Warum Friedrich der Große von Selbstmord sprach
Archivmeldung vom 27.08.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFriedrich der Große hat regelmäßig von Selbstmord gesprochen, andere Aristokraten nahmen sich tatsächlich das Leben: Den Selbstmord zur Wiederherstellung der verlorenen Ehre unter Adligen des 18. Jahrhunderts gab es entgegen gängiger Vorstellung jedoch nicht. Das ergab eine Studie aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster.
„Aristokraten der Frühneuzeit konnten ihre verlorene Ehre entgegen verbreiteter Auffassung nicht durch Suizid zurückgewinnen. Die Selbsttötung galt auch unter ihnen als Sünde gegen Gott“, sagt Historiker Florian Kühnel. Für das Dissertationsprojekt „Kranke Ehre?“ hat er Suizide im Adel des 18. und frühen 19. Jahrhunderts erforscht, insbesondere Abschiedsbriefe von Verstorbenen.
Die Geschichtswissenschaft habe lange ein heldenhaftes Bild von Selbstmorden im Namen der Ehre gezeichnet, so der Forscher von der Graduiertenschule des Clusters. Das beruht nach seinen Worten auf einem Missverständnis: „Die Idee des heroischen Selbstmords geht zurück auf ein antikes Ethos. Adlige griffen im 18. Jahrhundert gern rhetorisch darauf zurück, um ihre edle Geisteshaltung zu beweisen. Dabei handelte es sich aber um reine Selbstinszenierung.“ Dass solche Inszenierungen von tatsächlichen Suiziden zu unterscheiden seien, habe die Forschung bislang nicht berücksichtigt, erläutert der Historiker.
„Die Selbstmordgedanken, die etwa König Friedrich II. von Preußen in Briefen und Gesprächen vielfach äußerte, waren nie ernst zu nehmen.“ Er schloss damit laut Kühnel an eine stoische Gesinnung antiker Vorbilder an und stellte sich mit den Helden auf eine Stufe. „Mit der Berufung auf seine adlige Ehre setzte er sein Selbstverständnis als Herrscher nach antikem Ideal in Szene. Ein Suizid kam für ihn aber wohl nie in Frage.“
Zwar war eine Ehrenrettung durch Selbsttötung nicht möglich und Standesgenossen missachteten die Tat durchweg, wie Kühnel betont. „Dennoch konnte ein Ehrverlust einen Adligen sehr wohl verzweifeln lassen und ihn etwa aufgrund von Verschuldung oder einer unstandesgemäßen Inhaftierung in den Suizid treiben.“ Die Entscheidung zum Freitod sei damals wie heute mit existenziellen Gefühlen verbunden gewesen. „Der Suizid stellte nicht die Ehre wieder her, er vergrößerte vielmehr die Schande.“
Ein Beispiel, auf das Kühnel bei seinen Quellenrecherchen gestoßen ist, ist der Dresdner Freiherr Gottlieb Georg Ernst von Arenswald, der sich bei dem Versuch, einem Freund in Geldnot zu helfen, selber hoch verschuldet hatte und sich im Jahr 1781 aus Verzweiflung erschoss. „Ein anderer Fall ist der eines gewissen Johann Wilhelm von der Pforte, der 1729 verhaftet wurde, weil er seinen Vorgesetzten, einen Hauptmann, zum Duell herausgefordert hatte. Der Junker konnte die durch die Haft entstandene Schande nicht ertragen und nahm sich im Gefängnis das Leben.“
Die Nachwelt sprach in solchen Fällen zuweilen von einem Ehrenselbstmord. „Da waren aber Bürgerliche am Werk, die den Adel kritisieren wollten. Sie unterstellten den Betroffenen posthum das Ehrmotiv, um der Aristokratie unchristliches, sündiges Verhalten vorwerfen zu können.“ Diese Kritik habe auch die Forschung übernommen und weiter fortgeschrieben. „Die Abschiedsbriefe dagegen belegen andere Motive für den Suizid. Die Adligen, die sich später das Leben nahmen, empfanden den geplanten Suizid selbst als verabscheuungswürdige Sünde und nicht standesgemäßes Ende.“
Manche Suizide von Aristokraten lassen sich mit der Krise des Adels im Übergang zur Moderne erklären, wie Kühnel ausführt. „Als die Sonderstellung des Adels um 1800 zunehmend in die Kritik geriet, zweifelten auch viele Aristokraten an ihrer Lebensform.“ Manche habe dieses Wanken ihres Weltbilds so existenziell getroffen, dass sie sich das Leben nahmen. Der erst im 20. Jahrhundert berühmt gewordene Dichter Heinrich von Kleist sei hierfür ein prominentes Beispiel. „Aristokraten wie er lehnten selbst die adlige Rolle ab, verloren aber dadurch auch ihre Orientierung und endeten im Selbstmord.“
Wer sich damals das Leben nahm, erhielt häufig ein sogenanntes Eselsbegräbnis, bei dem der Leichnam etwa auf ein Rad geflochten oder in ein Fass gesteckt und in den Fluss geworfen wurde, wie der Forscher erläutert. „Üblich war es auch, ihn unter dem Hochgericht, in jedem Fall aber außerhalb eines Friedhofs, zu verscharren.“ Die toten Körper seien durch diese Form der Bestattung rituell verunreinigt worden. „Bemerkenswerterweise blieb adligen Selbstmördern diese Behandlung jedoch immer erspart.“ Auch das habe jedoch nichts mit der Wiederherstellung der Ehre zu tun. „Wie bei anderen Schand- und Ehrenstrafen erhielten Aristokraten hier eine rechtliche Sonderbehandlung. Allerdings – und hier spielte der Stand ganz eindeutig keine Rolle – wurden auch adlige Selbstmörder durch ihren Suizid ‚unehrlich‘, was bedeutete, dass sie mit Berührungstabus belegt waren und niemand ihre Leiche anfassen wollte.“ (han/vvm)
Quelle: Westfaelische Wilhelms-Universität Münster (idw)