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Tatort: Fossil-Lagerstätte?

Archivmeldung vom 22.02.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.02.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Compsognathus longipes aus den Plattenkalken der berühmten Fossil-Lagerstätte Solnhofen. Hals und Schwanz sind stark über das Rückgrat hinweg gekrümmt
Quelle: © G. Janßen, O. Rauhut, Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (idw)
Compsognathus longipes aus den Plattenkalken der berühmten Fossil-Lagerstätte Solnhofen. Hals und Schwanz sind stark über das Rückgrat hinweg gekrümmt Quelle: © G. Janßen, O. Rauhut, Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (idw)

Man kennt es aus jedem guten Sonntagabend-Krimi: Die Spurensuche am Fundort und die Frage, wann und warum das Opfer ums Leben kam. Während Rechtsmediziner und Kriminalisten es oft vergleichsweise einfach haben, Anzeichen eines natürlichen oder gewaltsamen Todes zu finden, müssen Paläontologen bei ihren „Fällen“ die unendlich größeren Zeiträume seit der „Tat“ berücksichtigen.

Ichthyosaurier (Stenopterygius) mit etwa 10 Embryos aus der berühmten Fossil-Lagerstätte Holzmaden. Die meisten der stark zerfallen Embryo-Skelette wurden durch am Meeresgrund herrschende Strömungen aus dem Körper des Muttertieres transportiert.
Quelle: © Staatlichens Museum für Naturkunde Stuttgart (idw)
Ichthyosaurier (Stenopterygius) mit etwa 10 Embryos aus der berühmten Fossil-Lagerstätte Holzmaden. Die meisten der stark zerfallen Embryo-Skelette wurden durch am Meeresgrund herrschende Strömungen aus dem Körper des Muttertieres transportiert. Quelle: © Staatlichens Museum für Naturkunde Stuttgart (idw)

Viele der Indizien am Fundort haben sich über die Jahrmillionen stark verändert, wurden entfernt oder sogar vernichtet. Trotz oder gerade wegen dieser Erschwernisse hat sich in der Paläontologie ein eigener Wissenschaftszweig – die Taphonomie oder Fossilisationslehre – herausgebildet, der sich mit den Vorgängen nach dem Tod eines Lebewesens bis in die Gegenwart beschäftigt. Die Taphonomen versuchen durch die Beobachtungen heutiger Natur-Phänomene, anhand von Experimenten und unter Einbezug forensischer Erkenntnisse Kriterien zur „Beweissicherung“ zu finden, die sich auf fossile Reste anwenden lassen.

Von solchen Experimenten zum Zerfall und zur Einbettung von Wirbeltieren sowie präzise Ausdeutungen von Lagebeziehungen von Skeletten handelt das Sonderheft „Taphonomic processes in terrestrial and marine environments“ aus der Senckenberg-Zeitschrift „Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments“. Sieben Fachartikel geben Einblicke in die Forschung der Taphonomen.

Die Herausgeber Michael Wuttke (Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz) und Achim Reisdorf (Universität Basel) erläutern in ihrem Artikel die Ursachen für die häufig auftretende gebogene Körperhaltung bei Dinosauriern. Skelette von langhalsigen und langschwänzigen Dinosauriern zeigen oftmals eine seltsame Pose, bei der sowohl der Kopf als auch der Schwanz weit über den Rücken zurückgebogen sind. Diese Körperhaltung fasziniert die Paläontologen seit mehr als 150 Jahren und wurde häufig als steingewordener Ausdruck des Todeskampfes gedeutet. Anhand des weltbekannten Dinosaurier-Skeletts des Compsognathus longipes aus der weiteren Umgebung der bayrischen Fossil-Lagerstätte Solnhofen haben die Wissenschaftler diese immer wieder diskutierte Hypothese einer gründlichen Überprüfung unterzogen.

„Wir waren überzeugt, dass hier keine Todeskrämpfe überliefert sind, sondern dass die bizarren Verbiegungen des Körpers erst nach dem Tode während der Zersetzung der Dinosaurier-Leiche eintraten“, erklärt Michael Wuttke und ergänzt: „Deshalb haben wir gerupfte Hühnerhälse – frisch aus der Geflügelschlachterei – unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt. Schon beim Untertauchen im Wasser krümmten sich die Hälse um mehr als 90 Grad rückwärts.“

Im Laufe der im Wasser stattfindenden Fäulnis nahm der Krümmungsgrad immer mehr zu. Verantwortlich hierfür ist eine Bandstruktur, das sogenannte „Ligamentum elasticum“, das die Wirbel oberseitig mit einander verbindet und für langhalsige und langschwänzige Dinosaurier von großer Bedeutung war.

„Das vorgespannte Band half ihnen passiv bei der Energieersparnis – anderenfalls hätten Hals und Schwanz mit Muskelarbeit gegen die Schwerkraft aufrecht gehalten werden müssen. Gelangten die Tiere nach ihrem Tod unter Wasser, konnten sich diese Zugkräfte entfalten, da im Wasser die Wirkung der Schwerkraft weitgehend aufgehobenen ist. Entsprechend der voranschreitenden Zersetzung der Saurierleichen krümmten sich Kopf und Schwanz daraufhin immer weiter über den Rücken zurück“, ergänzt Michael Wuttke.

Die Spannbreite der weiteren Artikel erstreckt sich von Zerfallsexperimenten an einem Siebenschläfer über das Schicksal verendeter Ichthyosaurier und mariner Krokodilverwandter – die nicht an der Wasser-Oberfläche trieben und dort durch Fäulnisgasdruck explodierten, sondern sofort absanken – bis hin zu der Erkenntnis, dass Wirbeltierskelette der Grube Messel ihre hervorragende Erhaltung der Bildung von Leichenwachs zu verdanken haben.

Das Resümee aller am Sonderheft beteiligter Paläokriminalisten: „Eine Entscheidung, ob der Fundort auch der Tatort war, kann nur sehr selten getroffen werden. Wir finden jedoch Gesetzmäßigkeiten, die zur Überlieferung außerordentlich erhaltener Fossilien führen.“ Ein toller Ermittlungserfolg!

Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen (idw)

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