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Glibber aus der Tiefsee

Archivmeldung vom 15.01.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.01.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Der zähe und elastische Schleim des atlantischen Schleimaals hat es einer ETH-Forschungsgruppe angetan. Quelle: Bild: ETH Zürich/Simon Kuster et al. (idw)
Der zähe und elastische Schleim des atlantischen Schleimaals hat es einer ETH-Forschungsgruppe angetan. Quelle: Bild: ETH Zürich/Simon Kuster et al. (idw)

ETH-Wissenschaftler erforschen die aussergewöhnlichen Absonderungen des Schleimaals. Wie dieses natürliche Hydrogel für den Menschen nutzbar gemacht werden könnte, wollen die Forscher in den kommenden drei Jahren herausfinden.

Schwierige Haltung: Schleimaale in einem Meerwasserbecken.
Quelle: Bild: ETH Zürich/Simon Kuster (idw)
Schwierige Haltung: Schleimaale in einem Meerwasserbecken. Quelle: Bild: ETH Zürich/Simon Kuster (idw)

Dieses Tier hat alles richtig gemacht. Es existiert seit 300 Millionen Jahren, hat die Dinosaurier überlebt, den grossen Meteoriteneinschlag, Warmphasen, Eiszeiten – und es bevölkert noch immer die Tiefen der Meere, wo es von Aas lebt oder Beute macht. Ein attraktives Äusseres besitzt er allerdings nicht, der atlantische Schleimaal (Myxine glutinosa). Dennoch hat eine Gruppe von ETH-Forschern vom Labor für Lebensmittelverfahrenstechnik von Professor Erich Windhab grossen Gefallen an ihm gefunden. Oder präziser gesagt: an seinem Schleim.

Der Schleim ist etwas vom Aussergewöhnlichsten, das die Natur hervorgebracht hat. Sobald ein Schleimaal von einem Feind gepackt wird, stösst er ein Sekret aus, das innerhalb von Sekundenbruchteilen geliert, selbst in kaltem Wasser. Dieses Sekret vermag Unmengen von Wasser zu binden, wodurch sich ein durchsichtiger, zäher und klebriger Schleim bildet. Fische, die es auf den Schleimaal abgesehen haben, ersticken fast ab dem Schleim wodurch der Schleimaal entkommen kann.

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Dieser Schleim ist nun zum Gegenstand eines ETH-Forschungsprojekts geworden, an dem Doktorand Lukas Böni, Masterstudent Lukas Böcker und Postdoc Patrick Rühs unter der Leitung von Simon Kuster aus der Gruppe von Professor Peter Fischer in den kommenden drei Jahren arbeiten werden.

Auf die schleimenden Meeresbewohner stiess Kuster vor zwei Jahren. Er sah einen BBC-Dokumentarfilm über atlantische Schleimaale (engl. Hagfish) - und war von diesen Tieren fasziniert. «Als Chemiker und Materialforscher hat sich mir sofort die Frage gestellt, woraus der Schleim besteht und wie das Material beschaffen sein muss, damit es eine derart riesige Menge Wasser binden kann», sagt Kuster.

Vorrecherchen zeigten den ETH-Forschern, dass die Schleimbildung und sein Ausstoss nur wenig untersucht und kaum verstanden sind. Bekannt ist, dass das natürliche Hydrogel des Schleimaals zwei Hauptbestandteile hat: einen rund 15 bis 30 Zentimeter langen Proteinfaden und sogenannte Muzine, welche die Fäden untereinander vernetzen und den Schleim erst «schleimig» machen. Dieser Faden hat ähnliche Eigenschaften wie Spinnfäden. Er ist extrem reissfest und elastisch – allerdings nur in angefeuchtetem Zustand.

Produziert werden diese Hauptbestandteile in speziellen Drüsen. Darin eingebettet sind zwei Typen von Zellen, die entweder das fädige Protein oder Muzin produzieren. Bei Gefahr stösst der Aal diese Zellen ruckartig über Poren aus. Dabei zerreissen die Plasmamembranen, und die beiden Komponenten, also die Proteine und Muzine, kommen frei. Sie interagieren und bilden die Matrix, welche das Wasser «aufsaugt» und bindet.

Der Schleim besteht aus nahezu 100 Prozent Wasser und enthält nur gerade mal 0,004 Prozent «Geliermittel». Oder anders formuliert: Das Gewichtsverhältnis von «Geliermittel» zu Wasser beträgt das 26‘000fache - über 200 Mal mehr als bei herkömmlicher tierischer Gelatine. Für die Gelierung ist nur sehr wenig Energie notwendig.

Besonders fasziniert hat die ETH-Forscher die Tatsache, dass das fädige Protein in den Drüsenzellen als Knäuel von 150 Mikrometern Durchmesser vorliegt, im Schleim aber als mehrere Zentimeter langer, ausgestreckter Faden. Wie dieses Abwickeln genau vor sich geht, ist erst in Ansätzen geklärt. «Die Wicklung innerhalb der Zelle ist hochspezialisiert und sehr ungewöhnlich», betont Böni.

Zur Vorbereitung ihres Projekts reisten die ETH-Wissenschaftler mehrere Male nach Norwegen. Nach langer Suche fanden sie in Ålesund einen Projektpartner, der die Möglichkeit hatte, atlantische Schleimaale in der freien Wildbahn zu fangen und im Aquarium zu halten. «Bevor wir mit dem Aquarium zusammenarbeiteten, führten wir erste Vorversuche am Schleim in einer Garage durch und nahmen dafür einen Teil ihrer Laborinfrastruktur der ETH nach Norwegen mit», erklärte Fischer.

Die Tiere nach Zürich zu transportieren, ist hingegen nicht sinnvoll. «Der Transport würde sie so stressen, dass sie während der ganzen Zeit Schleim absondern und schliesslich daran ersticken würden», sagt Lukas Böcker. Auch hätten sie in ihrem Labor in Zürich keine Möglichkeit, die Schleimaale artgerecht – in 10-grädigem frischem Meerwasser bei kompletter Dunkelheit – zu halten.

Super-Hydrogel nach natürlichem Vorbild

Das Ziel des Projektes ist, das vom Schleimaal erzeugte Gel so zu verändern, dass es das Wasser dauerhaft zurückhalten kann und so zu einem «Super-Hydrogel» werden könnte. Dazu müssen die Forscher allerdings erst das Geheimnis des enormen Wasseraufnahmevermögen des Schleims ergründen.

Dank ihrer Voruntersuchungen haben die ETH-Wissenschaftler einen Weg gefunden, das Drüsensekret so zu stabilisieren, damit sie es für ihre Studien nach Zürich ins Labor transportieren können. Welche Faktoren diese Stabilisierung ermöglichen, ist ihnen jedoch nicht bekannt. Lösen sie dieses Rätsel, wäre es denkbar, eine ähnliche Stabilisation bei einem biomimetischen Nachahmerprodukt – ein Fernziel des Projekts - anzuwenden.

Eine exakte Nachbildung des Sekrets ist allerdings eher unrealistisch: «Wir können den Schleim dieses Fisches nicht im Labor nachbauen, dafür ist das natürliche System zu komplex», betont Kuster. Ein Gel zu entwickeln, das auf dem Prinzip des natürlichen Schleims beruht, liege aber durchaus im Bereich des Möglichen.

Hydrogels sind bereits heute in zahlreichen Anwendungen enthalten, von Papierwindeln über Heftpflaster bis hin zu Bewässerungssystemen für die Landwirtschaft. Auch in der Nahrungsmittelindustrie werden Hydrogele breit eingesetzt. Andere Wissenschaftler, die den Schleim erforscht haben, möchten die Fasern für die Herstellung von Textilien nutzen.

Ob sich aus dem Projekt eine praktische Anwendung ergeben wird, können die ETH-Forscher noch nicht abschätzen. Jedoch konnten sie bereits publizieren, dass sie den kurzlebigen Schleim, der unter mechanischem Stress kollabiert, stabilisieren können und durch das einmischen in andere Hydrogele oder partikuläre Netzwerke zusätzliche Funktionalisierungen erzielen konnten.

Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) (idw)

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