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Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

Archivmeldung vom 25.03.2023

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.03.2023 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Henry David Thoreau (1856), Archivbild
Henry David Thoreau (1856), Archivbild

Lizenz: Public domain
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Der als Prophet des zivilen Ungehorsams bekannte Henry David Thoreau schrieb in den 1800er Jahren folgendes über seine Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat: "...Wir sagen gewöhnlich, die Masse der Menschen sei unreif; aber dieser Zustand bessert sich nur deshalb so langsam, weil die ›Wenigen‹ nicht wesentlich besser oder klüger sind als die ›Vielen‹. Es ist nicht so wichtig, daß die große Menge ebenso gut ist wie ihr, sondern daß es überhaupt irgendwo vollkommene Güte gibt; denn das wird die Masse mitreißen."

Weiter schrift Thoreau: "Es gibt Tausende, die im Prinzip gegen Krieg und Sklaverei sind und die doch praktisch nichts unternehmen, um sie zu beseitigen; die sich auf den Spuren Washingtons oder Franklins glauben und zugleich ruhig sitzen bleiben, die Hände in den Taschen, sagen, sie wüßten nicht, was zu tun sei, und eben auch nichts tun.

Menschen, für die die Frage der Freiheit hinter der des Freihandels zurücktritt und die nach dem Essen in aller Ruhe die Tagespreise zugleich mit den letzten Nachrichten aus Mexiko lesen und vielleicht über dieser Lektüre einschlafen. Wie hoch steht heute wohl der Tagespreis für einen Ehrenmann oder Patrioten? Sie zögern, sie bedauern, und manchmal unterschreiben sie auch Bittschriften, aber sie tun nichts ernsthaft und wirkungsvoll. Sie warten - wohlsituiert -, daß andere den Übelstand abstellen, damit sie nicht mehr daran Anstoß nehmen müssen.

Höchstens geben sie ihre Stimme zur Wahl, das kostet nicht viel, und der Gerechtigkeit geben sie ein schwaches Kopfnicken und die besten Wünsche mit auf den Weg, während sie an ihnen vorübergeht. Es gibt neunhundertneunundneunzig Gönner der Tugend auf einen tugendhaften Mann. Aber es ist besser, mit dem wirklichen Besitzer einer Sache zu verhandeln, als mit ihrem zeitweiligen Hüter. Alle Wahlen sind eine Art Spiel, wie Schach oder Puff, nur mit einem winzigen moralischen Beigeschmack, ein Spiel um Recht und Unrecht, um moralische Probleme; natürlich setzt man auch Wetten darauf. Doch für den Wähler steht nichts auf dem Spiel. Ich wähle so, wie es mir eben recht erscheint; ich versteife mich nicht darauf, daß die Billigkeit sich dabei durchsetzt. Das überlasse ich gerne der Mehrheit. Die Verpflichtung geht hier nicht über die Zweckmäßigkeit hinaus. Auch für das Rechte stimmen heißt, nichts dafür tun. Allenfalls gibt man den Menschen sanft zu verstehen, man wünsche, es möge sich durchsetzen.

Ein kluger Mensch wird die Gerechtigkeit nicht der Gnade des Zufalls überlassen, er wird auch nicht wollen, daß sie durch die Macht der Mehrheit wirksam werde. Denn in den Handlungen von Menschenmassen ist die Tugend selten zu Hause. Wenn die Mehrheit schließlich für die Beseitigung der Sklaverei stimmen wird, dann deshalb, weil es dann kaum noch etwas anderes als die Sklaverei geben wird, das durch ihre Stimme beseitigt werden kann. Sie werden dann die einzigen Sklaven sein. Nur wer mit seiner Stimme seine Freiheit aufweist, kann mit dieser Stimme die Befreiung der Sklaven beschleunigen. Ich hörte, daß man (in Baltimore, oder) weiß Gott wo, eine Versammlung abhalten will, um den Präsidentschaftskandidaten zu wählen; es ist eine Versammlung vor allem von Journalisten und Berufspolitikern; aber was bedeutet schon ihre Entscheidung für einen unabhängigen, intelligenten und achtbaren Menschen? Sollten wir nicht wenigstens die Vorzüge der Weisheit und Ehrlichkeit genießen? Gibt es in diesem Land nicht viele, die den Versammlungen gar nicht beiwohnen?

Aber nein: ich sehe schon, daß der sogenannte Ehrenmann eiligst von seiner bisherigen Haltung und von der Not seines Landes abrückt und daß das Land mehr Grund hat, an seiner Not zu verzweifeln. Und gleich erklärt er sich für den derart gewählten Kandidaten - dieser sei nämlich der einzig verfügbare — und beweist damit, daß er selbst für alle demagogischen Zwecke verfügbar ist. Seine Stimme hat nicht mehr Wert als die eines Fremden, der mit unseren Grundsätzen nicht vertraut ist, oder die eines eingeborenen Söldners, den man gekauft hat. Denn ein Mann, der wirklich einer ist, hat ein Rückgrat, durch das man - wie mein Nachbar es sagt - nicht seine Hand stecken kann! Es stimmt etwas nicht mit unseren Statistiken: die Bevölkerungszahl, welche sie angeben, ist zu hoch. Wie viele Männer gibt es in diesem Land auf tausend Meilen im Quadrat? Kaum einen.

Hat Amerika etwas zu bieten für Männer, die sich hier niederlassen wollen? Der Amerikaner hat sich zu einem Bruder Maurer zurückentwickelt, den man an seinem ausgeprägten Herdentrieb, seinem Mangel an Verstand und seiner fröhlichen Selbstgefälligkeit erkennen wird; wenn er in diese Welt tritt, ist sein erstes und Hauptanliegen, ob die Armenhäuser auch in gutem Zustand sind, und, bevor er alt genug ist, um Männerkleidung zu tragen, einen Fonds zur Unterstützung von Witwen und Waisen zu sammeln. Kurz, der es nur mit Hilfe einer Versicherung riskiert zu leben, die ihm ein anständiges Begräbnis versprochen hat. Der Mensch ist nicht unbedingt verpflichtet, sich der Austilgung des Unrechts zu widmen, und sei es noch so monströs. Er kann sich auch anderen Angelegenheiten mit Anstand widmen; aber zum mindesten ist es seine Pflicht, sich nicht mit dem Unrecht einzulassen, und wenn er schon keinen Gedanken daran wenden will, es doch wenigstens nicht praktisch zu unterstützen.

Wenn ich mich mit anderen Gegenständen und Betrachtungen befassen will, dann muß ich mindestens darauf achten, daß ich dabei keinem anderen auf dem Rücken sitze. Ich muß ihn schon freigeben, daß auch er seinen Belangen nachgehen kann. Aber seht nur, welche Inkonsequenz man hinnimmt. Ich hörte, wie zwei Mitbürger miteinander sprachen: »Sie sollen nur kommen und mir befehlen, den Sklavenaufstand zu unterdrücken oder gegen Mexiko zu marschieren - wir werden ja sehen, ob ich es täte!« Und diese Leute haben doch gerade selbst für Ersatz gesorgt, unmittelbar, indem sie damit einverstanden sind, daß es geschieht, und mittelbar durch ihr Geld. Dem Soldaten, der sich weigert, in einen ungerechten Krieg zu ziehen, spenden dieselben Leute Beifall, die sich nicht weigern, die ungerechte Regierung zu stützen, die diesen Krieg verursacht hat; es sind dieselben Leute, deren Handlungen und Auftrag der Soldat ignoriert und für nichtig erklärt; es ist gerade, als ob der Staat so reuig sei, daß er jemanden bestellt, der ihn geißeln soll, wenn er sündigt, doch so reuig auch wieder nicht, daß er auch nur für einen Augenblick damit aufhörte.

Auf das erste Erröten vor der Sünde folgt die Gleichgültigkeit; war sie zuerst unmoralisch, so wird sie nun amoralisch, und das ist nicht einmal so abwegig bei dem Leben, das wir uns eingerichtet haben. Um einen allgemeinen und überall anerkannten Irrtum aufrechtzuerhalten, bedarf es der selbstlosesten Tugend. Dem kleinen Fehler, welcher der Tugend des Patriotismus anhaftet, verfallen gerade die Edlen am leichtesten. Es sind gerade die ehrenhaftesten Verteidiger der Regierung, welche dieser ihre loyale Unterstützung gewähren, während sie doch Einstellung und Maßnahmen dieser Regierung mißbilligen - und sie bilden die ernstesten Hindernisse für Reformen. Einige verlangen in Bittschriften vom Staat, er möge doch die Union auflösen und die Anordnungen des Präsidenten mißachten. Warum lösen sie sie nicht selber auf? Nämlich die Union zwischen sich selbst und dem Staat, und warum weigern sie sich nicht, ihren Anteil in den Staatsschatz zu zahlen? Stehen sie denn zu ihrem Staat nicht in demselben Verhältnis, in dem der Staat zur Union steht?

Und haben nicht den Staat die gleichen Gründe daran gehindert, sich der Union zu widersetzen, welche sie selbst daran gehindert haben, sich dem Staat zu widersetzen? Wie kann sich jemand nur damit zufriedengeben, daß er eine Meinung hat! Was für eine Genugtuung liegt darin, wenn es seine Meinung ist, daß er bedrückt sei? Wenn dein Nachbar dich auch nur um einen Dollar betrügt, dann genügt es dir nicht zu wissen, daß du betrogen worden bist, auch nicht, ihm eine Bittschrift zuzustellen, er möge dir die Schuld zurückzahlen; vielmehr wirst du wirksame Schritte unternehmen, um sofort die ganze Summe zurückzubekommen und die Gewähr, daß du nicht wieder betrogen werden wirst. Wer nach Grundsätzen handelt, das Recht wahrnimmt und es in Taten umsetzt, verändert die Dinge und Verhältnisse; dies ist das Wesen des Revolutionären, es gibt sich nicht mit vergangenen Zuständen zufrieden. Es trennt nicht nur Staaten und Kirchen, es spaltet Familien. Ja, es spaltet den Einzelmenschen, indem es das Teuflische in ihm von dem Göttlichen scheidet. Es gibt ungerechte Gesetze: sollen wir ihnen befriedigt gehorchen, oder sollen wir es auf uns nehmen, sie zu bessern, und ihnen nur so lange gehorchen, bis wir das erreicht haben, oder sollen wir sie vielleicht sofort übertreten?

Die Leute glauben im allgemeinen, unter einer Regierung, wie wir sie jetzt haben, sollten sie warten, bis sie die Mehrheit zu den Änderungen überredet haben. Wenn sie Widerstand leisteten, so glauben sie, wäre die Kur schlimmer als die Krankheit. Aber es ist die Regierung, die allein schuld hat, daß die Kur schlimmer als die Krankheit ist. Sie macht sie schlimmer. Warum tut sie nicht mehr dafür, Reformen vorzusehen und einzuleiten? Warum achtet sie nicht auf ihre verständige Minderheit? Warum muß sie lärmen und sich sträuben, bevor sie noch Schaden gelitten hat? Warum ermutigt sie die Bürger nicht, wachsam zu sein und ihre Fehler anzuzeigen und ihr damit Besseres zu tun, als an ihnen getan wurde? Warum wird Christus immer aufs neue gekreuzigt, Kopernikus und Luther exkommuniziert und Washington und Franklin noch immer zu Rebellen erklärt?

Es scheint, daß eine bewußte und aktive Verleugnung ihrer Staatsgewalt der einzige Angriff ist, auf den die Regierung nicht gefaßt war; oder warum hat sie dafür keine angemessene Strafe eingeführt? Wenn jemand, der nichts besitzt, sich nur einmal weigert, für den Staat neun Schillinge zu verdienen, steckt man ihn dafür für eine Zeit ins Gefängnis, die durch kein mir bekanntes Gesetz befristet und nur nach dem Ermessen derer begrenzt wird, die ihn da hineingebracht haben; hätte er aber neunzig mal neun Schillinge vom Staat gestohlen, dann wäre er bald wieder freigelassen. Wenn die Ungerechtigkeit nur eine unvermeidliche Folge der Trägheit der Regierungsmaschine ist, dann laß es in Gottes Namen dabei: Irgendwann wird sich das einlaufen - auf jeden Fall wird sich die Maschine ausleiern. Wenn die Ungerechtigkeit einen Ursprung hat, ein Zahnrad oder einen Übertragungsriemen oder eine Kurbel, wovon sie ausschließlich herstammt, dann kannst du vielleicht erwägen, ob die Kur vielleicht schlimmer wäre als das Übel; wenn aber das Gesetz so beschaffen ist, daß es notwendigerweise aus dir den Arm des Unrechts an einem anderen macht, dann, sage ich, brich das Gesetz."

Quelle: Netzfund von Henry David Thoreau

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