Die flüssigste Flüssigkeit des Universums
Archivmeldung vom 17.01.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFlüssiger als bisherige Theorien erlauben könnte das Quark-Gluon-Plasma sein, das an der TU Wien theoretisch untersucht wurde. Die bisher für gültig gehaltene Untergrenze für die Viskosität von Flüssigkeiten kann durchbrochen werden.
Wie flüssig ist die perfekte Flüssigkeit? Diese Frage beschäftigt Teilchenphysiker an der TU Wien. Die „flüssigste aller Flüssigkeiten“ ist nämlich nicht etwa Wasser, sondern das extrem heiße Quark-Gluon-Plasma, das bei energiereichen Teilchenkollisionen im Large Hadron Collider des CERN hergestellt wird. Neue Rechenergebnisse an der TU Wien zeigen nun: Dieses Quark-Gluon-Plasma kann noch deutlich dünnflüssiger sein, als man das bisher für möglich hielt. Publiziert wurde dieses Ergebnis am 12. Jänner im Fachjournal „Physical Review Letters“ und dabei mit einer „Editors' Selection“ als besonders bemerkenswerte Veröffentlichung ausgezeichnet
So flüssig wie die Physik erlaubt
Wie dick- oder dünnflüssig eine Substanz fließt wird durch die Viskosität angegeben: Viskose Flüssigkeiten (etwa Honig) sind dickflüssig und haben starke innere Reibungskräfte, dünne Flüssigkeiten haben eine niedrige Viskosität, und Quantenflüssigkeiten wie suprafluides Helium können extrem kleine Viskositäten erreichen. Im Jahr 2004 sorgte ein theoretisches Ergebnis, nachdem die Quantentheorie eine absolute Untergrenze für Viskosität bedingen sollte, für Aufsehen. Mit Methoden der String-Theorie wurde für das Verhältnis von Viskosität zur Entropie-Dichte (ein Maß für die „Unordnung“ in einer Flüssigkeit) der Wert ?/4? (mit der Planck-Konstanten ?) als unterste mögliche Schranke berechnet. Während etwa supraflüssiges Helium weit oberhalb dieser Schranke bleibt, wurde 2005 am Quark-Gluon-Plasma ein Wert nur knapp oberhalb dieser Schranke gemessen. Dieser Rekord für die Viskosität lässt sich allerdings von einem Quark-Gluon-Plasma in bestimmten Fällen noch unterbieten, wie Dominik Steineder vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien, im Rahmen seiner Dotorarbeit gemeinsam mit Professor Anton Rebhan herausfand
Schwarze Löcher und Teilchenkollisionen
Direkt berechnen lässt sich die Viskosität eines Quark-Gluon-Plasmas nicht. Sein Verhalten ist so kompliziert, dass man auf ganz besondere Tricks zurückgreifen muss, wie Anton Rebhan erklärt: „Die Quantenfeldtheorie von Quark-Gluon-Plasmen lässt sich mit Hilfe der Stringtheorie mit der Physik von schwarzen Löchern in höheren Dimensionen in Zusammenhang bringen. Wir lösen also Gleichungen aus der Stringtheorie und legen die Ergebnisse dann auf das Quark-Gluon-Plasma um.“ Auf ganz ähnliche Weise wurde auch die bisher für gültig gehaltene untere Grenze für die Viskosität berechnet. Allerdings nahm man in den bisherigen Berechnungen an, dass das Plasma symmetrisch ist und von allen Seiten gleich aussieht – also „isotrop“ ist, wie man in der Physik sagt. „Ein Plasma, das bei einer Kollision in einem Teilchenbeschleuniger entsteht, ist aber ganz am Anfang nicht isotrop“, betont Anton Rebhan. Diese Teilchen werden schließlich entlang einer bestimmten Richtung beschleunigt und zur Kollision gebracht – das dabei entstehende Quark-Gluon-Plasma zeigt also unterschiedliche Eigenschaften, abhängig von der Richtung, aus der man es betrachtet.
Untergrenze durchbrochen
Die TU-Physiker fanden nun eine Möglichkeit, diese Richtungsabhängigkeit in die Formeln mit einzubauen – und völlig überraschend zeigte sich, dass dadurch die Viskosität nicht mehr nach unten beschränkt ist. „Die Viskosität hängt noch von einigen anderen physikalischen Parametern ab – kann aber niedriger sein als der Wert, den man bisher für die absolute Untergrenze hielt“, erklärt Dominik Steineder. Die jetzt am CERN begonnenen Quark-Gluon-Plasma-Experimente werden es erlauben, diese theoretischen Vorhersagen zu testen.
In der Physik-Community sprach sich das bemerkenswerte Forschungsergebnis jedenfalls schon vor dem offiziellen Erscheinen der Publikation rasch herum: Dominik Steineder, derzeit noch Dissertant an der TU Wien, erhielt schon knapp vor der Publikation des Papers zwei Jobangebote von ausländischen Forschungsstätten und wird nun ab nächstem Jahr am CEA Saclay bei Paris arbeiten, wo ebenfalls das Quark-Gluon-Plasma theoretisch erforscht wird. Mit der TU Wien wird er freilich auch von dort aus künftig zusammenarbeiten, versichert Steineder.
Quelle: Technische Universität Wien (idw)