Zwischen Innenwelt und Aussenwelt (Teil 2-Mouches volantes)
Archivmeldung vom 07.12.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Begriff „Mouches volantes“ (französisch für „fliegende Fliegen/ Mücken“) stammt aus der Augenheilkunde und bezeichnet dort die subjektive Wahrnehmung von verschiedensten Punkten, Fäden, Flecken, Trübungen im Gesichtsfeld. In den allermeisten Fällen gelten diese Trübungen als harmlos und sind nicht therapiebedürftig.
Die so genannten harmlosen Mouches volantes, die hier gemeint sind, können als kleine Pünktchen und Fädchen wahrgenommen werden, welche v.a. bei hellen Lichtverhältnissen (Blick gegen den Himmel oder eine weisse beleuchtete Wand) in unserem Gesichtsfeld auftreten. Sie bewegen sich entsprechend unserem Blick mit, sind aber auch davon losgelöst, d.h. beim Stillhalten des Blicks fliessen sie weg, v.a. nach unten.
In der heutigen Augenheilkunde werden Mouches volantes meistens als verklumpte Glaskörperstrukturen erklärt, welche durch das altersbedingte Schrumpfen und Verflüssigen des Glaskörpers erfolgen kann. Wenn nun Licht in das Auge fällt, werfen diese verklumpten Strukturen Schatten auf die Netzhaut, welche vom Betrachter als bewegte Teilchen wahrgenommen werden.
Auch wenn Mouches volantes als harmlos gelten, werden in letzter Zeit vermehrt Laserbehandlungen und Vitrektomien (chirurgische Entfernung des Glaskörpers oder Teile davon) angeboten, und zwar für eine Minderheit von Betroffenen, bei welchen die Wahrnehmung der Mouches volantes einen grossen, objektiv nicht nachvollziehbaren Leidensdruck erzeugen. Diese Operationen zeigen nicht in jedem Fall die erwünschte Wirkung. Dies bedeutet, dass der objektive Nachweis der Mouches volantes auf schwachen Beinen steht: Häufig kann der Arzt im Auge des Patienten gar nichts feststellen, oder aber sein Befund deckt sich nicht mit den Beschreibungen und Bewertung des Patienten. Diese Lücke wird mit Hilfe der Psychologie überbrückt: So heisst es, der Patient stehe derzeit unter psychischer Belastung; dabei projiziere er seine Ängste und Zwangsvorstellungen auf die Mouches volantes, welche infolge davon intensiver und schlimmer wahrgenommen würden, als sie tatsächlich sind.
In den 1990er Jahren machte ich im Schweizer Emmental die Bekanntschaft mit einem Einsiedler namens Nestor, der sich selbst als Seher bezeichnet. In der aussergewöhnlichen Weltdeutung und Lebensweise von Nestor spielen die Mouches volantes eine zentrale Rolle.
Nach ihm ist die Erscheinung dieser Punkte und Fäden das Resultat unserer bisherigen Bewusstseinsentwicklung; im Laufe von weiteren Fortschritten in diesem Prozess, herbeigeführt durch eine ethische Lebenshaltung, konsequente Leibes- und Atemübungen, Ernährungspraktiken sowie wiederholte und bewusst herbeigeführte intensivere Bewusstseinszustände, verändert sich unsere Haltung und v.a. unsere Wahrnehmung gegenüber den Mouches volantes: Stören uns zu Beginn eher als trübe oder transparente, ablenkende Punkte und Fäden, sehen wir sie später als grosse Kugeln und Fäden, auf die wir unsere Konzentration richten und sie damit zum Leuchten bringen.
Das, was wir als Mouches volantes kennen, beschreibt Nestor also als erste Erscheinungen einer leuchtenden, durch unser Bewusstsein gebildeten Grundstruktur. Bewusstseinsentwicklung bedeutet für ihn nichts anderes, als einen Weg in dieser Grundstruktur zurückzulegen – einen Weg, der ab einem bestimmten Stadium in der Entwicklung mit dem „inneren Sinn“ direkt gesehen werden kann. Konkret heisst dies, dass wir unsere Mouches volantes allmählich näher und grösser sehen werden, dass wir vertraute Punkte und Fäden hinter uns lassen, während vor uns neue erscheinen. Dieser Weg ist nicht endlos, sondern er beinhaltet eine Reduktion der für uns relevanten Kugeln, bis wir eine ganz bestimmte Konstellation weniger Kugeln sehen können, die Nestor als Ursprung unserer Existenz bezeichnet. An einer dieser Kugeln sind wir fixiert, in sie einzugehen bedeutet, mit dem Gesehenen eins zu werden. Dies ist das Ziel der Seher.
Für Nestor sind Mouches volantes demnach nicht nur ein visuelles Feedback der eigenen Bewusstseinsentwicklung, sondern auch Teil der meditativen Praxis. Die Konzentration darauf und der Versuch, sie mit gezielten Augenbewegungen zu beeinflussen und im Gesichtsfeld festzuhalten, versteht er als eine Meditation mit offenen Augen.
(Teil 3 des vierteiligen Berichtes von Floco Tausin können Sie ab morgen auf extremnews.com lesen)