Die Form macht den Geruch: Forscher sagen Düfte voraus
Archivmeldung vom 21.04.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFür die Erforschung des Riechens ist ein interdisziplinäres Forscherteam unter die virtuellen Parfümeure gegangen: Sie modellierten am Computer einen Geruchsrezeptor für Maiglöckchenduft (hOR17-4), der als erster menschlicher Riechrezeptor auch auf Spermien im Labor von Prof. Dr. Dr. Dr. Hanns Hatt (Lehrstuhl für Zellphysiologie der Ruhr-Universität) detailliert charakterisiert wurde.
Daran testeten sie die Wirkung von Maiglöckchenduftstoffen, die sie durch den
Austausch einzelner Atome ein klein wenig manipuliert hatten. Da sich die
Grundform des Moleküls dadurch nicht wesentlich ändert, müsste die Grundnote des
Dufts gleich bleiben, die Geruchsschwelle und die begleitenden Nuancen sich aber
ändern, sagten die Forscher anhand der virtuellen Nase voraus. Experimente mit
der echten menschlichen Nase und mit Spermien bestätigten diese Vorhersage.
Fazit: Die Form macht den Geruch. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in
der aktuellen Ausgabe von "Angewandte Chemie", deren Titelbild zum
Selbstexperiment diesmal nach Maiglöckchen duftet.
Spermien kennen nur
einen Duft
Etwa 347 Geruchsrezeptoren befinden sich in unserer Nase, und
üblicherweise besteht ein Geruch aus einer großen Anzahl einzelner Riechstoffe,
die unterschiedliche Rezeptoren ansprechen. Da zudem jeder einzelne Riechstoff
mit mehreren Geruchsrezeptoren reagiert, besitzen selbst einzelne Riechstoffe
oft komplexe Gerüche. Spermien hingegen verfügen wohl nur über einen einzigen
Rezeptor, der für Maiglöckchenduft sensibel ist. Daher lässt sich mit Hilfe von
Spermien der Maiglöckchen-Rezeptor isoliert studieren. Trifft der
Maiglöckchenduft auf den Rezeptor, steigert das Spermium seine Geschwindigkeit
und bewegt sich in Richtung der Duftquelle. Die Eizelle lockt so die Spermien
an. Daher lässt sich mit Hilfe von Spermien der Maiglöckchen-Rezeptor isoliert
studieren.
Rezeptortasche bestimmt seine Funktion
Um der Funktion
dieses Rezeptors auf den Grund zu gehen, erstellte das Forscherteam um Prof. Dr.
Reinhold Tacke (Institut für Anorganische Chemie der Universität Würzburg), Dr.
Philip Kraft (Riechstoff-Forschung der Givaudan Schweiz AG) und Prof. Hatt vom
Maiglöckchenrezeptor ein Computermodell. Da ein olfaktorisches Rezeptorprotein
auf einen Riechstoff anspricht, wenn dieser in dessen Bindetasche hineinpasst,
lässt sich bei Kenntnis der Struktur der Tasche vorhersagen, ob und wie stark
eine Substanz diesen Riechrezeptor aktiviert. "Unsere Computerberechnungen
basieren ausschließlich auf der Moleküloberflächenform, die durch die Elektronen
definiert wird," erklären die Wissenschaftler. Sie vermuteten, dass die Form des
Moleküls seine Wirkung auf den Rezeptor bestimmt.
Menschliche Nase lässt
sich hereinlegen
Um diese Theorie zu belegen, testeten die
Wissenschaftler im Computermodell und im Riechexperiment, wie sich der Austausch
eines Kohlenstoffatoms durch ein Siliciumatom in den Maiglöckchenriechstoffen
Lilial und Bourgeonal, bei dem sich Oberflächenform-und volumen nur wenig
ändern, Masse und Schwingungsfreuenzen aber massiv, auf deren Geruch auswirken
und ob sich diese Änderung auch quantitativ vorhersagen lässt. "Da dieser
Atom-Austausch recht wenig Einfluss auf die Molekülform hat, sollte sich der
Hauptcharakter nicht ändern" erklärt Prof. Tacke die Vorhersage, "sondern nur
die Geruchsschwelle sowie begleitende Nuancen." Und tatsächlich ließ sich die
menschliche Nase hereinlegen: Alle vier der synthetisierten Stoffe zeigten
typisch blumig-aldehydige Maiglöckchen-Düfte, rochen jedoch nicht vollkommen
identisch. "Offenbar sind unterschiedliche Geruchsrezeptoren an ihrer
Differenzierung beteiligt", schließt Prof. Hatt. In der Nähe ihrer
Schwellenwerte ließen sich die Riechstoffe dagegen nicht mehr unterscheiden. Die
Forscher vermuten, dass bei diesen Konzentrationen nur noch der empfindlichste
Maiglöckchen-Rezeptor aktiviert wird. Dies konnte zusätzlich durch Verwendung
eines Rezeptor-spezifischen Blockers gezeigt werden.
Oberflächenstruktur
bestimmt den Duft eines Moleküls
Im Vorfeld der synthetischen Arbeiten
hatten die Forscher die Bindungsenergien und damit die Geruchsintensitäten und
die Empfindlichkeit der Spermien auf die Substanzen am Computermodell
vorhergesagt. Die berechneten Unterschiede in den Bindungsenergien stimmten sehr
genau mit den experimentell ermittelten Geruchsschwellen und Spermienaktivitäten
überein, die, wie erwartet, für die manipulierten Riechstoffe höher lagen als
für Lilial und Bourgeonal. "Die Ergebnisse belegen daher eindeutig, dass es die
elektronische Oberflächenstruktur eines Moleküls ist, die die Wechselwirkungen
eines Riechstoffs mit seinen olfaktorischen Rezeptoren bestimmt - und damit
seinen Geruch", so das Fazit der Wissenschaftler. Die Arbeiten der Gruppe wurden
von der Vogelsang-Stiftung gefördert.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.