Grosse Klima-Unsicherheit auch bei 1,5-Grad-Erwärmung
Archivmeldung vom 08.06.2018
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.06.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDas Klimaabkommen von Paris schliesst das Ziel, die durchschnittliche globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, mit ein. Wie das künftige Klima rund um den Globus und über die Zeit aber aussehen könnte, ist bislang unerforscht. Klimawissenschaftler zeigen nun, dass selbst diese geringere Erwärmung auf regionaler Ebene sehr unterschiedlichen Folgen haben kann.
Seit Paris 2015 geistern zwei Zahlen durch die Welt: 2 und 1,5. An der Klimakonferenz in der französischen Hauptstadt einigten sich nämlich die Nationen darauf, dass die weltweite durchschnittliche Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu liegen kommen sollte, dass aber eine Erwärmung von weniger als 1,5-Grad anzustreben sei.
Was für Laien möglicherweise nach einem kleinlichen Feilschen um ein paar unbedeutende Zehntelgrad aussieht, kann für das Weltklima und die Menschheit von überragender Wichtigkeit sein. Dies zeigt eine internationale Forschungsgruppe in einer Studie, die soeben in der Fachzeitschrift «Nature» veröffentlicht wurde. Die Publikation erschien im Zusammenhang mit dem im Herbst anberaumten IPCC Sonderbericht über eine 1,5-Grad-Erwärmung. Eine Hauptautorin des Spezialberichts ist ETH-Professorin Sonia Seneviratne. «Über das 2-Grad-Ziel wurde schon viel geforscht und geschrieben, nicht aber über das 1,5-Grad-Ziel», sagt sie.
Extreme Abweichungen vermeiden
In ihrer neuen Studie zeigen die Klimaforschenden auf, dass sich mit einer 1,5-Grad-Erwärmung extreme Abweichungen vom heutigen Klima, die noch bei einer 2-Grad-Erwärmung auftreten würden, vermeiden liessen. Eine solche extreme Abweichung wäre beispielsweise eine Erwärmung um neun Grad an den kältesten Nächten in der Arktis oder eine um fünf Grad an den heissesten Tagen in den USA oder anderen Kontinenten mittlerer Breiten. Auch das Risiko von einem sehr ausgeprägten Austrocknen des Mittelmeergebiets wäre vermeidbar. Aber selbst eine Erwärmung um 1,5 Grad würde noch substantielle Klimarisiken beinhalten, betont Seneviratne.
Die Wissenschaftler streichen auch hervor, dass der Weg zum 1,5-Grad-Ziel dafür ausschlaggebend ist, wie sich das Klima entwickeln wird. «Wir müssen vor allem die zeitliche Dimension, in der sich das Klima erwärmt, im Auge behalten», sagt Seneviratne. Wenn sich bis ins Jahr 2100 das Klima um 1,5 Grad erwärme, davor aber eine über diesen Wert hinausschiessende Erwärmung bis 2 Grad oder höher «erlebt» habe, dann seien die Konsequenzen gravierender als ohne ein Überschiessen der Temperatur. Dies könnte möglicherweise auch irreversible Schäden verursachen, insbesondere an empfindlichen Ökosystemen. «Das Aussterben von Arten während einer Phase der überschiessenden Temperatur könnte nicht rückgängig gemacht werden, selbst wenn die Erwärmung danach reduziert und 1,5 Grad erreichen würde.»
Dem grossen Publikum sei wohl nicht bewusst, dass alle bisher veröffentlichten 1,5-Grad-Szenarien ein zeitweises Überschiessen der Erwärmung und den Einsatz von CO2-vermindernden Massnahmen einbeziehen. Diese Massnahmen beinhalten Aufforstung, aber auch «Carbon Capture and Storage» (CCS), also die Aufnahme von CO2 aus Emissionsquellen oder aus der Atmosphäre. Dies geht oft einher mit dem Verbrauch von Bioenergie, welche fossile Brennstoffe ersetzt.
Drastischer Schnitt bei CO2-Emissionen
Doch auch diese Optionen zur Milderung des Klimawandels könnten riskant sein, einerseits, weil CCS noch nicht gut etabliert ist, und andererseits, weil für die Produktion von Bioenergie grosse Landflächen benötigt würden. Dies könnte die Produktion von Nahrungsmitteln konkurrenzieren. «Solche Probleme können umso besser vermieden werden, wenn die CO2-Emissionen drastisch und schnell reduziert werden», sagt die ETH-Professorin. Dies könne auch mit erhöhter Energieeffizienz, geringerem Energieverbrauch, dem zusätzlichen Gebrauch von erneuerbaren Energien und weltweit reduziertem Fleischkonsum erreicht werden.
Es gibt verschiedene Abschätzungen, wie viel CO2 ausgestossen werden darf, um das 1.5-Grad-Ziel nicht zu verpassen; alle bieten nur wenig Spielraum. «Klar ist, dass wir dringend Emissionen reduzieren müssen, wenn wir eine Chance auf das 1,5-Grad-Ziel behalten und das Überschiessen der Erwärmung so gering wie möglich halten möchten», betont Seneviratne. Es sei deshalb nötig, dass Lösungen zur Bekämpfung der Klimaerwärmung schnell untersucht und implementiert werden, selbst wenn nur testweise und in kleinem Massstab. «Die Schweiz kann als innovatives Land einen grossen Beitrag dazu leisten.»
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) (idw)