Die Energieversorger der Zukunft sind wir selbst
Archivmeldung vom 22.02.2018
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Freigeschaltet durch André OttIm Wissenschaftsblog adhibeo sagt Prof. Dr. Jens Strüker, Dekan des Studiengangs Digitales Energiemanagement an der Hochschule Fresenius, dass wir umdenken müssen: Mit unserem aktuellen Energiesystem werden wir nicht in der Lage sein, künftig die Versorgung ökonomisch und ökologisch sinnvoll sicherzustellen. Ein unvermeidlicher Schritt ist die aktive Einbindung von energieverbrauchenden und energieerzeugenden Geräten.
Dabei verschwindet zunehmend die klassische Unterteilung zwischen Produzent und Konsument. Energieversorger bekommen eine neue Rolle. Die Blockchain-Technologie und die Anbindung von immer mehr Geräten an das Internet spielen bei der Umsetzung eine entscheidende Rolle. Bis zur Marktreife dauert es aber noch.
"Wir stehen aktuell vor der Herausforderung, ein zunehmend dezentrales Energiesystem koordinieren zu müssen", so Strüker. "Aktuell binden wir die unterschiedlichen Teilnehmer - tausende Blockheizkraftwerke, Millionen Photovoltaikanlagen, zehntausende Windkraftanlagen und Batterien -lediglich physikalisch in das Stromsystem ein. Einspeisen und Ausspeisen von Strom erfolgt unabhängig von Engpässen im Verteilnetz und damit den tatsächlichen Kosten." Die Situation wird sich dabei noch zuspitzen: Auf dem Wärmesektor findet eine Elektrifizierung im großen Stil statt, die Bereiche Verkehr und Transport werden folgen.
Künftig kann ein Haus spontan zum Stromlieferant für Nachbarn werden, beispielsweise wenn die Solaranlage mehr Strom erzeugt als verbraucht wird, oder der Börsenpreis sehr hoch ist. Ziel müsse es sein, Ressourcen bedarfsgerecht zu nutzen und selbst entscheiden zu können, was mit der vorhandenen Energie passiert. Technisch möglich macht dies das so genannte Internet of Things, indem Geräte aller Art und Größe miteinander kommunizieren. Die Koordination zwischen den Geräten könnte die Blockchain-Technologie übernehmen. "Sie ist in der Lage, kleinste Energieflüsse und Steuerungssignale zu sehr geringen Transaktionskosten sicher und nachweisbar zu organisieren", erläutert Strüker. Eine Vermittlung durch zentrale Instanzen wird nicht mehr benötigt. Transaktionen erfolgen direkt zwischen den Nutzern - und es wird auch nur in diesem Innenverhältnis abgerechnet. "Auf diese Weise werden wir alle unmittelbar Teil der Energiewende."
Und die Energieversorger? "Diese agieren künftig als Schnittstellenmanager. Sie erzielen ihre Wertschöpfung durch Komplexitätsreduktion. Die Rolle als Umsorger vor Ort ist dabei auch zukunftssicherer als der Versuch, ein Datensammler zu werden. Denn anders als in der klassischen Internet-Plattformökonomie mit ihren bekannten Protagonisten aus dem Silicon Valley erlauben Blockchains Datensouveränität, das heißt die kontrollierte Nutzung der eigenen Daten." Professor Strüker hat diese dramatische und lebhaft diskutierte Verschiebung der Plattform-Ökonomie kürzlich anlässlich der Handelsblatt-Tagung, dem jährlichen Branchentreffen der Energiebranche in Berlin, umfassend analysiert. Sein Fazit lautet: "In einer dezentralen Energiewelt wird es dank der Blockchain-Technologie möglich, kurzfristig genügend Maschinen zur Herausgabe von Nutzungsdaten anzureizen, um zum Beispiel eine Lastganganalyse durchzuführen und die Energiebezugskosten für einen Kunden spontan zu minimieren."
Bis es soweit ist, sind noch einige Herausforderungen zu überwinden. Blockchains sind zwar viel diskutiert und werden mit Hochdruck entwickelt. Den vielen Pilotprojekten stehen allerdings nur wenige marktreife Anwendungen gegenüber. Auf technischer Seite spielen die Kriterien Geschwindigkeit, Energieverbrauch, Interoperabilität, Sicherheit und Zuverlässigkeit eine große Rolle. Noch gestatten Blockchains beispielsweise zu wenige Transaktionen pro Sekunde. "Und wir müssen dringend die Spielregeln für einen Markt schaffen, in dem stromverbrauchende und stromerzeugende Geräte aller Größen aktiv am Energiehandel und den Systemdienstleistungen teilnehmen", fordert Strüker. "Haushalte und Unternehmen müssen direkt interagieren können. Die aktuelle Marktordnung stellt allerdings immer noch die Weichen in Richtung der volkswirtschaftlich höchsten problematischen Autarkie, das heißt der Trennung von Stromnetz und der hundertprozentigen Eigenversorgung."
Das ausführliche Interview ist nachzulesen unter: http://bit.ly/2BHbMtM
Quelle: Hochschule Fresenius (ots)