der Forschungsarbeit der Archäologen waren Angaben, dass sich bei der Besiedlung dieser Gebiete am Anfang des 17. Jahrhunderts dort ein großer Wald befand – der Sudbischtschi-Wald.
Beim Vergleich der historischen und heutigen Karten stellten die Forscher fest, dass die meisten Funde an der alten Grenze des Waldes gemacht wurden. Eine präzisiere Verortung und damit die Entdeckung des wahrscheinlichen Zentrums der Schlacht werde mithilfe einer Radiokohlenstoffdatierung der alten Pollen, Sporen und anderen Lebensspuren von Pflanzen möglich sein, so die Archäologen.
„Um sich darin zu vergewissern, dass wir das fanden, wonach gesucht wurde, müssen enorm viele Funde analysiert werden. Es handelt sich vor allem um Endstücke von Pfeilen, Kugeln, seltener Stücke von Klingen, Pferdegeschirr, Ritterrüstung, Armaturen. Allerdings konnten sowohl Waffen als auch Ausrüstung damals jahrzehntelang genutzt werden, weshalb Münzen viel mehr Aussagekraft haben. Wir haben bereits einige Kupfer- und Silbermünzen aus der Zeit Iwans des Schrecklichen gesammelt“, sagte Alexej Woronzow.
Die Erforschung des Terrains, die Suche nach den Spuren verschiedener Episoden der Schlacht, die Rekonstruktion der alten Landschaft, die Analyse aller schriftlicher Quellen, die Restaurierung der Funde und ihre Erforschung – das alles werde viele Jahre in Anspruch nehmen, so die Wissenschaftler. Dass ein solches Großprojekt gestemmt werden kann, ist dank der Unterstützung der Tawolga-Stiftung und des Kalaschnikow-Konzerns möglich.
Wie funktioniert wissenschaftliche Archäologie?
Schlachtfelder sind die schwersten und größten archäologischen Objekte, die Dutzende Quadratkilometer einnehmen können. Bei einer sorgfältigen Fixierung der Funde läuft die Arbeit so langsam, dass bislang kein Schlachtfeld in der Welt als vollständig erforscht gilt, so Wissenschaftler.
„Jedes archäologisches Denkmal erfordert, dass der Forscher jene Methoden findet, die den Erhalt von möglichst vielen Informationen ermöglichen würden, ohne ein Artefakt zu beschädigen. Manchmal stellt sich heraus, dass bislang keine solchen Methoden erfunden wurden, dann ist die beste Lösung – Konservierung des Objekts“, so Alexej Woronzow.
Eine der ältesten Methoden bei der Suche nach Kriegsschauplätzen ist das Sammeln von zufälligen Funden, die gewöhnlich von Bauern bei Feldarbeiten entdeckt wurden. Genau auf diese Weise wurde in der Gegend um Tula das Fundament für die künftige Erforschung der Schlacht auf dem Kulikowo Pole gelegt.
Das wissenschaftliche Herangehen entstand erst im 20. Jahrhundert. Es sieht die Analyse des Terrains mit Metalldetektoren und Ausgrabungen vor. Dabei wird jeder Fund genauestens untersucht und dokumentiert. Da Geschirr, Kleidung, Waffen, Schmuckstücke und andere Artefakte von der Mode geprägt waren, können Archäologen ihr Alter und ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur feststellen.
Sollte nicht einmal der ungefähre Schlachtort bekannt sein, ist vor allem eine umfassende Analyse der Dokumente notwendig. Das hilft bei der Feststellung der wahrscheinlichen Routen der Truppen in Verbindung mit den geografischen Richtlinien. Nach der Verortung eines ungefähren Schlachtfeldes wird der „Hintergrund“ erforscht – alte Siedlungen und Gräber, deren Analyse die Zusammenhänge der Ereignisse besser verstehen lassen.
Die Erforschung der Bodenbeschaffenheit ist für Archäologen dank ferngesteuertem Laserscanning nach der LIDAR-Technologie möglich. Am wichtigsten dabei ist die Suche nach Massengräbern. An diesen Orten gibt es Unebenheiten bzw. Absenkungen auf der Erdoberfläche, oft nur wenige Zentimeter groß und wegen Gras, Blättern bzw. Müll oft nicht zu sehen. Mit der LIDAR-Technologie könnten solche Abschnitte entdeckt werden, so die Forscher.
„Für eine Rekonstruktion des Verlaufs einer Schlacht sind alle Details der Landschaft von Bedeutung – Flüsse, Bäche, Gräben, Wälder u.a. Mit einer vollständigen Rekonstruktion der Landschaft und Infrastruktur auf dem Gebiet in der erforschten Epoche werden die Bedingungen verstanden, die den damaligen Feldherren die taktischen Methoden diktierten, und man kann den realen Verlauf der Ereignisse genauer feststellen“, sagt Alexej Woronzow."
Quelle: SNA News (Deutschland)