Maßgeschneiderte Kraftstoffe aus Biomasse
Archivmeldung vom 23.11.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.11.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer stetige Anstieg des Energiebedarfs und damit auch der Kohlendioxidemission (CO2) bei beschränkter Verfügbarkeit fossiler Energiereserven stellt eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen dar. Damit gewinnt die Forschung auf dem Gebiet der energetischen Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen zunehmend an Bedeutung, um Ersatz für die Nutzung fossiler Energiequellen zu schaffen.
In der Europäischen Union beträgt der Anteil des Verkehrs am
Gesamtenergieverbrauch etwa 30 Prozent. Für den Zeitraum zwischen 2000 bis 2030
wird ein weiterer Anstieg des Energiebedarfs erwartet - im Personenverkehr um 14
Prozent und im Güterverkehr um 74 Prozent. Auf Grund ihrer speziellen
Anforderungen hinsichtlich Verteilung, Speicherung, Aufbereitung und Verbrennung
stellen Kraftstoffe für den Transportsektor eine besondere Herausforderung dar.
Hier sind erfolgreiche Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der alternativen
Kraftstoffe für den Verkehrssektor dringend erforderlich.
Der
Exzellenzcluster "Maßgeschneiderte Kraftstoffe aus Biomasse" an der RWTH Aachen
verfolgt vor diesem Hintergrund einen interdisziplinären Ansatz zur Erforschung
neuer, synthetischer Kraftstoffe auf Basis von Biomasse. Gezielte synthetische
Umwandlungspfade, basierend auf neuen katalytischen Systemen und integrierten
Produktionsprozessen mit intensivierten Prozessschritten zur
Kraftstoffherstellung, werden erforscht, um so auf möglichst effiziente Weise
optimierte Kraftstoffe aus Biomasse zu entwerfen. Durch die Formulierung neuer
Kraftstoffe mit spezifisch zugeschnittenen Eigenschaften soll das Potential
effizienter und sauberer Niedertemperaturbrennverfahren für Verbrennungsmotoren
erforscht werden.
"Die Definition von maßgeschneiderten Bio-Kraftstoffen mit
optimierten Eigenschaften für neue Brennverfahren unter Berücksichtigung der
Herstellung stellt eine gemeinsame Herausforderung für die Chemo- und
Biokatalyse, die Prozess- und Systemtechnik, die Verbrennungsforschung und die
Motorentechnik dar", so Univ.-Prof. Dr.-Ing. Stefan Pischinger vom
RWTH-Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen und Koordinator des
Exzellenzclusters. Mit dem zu erforschenden neuen selektiven Prozess zur
Umwandlung des gesamten Pflanzenmaterials (Lignozellulose) in maßgeschneiderte
Kraftstoffkomponenten wird dieser Exzellenzcluster Basis sein für die dritte
Generation biogener Kraftstoffe. Diese Kraftstoffe - ganz im Gegensatz zu vielen
heutigen Biokraftstoffen - werden dabei nicht im Wettbewerb zur
Nahrungsmittelkette stehen.
Der disziplinübergreifende Forschungsansatz folgt
einem modellbasierten Verfahren: Ausgewählte Kraftstoffkomponenten mit
maßgeschneiderten Eigenschaften werden von den Anforderungen des
Verbrennungsprozesses abgeleitet. Die Definition dieses Kraftstoffs wird von dem
Forschungserfolg attraktiver katalytischer Umwandlungspfade und dem Aufwand für
deren Produktion abhängen. "Nur die enge Vernetzung der unterschiedlichen
Disziplinen - das heißt der Chemie, der Verfahrenstechnik und der
Verbrennungstechnik - schafft die Voraussetzung zur systematisch optimierten
Lösung, die von einer Disziplin alleine nicht dargestellt werden kann", so
Professor Pischinger.
Das gemeinsam gegründete Kompetenzzentrum
Kraftstoff-Design (Fuel Design Center) dokumentiert die enge Zusammenarbeit von
Wissenschaftlern aus der naturwissenschaftlichen Fakultät und der Fakultät für
Maschinenwesen der RWTH sowie den beteiligten Partnerinstitutionen: dem Aachener
Fraunhofer-Institut für Molekulare Biotechnologie und Angewandte Ökologie sowie
dem Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mühlheim an der Ruhr. Das Fuel
Design Center baut auf langjährige, erfolgreiche Forschung in den relevanten
Gebieten. Etwa 130 der über 400 Professoren der RWTH Aachen lehren und forschen
in den Bereichen Natur- und Ingenieurwissenschaften. Dazu sind derzeit über 500
Wissenschaftler, unterstützt von etwa 400 technischen Angestellten und etwa 250
studentischen Mitarbeitern in diesen Bereichen tätig. Es wird auf die bestehende
Infrastruktur und auf aktuelle Forschungsarbeiten von fünf
Sonderforschungsbereichen, drei Graduiertenschulen und einem
DFG-Schwerpunktprogramm aufgebaut. Mit dem Zusatzbudget der Exzellenzinitiative
werden etwa 80 neue wissenschaftliche Stellen geschaffen, um das
disziplinenübergreifende Forschungsfeld "Maßgeschneiderte Kraftstoffe aus
Biomasse" zu stärken.
Um die hochgesteckten Forschungsziele zu erreichen,
sind im Rahmen des Fuel Design Centers drei fachübergreifende Forschungsfelder
definiert: Molekulare Transformation, Reaktions- und Prozess-Design für
nachwachsende Rohstoffe und Kraftstoffeinspritzung und Verbrennung.
Das
integrative Forschungsfeld "Molekulare Transformation", das von Univ.-Prof. Dr.
Walter Leitner koordiniert wird, konzentriert sich auf die gezielte Umsetzung
biogener Substrate aus den Rohstoffströmen Cellulose, Hemicellulose und Lignin
zu molekular definierten Komponenten eines maßgeschneiderten Kraftstoffs. Die
Erforschung ausgewählter molekularer Stoffumwandlungen auf Basis der Katalyse
als Schlüsseltechnologie wird im Mittelpunkt der Forschung stehen. "Aufgrund der
Komplexität der erforderlichen Stoffumwandlungen sollen die komplementären
Vorzüge der drei wichtigsten Katalysedisziplinen - homogene, heterogene und
Bio-Katalyse - in einem integrierten Ansatz von der molekularen bis zur
mesoskopischen Skala ausgelotet werden", so Professor Leitner.
Das
integrative Forschungsfeld "Reaktion- und Prozesstechnik für nachwachsende
Rohstoffe" untersucht zentrale Fragen auf dem Wege zu einer neuen
Verfahrenstechnik für die Herstellung von Kraftstoffen aus nachwachsenden
Rohstoffen. "Der Schwerpunkt liegt dabei auf integrierten Prozessen und
intensivierten Apparaten. Zunächst werden Prozesse zur selektiven Umsetzung von
Biomasse zu Substraten bearbeitet. Darauf aufbauend wird später die
Weiterverarbeitung zu Kraftstoffkomponenten betrachtet", schildert Univ.-Prof.
Dr. Wolfgang Marquardt als Sprecher dieses Forschungsfelds.
Univ.-Prof.
Dr.-Ing. Norbert Peters, Sprecher des dritten integrativen Forschungsfeldes
"Kraftstoffeinspritzung und Verbrennung", erläutert, dass "maßgeschneiderte
Kraftstoffe aus Biomasse eine noch nie da gewesene Gelegenheit bieten, den
Energiewandlungsprozess in Verbrennungsmotoren neu zu gestalten". Er fügt hinzu:
"Die beiden traditionellen Motortypen, der Otto- und der Dieselmotor, wurden zur
Verwendung der leichter oder der schwerer siedenden Anteile flüssiger
Kohlenwasserstoffe entwickelt, die aus Rohöl destilliert werden können. Indem
der Kraftstoff aus Biomasse im Hinblick auf die Anforderungen des Motors
maßgeschneidert wird, kann man Brennverfahren realisieren, an die man bisher
nicht hätte denken können." Beispielsweise wird für den Dieselmotor die
Selbstzündung höherer Kohlenwasserstoffe aufgrund der Niedrigtemperaturkinetik
als günstig angesehen, aber als schädlich für den Ottomotor, weil dieselbe
Kinetik für das Klopfen verantwortlich ist. Maßgeschneiderte Kraftstoffe mit
unterschiedlicher Temperatur- und Druckabhängigkeit der Selbstzündkinetik
könnten imstande sein, diesen Widerspruch zu lösen. "Diese oder andere
Eigenschaften, die sich von denen konventioneller Kraftstoffe unterscheiden,
könnten es ermöglichen, ein neues Brennverfahren zu entwickeln, das gemeinsame
Eigenschaften zukünftiger Otto- und Dieselmotoren teilt", fasst Prof. Pischinger
zusammen.
In dem übergreifenden Querschnittsthema "Fuel Design" werden alle
Aktivitäten der beschriebenen Forschungsfelder gebündelt, um den
maßgeschneiderten Kraftstoff aus Biomasse zu definieren. Das gezielte
Kraftstoff-Design erfordert eine gemeinsame Herangehensweise aller beteiligten
Forschungsfelder und umfasst sowohl das Design der Stoffumwandlungsprozesse
sowie die Optimierung der energetischen Umsetzung im Verbrennungsmotor. Nur
durch ein systematisches Vorgehen, unterstützt durch den gezielten Einsatz
mathematischer Modelle und Methoden, können die Potentiale des gezielten Designs
neuer Kraftstoffkomponenten genutzt werden. Die zu entwickelnden methodischen
Ansätze dienen nicht nur der Auswahl der vielversprechendsten bekannten
Komponenten, sondern vor allem auch der Identifikation neuer
Kraftstoffkomponenten. Hier ist das Exzellenzcluster "Maßgeschneiderte
Kraftstoffe aus Biomasse" durch die Bündelung der Kompetenzen der verschiedenen
Forschungsgebiete bestrebt, Synergien im methodischen und wissenschaftlichen
Lösungsansatz zu schaffen.
Die RWTH Aachen wird die Kompetenzen in einem
gemeinsamen "Fuel Design Center" mit über 1.000 Quadratmeter Laborfläche
bündeln. Darüber hinaus ist geplant, zwei neue Professuren einzurichten sowie
fünf Juniorprofessoren, um so eine strukturelle Nachhaltigkeit zu gewährleisten.
Um eine kritische Überprüfung der Forschungsarbeiten sicherzustellen, wurde
schon in der Antragsphase ein mit international renommierten Forschern besetztes
Advisory Board berufen. Beteiligt sind auf ähnlichen Themengebieten tätige
Wissenschaftler, etwa der Princton University, der Yale University oder des MIT.
Darüber hinaus sind Industrievertreter aus der chemischen Industrie wie Bayer,
aus der Petrochemie wie BP oder Shell sowie aus dem Automobilbereich wie
Daimler, Ford, Volvo und VW in das Advisory Board eingebunden. Durch diese
externen Partner wird ein direktes Feedback im Hinblick auf eine spätere
Umsetzung eingebracht. Schließlich sollen die Forschungsergebnisse nicht nur in
Lehrveranstaltungen eingebunden werden, sondern es soll idealerweise ein
direkter Transfer der Forschungsergebnisse in die industrielle Anwendung geprüft
werden.
Für 2008 ist ein erster internationaler Workshop zum Thema
"Tailor-Made Fuels from Biomass" in Aachen geplant. Neben den Forschern des
Exzellenzclusters werden als Redner auch weltweit renommierte Wissenschaftler
sowie Industrievertreter eingeladen, um so einen engen wissenschaftlichen
Austausch zu etablieren und zu pflegen.
Die Voraussetzungen für den Erfolg
des Exzellenzclusters sind für die RWTH Aachen und die Partnerinstitutionen
einmalig, nicht zuletzt weil die fachgebietsübergreifende Forschung in Aachen
als der Universität mit dem höchsten Anteil an drittmittelfinanzierter Forschung
deutschlandweit - 150 Millionen des Gesamtbudgets von 540 Millionen Euro -
bereits eine lange Tradition hat.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.