Firnis beeinflusst den Geigenklang
Archivmeldung vom 17.03.2016
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.03.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtFirnisse schützen Kunstwerke und Holzinstrumente vor Schäden durch Umwelteinflüsse. Wie der Firnis den Klang von Geigen beeinflusst, wurde bis vor Kurzem aber kaum erforscht. Jetzt haben Empa-Forschende diesen Zusammenhang untersucht und ihre ersten Resultate veröffentlicht.
Leonardo da Vincis Ölgemälde «Mona Lisa» wirkt mit seinen Dunkelgrün- bis Brauntönen eher düster. Was wenig bekannt ist: Der Maestro malte das Bild in hellen Tönen – so, dass die Portraitierte in das Licht eines sonnigen Tages gehüllt erscheint. Wie kam es zu diesem Farbunterschied? Da Vinci hatte sein Ölgemälde mit einem Firnis bestrichen, um es zu schützen. Und dieser Firnis wirkt wie ein Filter, der das Bild dunkler färbt, als es der Künstler zunächst gemalt hatte.
Ebenso verhält es sich mit dem Fichtenholz, aus dem Geigen und andere Saiteninstrumente gebaut sind. Seine Farbe ist im Rohzustand weiss mit einem goldfarbenen Einschlag. Das Holz gilt als wenig beständig, weshalb es die Geigenbauer mit einem Firnis vor Schäden durch Umwelteinflüsse bewahren. Von diesem Schutzanstrich rührt die dunkelbraune, edel wirkende Farbe der Geigen her.
Das Rezept ihres Firnisses geben die Geigenbauer von Generation zu Generation weiter. Ausserhalb der Familie erfährt kaum jemand, wie das Gemisch aus Harzen und Ölen im Einzelnen zusammengestellt ist. Die Chemie der Firnisse wird auch in der Wissenschaft seit Langem erforscht. Im Unterschied dazu fanden die physikalischen Eigenschaften von Firnissen nur am Rande Beachtung – zu Unrecht, wie Marjan Gilani von der Empa-Abteilung «Angewandte Holzforschung» meint. Die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen respektive Kolleginnen ahnten, dass der Firnis die Vibrations- und damit die Klangeigenschaften von Geigen beeinflusst, und begannen, den Zusammenhang zu untersuchen. Mit der Veröffentlichung eines Fachartikels im Fachjournal «Applied Physics A» kam eine erste Forschungsetappe zum Abschluss. Die Ergebnisse stützen die Vermutung der Empa-Forscher/innen.
Vier Firnisse, 60 Holzproben, elf Stunden UV-Bestrahlung und aussagekräftige Ergebnisse
Für ihre Forschung schnitten Gilani und Co. 40 Holzproben längs der Holzfaserrichtung zu. 20 dieser Holzproben entnahmen sie dem Jungholz, die anderen 20 dem Kernholz einer norwegischen Fichte. Weitere 20 Proben derselben Fichte haben Gilani und ihre Kollegen quer zur Holzfaserrichtung zugeschnitten. Anhand dieser drei Typen von Versuchsproben konnten die Forscher/innen das Klangverhalten verschiedener Holzstrukturen untersuchen. Johanna Pflaum, eine gelernte Geigenbauerin, Studentin der Umweltwissenschaften und Mitglied von Gilanis Forschunsgruppe, stellte zwei Firnisse im Labor her. Zwei weitere Firnisse erhielt die Forschungsgruppe von deutschen Geigenbauern. Mit diesen vier Firnissen bestrich Gilani die Fichtenholzproben. Stets fünf der zwanzig Holzzuschnitte pro Probentyp bekamen den gleichen Firnis aufgetragen und wurden elf Stunden mittels UV-Licht getrocknet und ausgehärtet.
Zunächst aber bestimmten die Forscher/innen Steifheit und Klangdämmung der Holzproben im Rohzustand sowie die Masse des Firnisses. Die Messergebnisse sollten den Vergleich zwischen den Eigenschaften des nackten Holzes und denen des behandelten Holzes ermöglichen. Nach dem Aushärten massen die Expert/innen die gleichen Parameter erneut. Ebenso erhoben sie die Klangausbreitung ihrer Proben zu Beginn und am Ende der elfstündigen UV-Bestrahlung. Die Klangausbreitung beschreibt die Art und Weise, wie Töne den Geigenkörper in Richtung der Zuhörer verlassen. Höhere Werte in der Klangausbreitung ergeben dabei klarere Töne.
In den total 40 Längsproben erhöhten die Firnisse die Klangdämmung des Kern- und des Jungholzes und senkte deren Steifheit im Vergleich zum Rohzustand. Das kann wünschenswert sein. Denn bis zu einem gewissen Punkt gilt: Je elastischer das Holz einer Geige ist, desto wärmer und weicher klingen gerade die hohen, zuweilen als unangenehm empfundenen Töne. Jedoch geht mit dieser Veränderung ein Verlust an Klarheit und Schärfe der Geigenklänge einher, was sich im Labor in einer verminderten Klangausbreitung ausdrückte. Anders verhielt es sich bei den Querproben. Für diese stiegen sowohl die Klangdämmung als auch die Steifheit. Ebenso erhöhten sich die Werte für die Klangausbreitung. Ein Publikum im Konzertsaal nähme daher bei einem den Querproben entsprechend beschaffenen Instrument klare, scharfe Klänge von hoher akustischer Präsenz wahr.
Erkenntnisse durch Röntgentomografie
Im Weiteren analysierten die Holzforscher/innen einen Teil der Längsproben im Zentrum für Röntgenanalytik der Empa. In den Röntgenbildern erkannten sie, dass die Firnisse verschieden dicke Schichten auf dem Holz bildeten und die Dichte der Holzzuschnitte unterschiedlich beeinflussten. Zudem drangen die einen Firnisse tiefer in das Holz ein als andere. Die Proben mit der stärksten Durchdringung hatten die Forscher/innen mit dem Firnis behandelt, der den höchsten Ölgehalt aufwies. Zugleich handelte es sich um die Holzproben, welche die grössten Einbussen in der Klangausbreitung erfuhren – deren Töne also durch den Firnis am meisten von ihrer Klarheit verloren.
Im Gefolge dieser Messresultate kristallisierte sich ein Zusammenhang zwischen der Firniskomposition, der Mikrostruktur der Holz-Firnis-Verbunde, deren mechanischen Eigenschaften und ihres Klangverhaltens heraus. Diese Befunde wollen Gilani und ihre Forschungsgruppe in weiteren Studien verfeinern. Dazu wird ab April 2016 ein weiterer Wissenschaftler zum Forschungsteam stossen.
Antike Violinen im Empa-Zentrum für Röntgenanalytik
Zu Vergleichswecken analysierten die Empa-Forscher/innen auch zwei antike Violinen im Zentrum für Röntgenanalytik der Empa. Die eine fertigte ein Geigenbauer im 17. Jahrhundert in Cremona an. Diese Stadt liegt etwa 80 Kilometer südöstlich von Mailand und brachte eine Reihe berühmter Geigenbauer wie Antonio Stradivari hervor. Die zweite Geige wurde um das Jahr 1920 im deutschen Freistaat Sachsen hergestellt. Beiden Violinen entnahmen die Wissenschaftler/innen Proben mit einem Volumen von 1,5 Kubikmillimetern. Die Geige aus Sachsen zeigte feinste Risse im Firnis sowie Einschläge auf der Oberfläche und litt an Holzwurmbefall. Im Vergleich zu dieser Geige wies die Violine aus Cremona eine höhere Dichte des Holz-Firnis-Verbundes auf. In den Bildern aus dem Zentrum für Röntgenanalytik drückte sich die hohe Dichte in gelb-grün-roten, die geringe Dichte in blauen Farben aus. Mit der Dichte steigen auch die Steifheit und die Werte der Klangausbreitung – die Cremoner Geige wird daher klarere Töne hervorgebracht haben als die Geige aus Sachsen.
Quelle: Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (idw)