Unsichtbar und superleitend: Forscher kreieren Werkstoffe der Zukunft
Archivmeldung vom 24.11.2020
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Freigeschaltet durch Anja SchmittSolange auf der Erde Menschen leben, spielte die Entdeckung neuer Materialien eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Zivilisation. Nach Naturstein, Bronze und Eisen wurden ganze Epochen benannt. In den 1920er- und 1930er-Jahren begann die Ära des Kunststoffs, und seitdem ist unser Leben ohne Plastik und Gummi nicht mehr vorstellbar. Darüber berichtet das online Magazin "Sputnik".
Weiter heißt es hierzu auf deren deutschen Webseite: "Mehrere Jahrzehnte später trat Silizium in den Vordergrund, das die Entwicklung moderner Elektronik und digitaler Technologien maßgeblich voranbrachte. Heutzutage beschäftigen sich Forscher mit der Entwicklung neuartiger Stoffe, deren Eigenschaften es in der Natur gar nicht gibt. Über die letzten Erfolge auf diesem Gebiet berichteten Forscher russischer Universitäten, die am Projekt „5-100“ beteiligt sind.
Werkstoffe mit „unmöglichen“ Eigenschaften
In vielen Laboren weltweit arbeiten Forscher an so genannten „Metamaterialien“, deren Eigenschaften über die Grenzen der Eigenschaften ihrer Komponenten hinausgehen. Rein physisch sind das künstlich gebildete Strukturen, die elektromagnetische und optische Eigenschaften besitzen, die in der Natur unerreichbar sind.
In der Zukunft könnten dank neuen Materialien Unsichtbarkeit erreicht und universelle kabellose Ladegeräte sowie gigantische Datenspeichersysteme hergestellt werden. Außerdem könnten auf diese Weise die Eigenschaften von Supraleitern gesteuert werden.
Bei der Unsichtbarkeit, die unter Science-Fiction-Autoren sehr populär ist, handelt es sich nicht nur um die optischen Eigenschaften von Objekten. Der Lärm, vor dem wir alle geschützt sind, ist unsichtbar, genauso wie physische Schläge, die wir nicht spüren. Moderne Materialien ermöglichen es, beispielsweise Soldaten, Verkehrsmittel usw. „unsichtbar“ zu machen.
2020 berichtete das „Forbes“-Magazin, dass das Army Research Laboratory (ARL) in den USA Forschungen zwecks Entwicklung von Metastoffen finanzieren würde, die imstande wären, die Energie von mechanischen Wellen unter Umgehung von Objekten zu leiten, indem diese vor Explosionen, Druckwellen, Erdbeben und Vibrationen geschützt werden. Solche Entwicklungen könnten beispielsweise ein U-Boot oder eine Brücke „unsichtbar“ für die mechanische Energie machen.
Unsichtbare Beschichtung
Russische Forscher sind auf die Idee gekommen, wie eine flache Stealth-Beschichtung geschaffen werden könnte, die jegliche ausgedehnte Objekte (Antennen von Flugzeugen, Schiffsmasten) für Radarsysteme „unsichtbar“ machen würden. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Scientific Reports“ veröffentlicht.
„Wir haben eine spezielle Beschichtung auf Basis eines idealen Dipol-Magnetstreustrahlers erfunden, die ein ausgedehntes Metallobjekt mit einem elektrischen Widerhall in ein Objekt mit magnetischem Widerhall verwandelt. Am Ende wird ein solches Objekt unsichtbar“, sagte der Teilnehmer des Projekts und MISiS-Experte Alexej Bascharin gegenüber RIA Novosti.
Zu diesem Zweck haben die Forscher eine solche Struktur des „flachen“ Metamaterials entwickelt, die mit darauf fallenden elektromagnetischen Wellen fast nicht kontaktiert und diese einfach „durchlässt“.
Bei diesem Stoff geht es um etliche Metall- und dielektrische Nanoteilchen, die ein sich wiederholendes Muster bilden. Dieses „Bild“ ist so eingerichtet, dass der Gegenstand, der sich dahinter versteckt, mit der elektrischen Komponente des Lichtes nicht mehr zusammenwirkt und sie nicht mehr zerstreut. Dadurch kann man solche Effekte vermeiden, die das Vorhandensein des „unsichtbaren“ Objekts verraten, sowie verschiedene Ausstrahler ideal isolieren, beispielsweise Satellitenantennen, die sich in der Nähe voneinander befinden.
In der nächsten Zeit werden sich die Forscher mit der Verbesserung der Beschichtung befassen, die nicht nur mit der elektrischen Komponente von elektromagnetischen Wellen, sondern auch mit deren magnetischer Komponente zusammenwirken wird. Die Entwicklung von solchen Strukturen (zunächst testweise) werde einen wichtigen Schritt zur Entwicklung der idealen Unsichtbarkeit darstellen, zeigte sich Alexej Bascharin überzeugt.
Energieübertragung per Luft
Ein Metamaterial, dank dem Energie per Luft gleich in mehreren Frequenzen übertragen werden kann, so dass universell einsetzbare kabellose Ladegeräte entwickelt werden können, haben Forscher von der St. Petersburger Universität für Informationstechnologien, Mechanik und Optik (ITMO) entwickelt. Der neue Werkstoff kann mit verschiedenen Typen von kabellosen Stromempfängern bzw. -sendegeräten gleichzeitig arbeiten. Dabei geht es um eine Kombination von zahlreichen Leitern, die zusammen ein besonderes Muster bilden und miteinander durch Kondensatoren verbunden sind.
„Unser Stoff hat viele einzigartige Eigenschaften, insbesondere die regressive Frequenzdispersion und mehrere Resonanzfrequenzen mit gleichmäßigem Magnetfeld, dank denen Energie ‚per Luft‘ übertragen werden kann“, erläuterte die Expertin Polina Kapitanowa von der ITMO-Universität.
Die Wissenschaftler haben bereits einen Prototyp des neuen universalen Ladegeräts hergestellt. Seine Arbeit wurde bereits getestet, indem mehrere Leuchtdioden an verschiedene Typen von kabellosen Stromempfängern angeschlossen und über einem Tisch aufgestellt wurden, auf dem das Metamaterial lag. Das Ladegerät übertrug stabil die Energie auf drei verschiedenen Wegen und versorgte damit alle angeschlossenen Geräte. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Applied Physics Letters“ publiziert.
Supraleitung-Steuerung
In diesem Jahr hat ein wissenschaftlicher Erfolg bei der Schaffung des ersten Supraleiters bei Raumtemperatur für großes Aufsehen gesorgt. Mit Technologien dieser Art kann den Entwicklern zufolge in Zukunft auf elektrische Batterien verzichtet werden.
Supraleiter sind Materialien, die Elektrizität ohne Widerstand leiten können. Die Supraleitung gehört zu den größten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. Es gibt Prototypen von Quantencomputern, die supraleitende Elemente zur Speicherung nutzen. Supraleiter werden auch zur Schaffung eines starken Magnetfeldes wie beim Projekt des Internationalen experimentellen thermonuklearen Reaktors ITER genutzt.
Wissenschaftler der Polytechnischen Universität Tomsk schlugen ein neues Instrument zur Änderung und Steuerung der Eigenschaften der supraleitenden Materialien durch die Änderung der Geometrie des Stoffes vor: Aufwickeln zu einer dünnen Rolle. Zuvor wurde auf die traditionelle Methode zum Kontrollieren der Eigenschaften gesetzt, bei der zusätzliche Beimischungen in den Stoff, Defekte zugegeben wurden.
Beim Modellieren stellten Forscher einen interessanten Effekt fest: Unter der Wirkung des Stroms ändert sich in einem Stoff (Niobium) in zusammengerollter Form die Konfiguration der zirkulierenden supraleitenden Ströme. Im Ergebnis hat der Stoff gleichzeitig leitende und nichtleitende Abschnitte. Diese Zustände können beeinflusst werden, indem die Parameter des Magnetfeldes geändert werden. In der Zukunft kann diese Entdeckung die Steuerung der Eigenschaften der Supraleiter ermöglichen.
Wie die Verfasser des Artikels betonen, die in der Zeitschrift Communications Physics veröffentlicht wurde, sind die Eigenschaften des Stoffes bei anderer Geometrie – wenn er zusammengerollt ist – nicht ausreichend erforscht, wobei es kein Instrument für ihr Prognostizieren gibt, während die supraleitenden Eigenschaften von Niobium bereits gut erforscht sind. Die Wissenschaftler legten nun Modelle für das Prognostizieren der Eigenschaften vor.
Günstige nanostrukturelle Filme
Ein weiteres fortgeschrittenes Material – Metallfilme mit einer geordneten Nanostruktur – verfügt über einmalige Eigenschaften, die die Magnetfelder kontrollieren und diese Filme anders magnetisieren lassen. Das ermöglicht die Schaffung von Systemen zur Aufnahme und sicheren Speicherung großer Informationsmengen bzw. Sensoren der Magnet-Nanoteilchen, mit denen der Zustand des Blutes von Patienten, die Konzentration der dortigen Teilchen, die Geschwindigkeit der Freilassung und Verwertung eines Medikaments im Körper verfolgt werden können.
Die Schaffung einer geordneten Menge von Nano-Lücken mit einem gleichen Durchmesser auf einer großen Fläche ist eine schwere und kostspielige Aufgabe, zumindest wenn sie direkt gelöst wird, indem Lücken in einem Film gemacht werden. Wissenschaftler der Föderalen Universität Ural gingen einen anderen Weg, der weniger kostspielig ist, und schlugen den Effekt der Selbstmontage und Selbstorganisation vor.
Dieser Effekt besteht in der Anwendung der Technologie des Aloxydierens zum Erhalt von porösen Flächen mit geringer Modifikation, was Lücken mit gut kontrolliertem Durchmesser, die in einem hexagonalen Gitter angeordnet sind, bekommen lässt. Eloxal besteht aus einem sehr festen Material mit der chemischen Formel Al2O3, das im kristallisierten Zustand als Corundum bzw. Saphir bekannt ist. Bei der Selbstorganisation der Poren bekommt man eine Oberfläche, die an Bienenwaben erinnert, die ungefähr um das Millionenfache kleiner sind.
Eine Aluplatte mit geordneten Poren wurde bereits vor einem Vierteljahrhundert entwickelt. In den letzten Jahren wird sie als Grundlage für Filme, darunter Magnet-Filme, und als Muster für das Anschließen von Metall-Nano-Drähten genutzt.
Physiker der Föderalen Universität Ural haben zusammen mit den Forschern des Instituts für Materialforschung von Madrid (Spanien) mithilfe einer bekannten Methode eine einzigartige amorphe Folie TbCo mit einer senkrechten Anisotropie gewonnen. Die Ergebnisse der Studie sind in der Zeitschrift Nanotechnology veröffentlicht.
„Dieses Material ist ungewöhnlich, weil da zwei Magnet-Untergitter vorhanden sind, deren magnetische Punkte in entgegengesetzte Richtungen gerichtet sind. Für bestimmte Zusammensetzungen der Folie werden sich ihre Magnetfelder bei Erhitzung bzw. Abkühlung stark verändern. Es wird z.B. der magnetische Punkt von Terbium, Kobalt dominieren oder sie werden ungefähr gleich sein. Diese Eigenschaft kann bei der Schaffung des Umfeldes für magnetische Aufnahme von Informationen besonders nützlich sein“, sagte der Senior-wissenschaftliche-Mitarbeiter der Abteilung für Magnetismus fester Körper der Föderalen Universität Ural Nikita Kulesch.
Magnetfilme mit Nano-Lücken sind von Interesse, weil die so genannte superparamagnetische Grenze überwunden werden kann – wenn die Bit-Größe so klein wird, dass die Energie der thermischen Schwingungen über der Energie der magnetischen Anisotropie dominiert, wie die Wissenschaftler erklären.
Zurzeit wird an der Föderalen Universität Ural ein vollständiger Zyklus zur Schaffung von nanoperforierten Filmmustern mit einer Schicht unterschiedlicher Zusammensetzung umgesetzt. Dabei kommt es unter anderem zu einer elektrochemischen Synthese poröser Platten von Eloxal mit Lücken verschiedenen Durchmessers bzw. Nano-Ballungen, Galvanisierung der Filmschichten mit einer präzisen Kontrolle der Zusammensetzung und Dichte. Zudem sind Anlagen zur Erforschung der erhaltenen Muster vorhanden.
Die Forschungsoffensive „5-100“, die als Teil des nationalen Projekts „Bildung“ umgesetzt wird, dient dem Ausbau des wissenschaftlichen Potentials der russischen Universitäten und der Stärkung ihrer Wettbewerbspositionen auf dem globalen Bildungsmarkt. "
Quelle: Sputnik (Deutschland)