Zeit für den Aufstieg
Archivmeldung vom 15.07.2017
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDer Ruderfußkrebs Calanus finmarchicus richtet seinen Tag nach einer genetischen Uhr aus, die unabhängig von äußeren Reizen funktioniert. Diese Uhr beeinflusst Rhythmen des Stoffwechsels sowie die tägliche Vertikalwanderung der Krebse. Das hat einen enormen Einfluss auf das gesamte Nahrungsnetz im Nordatlantik, denn Calanus finmarchicus ist dort eine zentrale Planktonart. Je nachdem, wo sich der energiereiche Krebs gerade befindet, müssen sich auch seine Fressfeinde aufhalten. Die Ergebnisse der Studie erscheinen nun im Fachjournal Current Biology.
Tag für Tag findet in den Meeren der Welt eine gigantische Vertikalwanderung statt: Bei Sonnenuntergang schwimmen unzählige Planktonorganismen wie Ruderfußkrebse oder Krill in Richtung Oberfläche, um sich an einzelligen Algen satt zu fressen, die nur dort gedeihen können, wo ausreichend Licht zur Verfügung steht. Die Nacht bietet den Tieren Schutz vor Räubern wie Fischen, die Licht zum Jagen brauchen. Am Morgen wandern die Tiere dann in die dunkle Tiefe zurück, wo sie sich tagsüber vor ihren Fressfeinden verstecken. Das ist die vermutlich größte tägliche Bewegung von Biomasse auf dem ganzen Planeten. Obwohl dieses Phänomen seit mehr als 100 Jahren bekannt ist, haben Wissenschaftler erst in Ansätzen verstanden, welche Signale Meereslebewesen nutzen, um zu entscheiden, wann sie nach oben und wann sie nach unten wandern.
Licht scheint dabei eine große Rolle zu spielen – doch auch in der Polarnacht und im Dunkel der Tiefsee, wo nur sehr wenig Licht zur Verfügung steht, finden solche Wanderungen statt. Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) konnten nun nachweisen, dass der Ruderfußkrebs Calanus finmarchicus eine innere genetische Uhr besitzt, die unabhängig von äußeren Reizen einen 24-Stunden Rhythmus erzeugt. Licht wird dabei nur benötigt, um die Uhr hin und wieder richtig zu „stellen“. „Diese Uhr beeinflusst neben den Rhythmen der Stoffwechselaktivität der Tiere auch deren tägliche Vertikalwanderung“, sagt Erstautor Sören Häfker.
Zusammen mit Kollegen der Universität Oldenburg und der Scottish Association for Marine Science hat er eine detaillierte Untersuchung des gesamten Uhr-Mechanismus für diese wichtige Krebsart durchgeführt und die tägliche Wanderung mit der Rhythmik der genetischen Uhr verglichen. „Für uns war es erstaunlich, wie präzise die genetische Uhr den 24-Stunden-Rhythmus ohne äußere Reize beibehält und dass wir diesen Rhythmus sowohl unter kontrollierten Laborbedingungen als auch im natürlichen Lebensraum im schottischen Loch Etive fanden“, sagt Sören Häfker. In der freien Natur können die Tiere bei ihren täglichen Wanderungen mehrere hundert Meter zurücklegen. Doch auch in Laborexperimenten wiesen die Wissenschaftler dasselbe Bewegungsmuster nach. Hier haben sie für die Tiere zuerst einen natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus simuliert und sie danach mehrere Tage in konstanter Dunkelheit gehalten. Unter diesen Bedingungen haben sie dann den Sauerstoffverbrauch der Tiere als Hinweis für den Stoffwechsel, die Vertikalwanderung sowie die Aktivität verschiedener Uhr-Gene gemessen. In den knapp einen Meter hohen Säulen der Versuchsanordnung findet selbst bei konstanter Dunkelheit eine rhythmische Vertikalwanderung statt. Dieses Verhalten zeigt, dass die Wanderung von der genetischen Uhr reguliert wird. Die Krebse können so den Tageszyklus vorausahnen und sich zum Beispiel in tiefere Wasserschichten zurückziehen, noch bevor es für Räuber hell genug wird, um sie zu jagen.
Der Ruderfußkrebs Calanus finmarchicus sammelt im Körper große Fettreserven an und ist daher für viele größere Tiere eine attraktive Nahrungsquelle. Die tägliche Wanderung hat somit eine herausragende Bedeutung für das Ökosystem. Das ist besonders relevant, weil durch die Klimaerwärmung viele marine Arten ihre Verbreitung in Richtung der Pole verschieben. Dort schwankt die Tageslänge über das Jahr jedoch deutlich stärker und es stellt sich die Frage, ob die inneren Uhren dieser Tiere mit den extremeren Bedingungen klarkommen. „Nur wenn wir verstehen, wie genetische Uhren funktionieren und wie sie das Leben im Meer beeinflussen, können wir in Zukunft besser vorhersagen, wie marine Arten auf Veränderungen der Umwelt – etwa durch den Klimawandel – reagieren und welche Konsequenzen das für marine Ökosysteme hat“, betont Sören Häfker.
Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (idw)