100 Millionen Jahre alte Schildlaus betrieb Brutpflege
Archivmeldung vom 31.03.2015
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtWissenschaftler der Universität Bonn haben mit Kollegen aus China, Großbritannien und Polen den ältesten Beleg für Brutpflege bei Insekten beschrieben: Es handelt sich dabei um eine Schildlaus, die als Fossil in Bernstein eingeschlossen ist. Der rund 100 Millionen Jahre alte „Schnappschuss“ aus der Erdgeschichte zeigt das nur sechs Millimeter winzige Insekt mit einem Kokon aus Wachs, der Dutzende von Eiern vor Fressfeinden und Austrocknung schützt. Die Forscher stellen nun ihre Ergebnisse im hochkarätigen Journal „eLIFE“ vor.
In dem bräunlich schimmernden Bernstein ist das nur wenige Millimeter kleine weibliche Insekt mit der wächsernen Haube deutlich zu erkennen. Die Wachsumhüllung schützt sowohl die Schildlaus als auch ihre rund 60 Eier vor Räubern und Austrocknung. Das Weibchen verfügt im Gegensatz zu den männlichen Schildläusen weder über Flügel noch einen Chitinpanzer. Mit seinem weichen Körper ist es darauf spezialisiert, an Blättern zu saugen und für die Nachkommenschaft zu sorgen.
„Fossilien von den empfindlichen weiblichen Schildläusen sind extrem selten“, sagt der chinesische Paläontologe Dr. Bo Wang, der als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung am Steinmann-Institut der Universität Bonn forscht. „Einzigartig ist das Alter des Fundes: Ein 100 Millionen Jahre alter Beleg für Brutpflege bei Insekten wurde bislang noch nicht gefunden.“ Das Alter der Fundstelle wurde mit der radiometrischen Uran-Blei-Methode bestimmt. In dem im Bernstein festgehaltenen „Schnappschuss“ aus der Erdgeschichte sind neben dem Insekt, seinen Eiern und der Wachsschicht auch sechs Jungtiere überliefert.
Das Fossil ist nach einer buddhistischen Göttin benannt
Dr. Wang nutzte seine guten Kontakte zu Sammlern im Norden Myanmars, um an den außerordentlich seltenen Bernsteinbrocken heranzukommen. Das internationale Wissenschaftlerteam gab der etwa 100 Millionen Jahre alten Schildlaus den Namen Wathondara kotejai – nach der buddhistischen Erdgöttin Wathondara und dem polnischen Insektenkundler Jan Koteja.
Dass die weibliche Schildlaus im Bernstein erhalten wurde, sei ein sehr seltenes Ereignis, führt Privatdozent und Mitautor Dr. Torsten Wappler vom Steinmann-Institut der Universität Bonn aus. Normalerweise würden hauptsächlich männliche Schildläuse vom Baumharz eingeschlossen, etwa wenn sie sich am Stamm oder den Ästen von Bäumen aufhalten. Im vorliegenden Fall ist wahrscheinlich Harz von einem Zweig auf ein Blatt getropft, das die weibliche Schildlaus samt Kokon, Eiern und Nymphen umschlossen hat.
Anschließend fossilierte das Harz. Was in solchen Fällen übrig bleibt, ist meist lediglich die Hohlform im Bernstein, während sich das Insekt im Inneren des Brockens zersetzt. Die Wissenschaftler schneiden und polieren den Bernstein so lange, bis nur eine dünne Schicht zum eingeschlossenen Insekt verbleibt. Wie durch ein Fenster können die Forscher dann unter dem Mikroskop dreidimensionale hochaufgelöste Aufnahmen von dem Zeugen aus der Vergangenheit aufnehmen.
Brutpflege steigert die Überlebenschancen der Nachkommen
„Mit der Brutpflege steigern die Schildläuse die Überlebenschancen ihrer Nachkommen“, sagt Dr. Wappler. Erst wenn die jungen Schildläuse weit genug entwickelt sind, schlüpfen sie aus der schützenden Wachsschicht und suchen sich erneut eine Pflanze, um den zucker- und energiereichen Saft zu saugen. Auch heute verbreitete Schildläuse verfügen über einen Wachskokon. Ihre Wachsdrüse befindet sich am Hinterleib. Sie drehen sich im Kreis und sondern dabei das Sekret ab. Das Ergebnis ist eine runde Struktur mit Rillen. „Die Wachsumhüllung sieht dann von oben in etwa so aus wie ein Schallplatte“, schmunzelt der Paläontologe. Wenn das Tier wächst, häutet es sich und sondert erneut Wachs ab. Haut- und Wachsschichten wechseln sich deshalb im Kokon ab.
Bernstein als Fenster zur Vergangenheit
Aus dem Vergleich von modernen Schildlausarten mit dem Bernsteinfund schließt der Paläontologe, dass die Lebensweise und das Reproduktionsverhalten dieser Insekten bereits vor rund 100 Millionen Jahren ganz ähnlich war wie die der heutigen Formen. „Einschlüsse in Bernsteinen sind eine einzigartige Gelegenheit, in das Leben der Vergangenheit zu blicken“, erläutert Dr. Wappler. Insekten im fossilen Baumharz seien meist sehr gut erhalten, während in Sedimenten eingebettete Gliedertiere entweder überhaupt nicht erhalten bleiben oder durch den Druck der auflastenden Schicht häufig zerdrückt oder gequetscht überliefert werden. „Der Bernsteinfund mit Wathondara kotejai ist deshalb bislang einmalig“, sind die Wissenschaftler der Universität Bonn überzeugt.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (idw)