Immunabwehr auch ohne Lymphknoten
Archivmeldung vom 26.05.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittLymphknoten enthalten T- und B-Zellen, die eine wichtige Rolle bei der menschlichen Immunabwehr spielen. Forschende der Universität Zürich konnten nun erstmals bei Mäusen zeigen, dass die T-Zellen auch ohne Lymphknoten aktiviert werden können. Diese Funktion kann überraschenderweise auch die Leber übernehmen, wie sie in "PloS Biology" berichten.
Lymphknoten gelten als Polizeistationen des Körpers: Hier werden
Immunreaktionen ausgelöst. Fällt beispielsweise ein Kind vom Fahrrad
und schürft seine Haut auf, so dringen Fresszellen in die Wunde ein,
nehmen Antigene von eindringenden Mikroorganismen und Schmutz auf und
transportieren diese zum nächstgelegenen Lymphknoten. Dies führt zu
einer Konzentration des Antigens im Lymphknoten, wodurch wiederum T-
und B-Zellen stimuliert werden, die auf ihrer Zelloberfläche spezielle
Antigen-Rezeptoren tragen. Während die T-Zellen die
Verteidigungsreaktion gegen die eindringenden Erreger steuern,
verwandeln sich die B-Zellen in Antikörper-produzierende Zellen, die
den Körper mit Antikörpern gegen die feindlichen Mikroorganismen
überfluten.
Bei Mäusen, die aufgrund einer Genmutation (Alymphoplasie) keine
Lymphknoten haben, ist das Immunsystem stark beeinträchtigt. Diese
Tiere haben Probleme mit der Bekämpfung von Infektionen und Tumoren,
die gesunden Mäusen keinerlei Schwierigkeiten bereiten würden. Dieses
Ergebnis unterstreicht die Bedeutung von Lymphknoten und stärkt das
damit verbundene immunologische Dogma. Ob dies auch wirklich so ist,
haben Melanie Greter, Janin Hofmann und Prof. Burkhard Becher vom
Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich
untersucht.
Sie haben herausgefunden, dass die Immunschwäche, die mit Alymphoplasie
in Verbindung gebracht wird, nicht auf die fehlenden Lymphknoten
zurückzuführen ist. Wie sie in "PloS Biology" berichten, wird die
Immunschwäche durch die genetische Läsion der Immunzellen selbst
verursacht. Die Gruppe untersuchte Autoimmunerkrankungen sowie
Immunreaktionen gegen Krebs und fand dabei heraus, dass die Funktion
der T-Zellen durch das Fehlen von Lymphknoten nicht gestört wird.
Hingegen ist sowohl die Aktivierung der B-Zellen als auch die Sekretion
von Antikörpern in einem hohen Masse abhängig davon, ob Lymphknoten
vorhanden sind. "Die Tatsache, dass T-Zell-Reaktionen auch ausserhalb
von Lymphknoten ausgelöst werden können, ist höchst überraschend",
erklärt Prof. Becher. Wo also, wenn nicht in spezialisierten
Lymphknoten, stossen T-Zellen auf Antigene und werden nach einer
Immunisierung aktiviert? Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen
haben die Migration von fluoreszierenden Partikeln ab der
Immunisierungsstelle (d.h. der Haut) überwacht und dabei entdeckt, dass
die Leber als Ersatzstruktur für die Aktivierung der T-Zellen dienen
könnte. Die Leber ist während der Embryo-Entwicklung das erste Organ,
das uns mit Blut und Immunzellen versorgt. Offenbar hat sie diese
Funktion nicht vergessen und kann uns sogar im Erwachsenenalter als
"Immunorgan" dienen.
Das Ergebnis ist gemäss Prof. Becher aus drei Gründen so bedeutend. "Es
zeigt zum ersten Mal und entgegen der gängigen Meinung, dass für die
Aktivierung von T- und B-Zellen völlig unterschiedliche strukturelle
Anforderungen gelten." Zweitens erklärt es, weshalb Patienten, die eine
Lebertransplantation erhalten, manchmal auch die Allergien und das
Immun-Repertoire des Spenders "erben". Und drittens beweist es, dass
die Leber ein evolutionäres Überbleibsel aus einer Zeit ist, bevor sich
in höher entwickelten Vögeln und Säugetieren Lymphknoten ausgebildet
haben. Kaltblütige Wirbeltiere besitzen nämlich funktionstüchtige T-
und B-Zellen, aber keine Lymphknoten. Der wichtigste Vorteil der
Entwicklung von Lymphknoten in Säugetieren besteht darin, dass dadurch
die Produktion von effizienteren Antikörpern drastisch verbessert
wurde. Demgegenüber hat sich die Funktion der T-Zellen im Laufe der
Evolution kaum geändert. Die Arbeit der UZH-Forschergruppe liefert nun
endlich solide Beweise für die Vielseitigkeit dieses Zelltyps.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.