Mitteleuropa wohl keine Kontaktzone von Neandertalern und modernen Menschen
Archivmeldung vom 09.12.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEin internationales Kooperationsprojekt um Dr. Luc Moreau (MONREPOS, Neuwied) untersucht, welchen Beitrag Neandertaler zur ältesten modernmenschlichen Kultur Europas, dem sogenannten „Aurignacien“, geleistet haben. Dazu analysierten die Archäologen Knochenspitzen und Steingeräte rund 30 bis 40.000 Jahre alter hochalpiner Fundstellen in Slowenien. Die Ergebnisse ihrer Forschungen werden heute Online im Journal of Human Evolution veröffentlicht.
Die Zeit vor 30 bis 40.000 Jahren ist eine der turbulentesten Phasen der frühen Menschheitsgeschichte in Eurasien: schlagartig tritt ein ganzes Paket kultureller Neuerungen mit Kunst, Musik und Bestattungen auf. Zeitgleich vollzieht sich ein umfassender demographischer Wandel: anatomisch moderne Menschen wandern vor über 43.000 Jahren nach Europa ein und die Neandertaler verschwinden. Fest steht, dass es ein zeitweises Nebeneinander beider Menschenarten gab. Denn genetisch sind wir noch heute ein stückweit Neandertaler. Wie sich das Nebeneinander beider Menschenarten gestaltete und wo sie sich trafen, bleibt indes eine kontrovers diskutierte Forschungsfrage, zu der das Projekt von Dr. Luc Moreau (MONREPOS; Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution) neue Aufschlüsse gibt.
Das südliche Mitteleuropa zwischen Balkan und Mittelmeer, den potentiellen Einwanderungspassagen des anatomisch modernen Menschen, nimmt eine Schlüsselposition für die Untersuchung des Aurignacien ein: Waffenspitzen aus Knochen, Geweih oder Elfenbein, ein wesentliches Merkmal des modernmenschlichen Innovationspakets, treten hier in Massen auf. „Dass bereits Neandertaler Waffenspitzen aus Knochen, Geweih oder Elfenbein hergestellt haben, möglicherweise in Folge einer Interaktion mit modernen Menschen, ließ sich nach Lage der archäologischen Befunde bislang nicht ausschließen. Deshalb nehmen die Knochenspitzen eine wichtige Stellung in der Forschungsdiskussion um die Entstehung von kultureller Modernität am Übergang zwischen Neandertalern und modernen Menschen ein. Es hat mich besonders gereizt, hierfür endlich eine solide Diskussionsbasis zu schaffen“, so Dr. Luc Moreau. Er hat den Beginn des Aurignacien im südlichen Mitteleuropa erstmals auf ein verlässliches chronologisches Fundament gestellt. Die von ihm initiierten neuen Datierungen typischer Knochenspitzen, darunter auch solche mit gespaltener Basis, durch die 14C-Methode ergaben ein Alter um 32.000 Jahre: wesentlich jünger, als die letzten Neandertaler in dieser Region! Hier sind sich Neandertaler und moderne Menschen also offenbar nicht begegnet. Die modernmenschlichen Siedler wanderten in ein bereits über einige Tausend Jahre bevölkerungsleeres Gebiet ein.
Ein Schwerpunkt der Forschungen lag auf den Untersuchungen der Steinwerkzeuge, die ebenfalls als Hinweis auf eine kulturelle Kontinuität zwischen Neandertalern und anatomisch modernen Menschen angeführt werden. Die Ergebnisse entziehen dieser Diskussion nun jedoch den Boden: die Steingeräte zeigen keinerlei neandertalertypische Kennzeichen, sondern spiegeln technologisch, logistisch und typologisch allein charakteristische modernmenschliche Verhaltensweisen des Aurignacien wider.
Die Befunde sind auch insofern bemerkenswert, als zwei der Fundplätze im alpinen Hochgebirge liegen. Fertige Waffen und 90% des Steinrohmaterials aus einem über 20km und 500Hm entfernten Flusstal wurden eigens zu den 1600m hoch gelegenen Jagdplätzen geschafft und hier offenbar sogar gehortet: allein in der Höhle Potocka zijalka wurden 125 Knochenspitzen gefunden. Diese Befunde belegen vorausschauendes Planen und eine ausgefeilte Logistik der Hochgebirgsjäger, die die Höhle immer wieder kurzzeitig aufgesucht haben. „Diese Art des Risikomanagements und die bis ins Detail geordnete Logistik sind typisch modernmenschliche Verhaltensweisen“, so der Archäologe Dr. Luc Moreau.
Im südlichen Mitteleuropa sind sich Neandertaler und anatomisch moderne Menschen nach seinen Forschungen also sicher nicht begegnet.
Quelle: Römisch-Germanisches Zentralmuseum (RGZM) - Forschungsinstitut für Archäologie (idw)