Beijing 1954 - Als die Welt zwischen China und Tibet noch geregelt war
Archivmeldung vom 03.05.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie aktuelle Auseinandersetzung um die Tibetfrage belebt die Aufarbeitung historischer Fragestellungen. Zu hoffen wäre, daß diese Aufgabe sachlich gelöst werden könnte. Das Bild spricht für ein "neues China".
Die beiden noch sehr jungen Religionsführer aus Tibet besuchen in der
Hauptstadt Mao Zedong. Letztmals waren der V. und XIII. Dalai Lama in
dem seinerzeit von Mongolen und später Mandschuren beherrschten China,
in dem die heutigen Han-Chinesen die unterdrückte Mehrheit waren.
Das "Bild" wäre ein bei richtiger Präsentation das richtige Symbol für den Versuch eines Neuanfangs in der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen dem offiziellen China und dem amtierenden Dalai Lama in Person. Nur der Dalai Lama kann dieses Zeichen setzen und Beijing das Problem des Gesichtsverlusts vor einer äußerst gespaltenen Weltöffentlichkeit ersparen. Der Westen spielt in dem Zusammenhang keine Rolle. Im Gegenteil: Der Westen hat sich durch seine Ignoranz gegenüber der Sichtweise der anderen Seite diskreditiert. Wenn selbst anerkannte Dissidenten, von den die meisten Opfer des Tianmenmassakers bereits wieder chinesische Pässe haben, sich überwiegend von der Berichterstattung in den westlichen Medien distanzieren, ist viel gesagt.
Die Beziehung des Dalai Lama zum China Mao Zedongs ist der Schlüssel
für die Tibet-Frage. Wer den Schlüssel wegwirft, kann das Tor zu
Gesprächen nicht öffnen. In den Jahren 1945 bis 1959 respektierte China
die Verhältnisse in Tibet weitgehend ohne direkt einzugreifen. Erst
nach dem Aufstand und der Flucht des Dalai Lama nach Indien, die China
dann allerdings entgegen kam, begann China eine tiefgehende
Umgestaltung des Landes, die nach dem Aufstand 1989 eine weitere
Verschärfung fand.
Bis zu seiner Flucht waren der Dalai Lama ebenso wie der Panchen Lama Stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses. Die Verstümmelung von Menschen zu religiösen oder sonstigen Zwecken, die mittelalterliche Züchtigung durch das Abschlagen von Händen und Füßen, der Besitz von Sklaven und der Handel mit Ihnen, die Fronarbeit und Sicherung der Macht der Klöster, die das Leben in Tibet nach den Methoden des frühen Mittelalters bestimmten, wurden von China mit Rücksicht auf die gewährte Autonomie toleriert. Und die Zerstörung der Klöster, die Zwangsarbeit während der Kollektivierung im Rahmen des "Großen Sprungs" und danach ? Es ist aus chinesischer Sicht bedeutsam, daß genau diese Geschehenisse als Fehler kritisiert und auch offiziell zurückgewiesen werden. China und sein ganzes Volk hatte nicht minder unter den Verhältnissen der Jahre 1959-1978 gelitten. Noch heute ist dies spürbar. Eine gemeinsame Leidensgeschichte, die zu einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte werden könnte.
China will seine Unterlassungen in Tibet vor 1959 heute so nicht mehr wahr haben. Ein gefährlicher Widerspruch im politischen Denkansatz der Führung, die ihn nur damit rechtfertigen kann, als es um die "inneren Verhältnisse", nicht "prinzipiellen Verhältnisse" geht. Müßte man die Lage in Tibet vor 1959 anhand allgemeiner Menschenrechtsstandards messen, wäre ein möglicherweise gewaltsames Eingreifen zu diskutieren gewesen. So wie heute im Sudan. Eine äußerst sensible Fragestellung, die der Klärung bedarf.
Bisher dienen die vorgenannten Zustände im Tibet vor 1959 dazu, die
Veränderungen im Land nach der Flucht des Dalai Lama zu rechtfertigen.
Aber in vielerlei Hinsicht hat sich die Welt seit 1959 verändert. Keine
Seite, auch nicht die Tibeter, wird sich heute auf die
gesellschaftliche Realität des Mittelalters beziehen wollen und werden.
Der richtige Ton zur rechten Zeit, das richtige Zeichen und die Gewährleistung der Ernsthaftigkeit des eigenen Ansatzes sind die Stichworte, die es zu untersetzen gilt.
Quelle: German Global Trade Forum Berlin