Erstes Hai-Genom entschlüsselt
Archivmeldung vom 09.01.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEin internationales Forscherteam, an dem auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg beteiligt waren, hat das Erbgut der Australischen Pflugnasenchimäre sequenziert und untersucht. Der genetische Vergleich mit Mensch und anderen Wirbeltieren zeigte, dass das Immunsystem der Haie deutlich einfacher aufgebaut ist als beim Menschen und weshalb bei Haien das Skelett weitestgehend aus Knorpel besteht und nicht mit der Zeit verknöchert. Die Ergebnisse von Byrappa Venkatesh und Kollegen wurden in der neuesten Ausgabe des Fachblattes Nature publiziert.
Bei der Erbgut-Analyse stießen die Forscher auf eine Überraschung: Den Haien fehlen bestimmte Typen von Immunzellen aus der Gruppe der T-Helferzellen. Diese Zelltypen galten bislang bei Wirbeltieren als unentbehrlich für die Abwehr von Viren und Bakterien und für die Vermeidung von Autoimmun-Erkrankungen wie Diabetes und Rheuma.
Trotz dieser scheinbar primitiveren Form der Immunabwehr können sich Haie während ihres langen Lebens gut gegen Infektionserreger verteidigen. „Der Aufbau des Immunsystems bei Haien weicht von dem anderer Wirbeltiere stark ab“, sagt Thomas Boehm, Koautor und Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. „Die Tiere können aber offensichtlich trotzdem Infektionen sehr effektiv bekämpfen. Das deutet darauf hin, dass die Natur unterschiedliche Lösungen für das gleiche Problem entwickelt hat.“
Was geschieht, wenn beim Menschen die T-Helfer-Zellen zerstört werden, lässt sich bei AIDS-Erkrankten beobachten. Der Körper ist dann viralen oder bakteriellen Infektionen weitgehend hilflos ausgeliefert. Bislang war man darum davon ausgegangen, dass T-Helfer-Zellen für ein funktionierendes Immunsystem unentbehrlich sind. Die neuen Ergebnisse stellen diese altbekannte Gewissheit nun in Frage und bieten neue Denkansätze, wie das menschliche Immunsystem bei Fehlfunktionen positiv beeinflusst werden kann.
Außerdem untersuchten die Forscher, weshalb Knorpelfische, zu denen auch der die Australische Pflugnasenchimäre gehört, den relativ weichen Knorpel des Skeletts nicht in harte Knochensubstanz umwandeln können, wie dies beim Menschen und anderen Wirbeltieren der Fall ist. Die genetische Vergleichsstudie zeigte nun, dass den Tieren eine bestimmte Gen-Gruppe fehlt, die für die Verknöcherung von Bedeutung ist. Schalteten die Forscher diese Gene in Knochenfischen aus, unterblieb auch dort die Verknöcherung. Das ist ein starker Hinweis darauf, dass die untersuchte Gen-Gruppe auch beim Menschen ein wichtiger Ansatzpunkt für das Verständnis menschlicher Knochen-Erkrankungen, wie etwa Osteoporose, sein kann.
Die Forscher zeigten außerdem, dass sich das Erbgut der Australischen Pflugnasenchimäre im Laufe der Evolution langsamer verändert hat als das Erbgut aller bisher untersuchten Wirbeltiere. Sie schlägt selbst den Quastenflosser, der den Beinamen „lebendes Fossil“ trägt und dessen Erbgut sich ebenfalls nur extrem langsam verändert. Damit dürfte das Genom der Australischen Pflugnasenchimäre einem gemeinsamen Vorfahren aller Wirbeltiere so ähnlich sein wie kein anderes Tier bisher.
Knorpelfische (Haie, Rochen, Chimären) bilden unter den Kiefer-Wirbeltieren die älteste Gruppe. Sie haben sich vor etwa 450 Millionen Jahren von den knochenbildenden Wirbeltieren getrennt. Die Australische Pflugnasenchimäre (Callorhinchus milii) gehört zu den Chimären, einem nahen Verwandten der Haie, und lebt in gemäßigten Gewässern Neuseelands und des südlichen Australien in Tiefen von etwa 200 bis 500 Metern. Von den etwa 1000 Knorpelfischarten wurde die Australische Pflugnasenchimäre aufgrund ihres relativ kleinen Genoms ausgewählt, das etwa ein Drittel des menschlichen Genoms misst.
Das Projekt wurde in erster Linie von den National Institutes of Health (NIH), USA, gefördert. Wissenschaftler aus 12 internationalen Forschungseinrichtungen, darunter auch dem Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik (MPI-IE) in Freiburg, waren daran beteiligt.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (idw)