Klebstoffe mit Duftnote
Archivmeldung vom 02.09.2017
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDass Klebstoffe unangenehm riechen, wird allgemein als selbstverständlich hingenommen. Doch das muss nicht so sein, wie Fraunhofer-Forscherinnen und Forscher herausgefunden haben. In umfangreichen Analysen konnten sie Substanzen identifizieren, die für die störenden Gerüche verantwortlich sind. Bislang liegen hierzu kaum wissenschaftliche Studien vor. Hersteller erhalten nun die Möglichkeit, den Produktionsprozess zu optimieren.
Kaum ein modernes Produkt kommt ohne Klebstoff aus – der Werkstoff findet sich beispielsweise in Windschutzscheiben, Handydisplays, Schuhen, Teppichen, Pflastern oder Physiotapes. Einige der Kleber enthalten Lösungsmittel, die unangenehm riechen. Aber auch lösungsmittelfreie Produkte oder solche mit geringen Gehalten an Lösungsmitteln können einen scharfen und intensiven Geruch verströmen. Darüber, welche Substanzen für die Ausdünstungen verantwortlich sind und wie sie auf den menschlichen Organismus wirken, ist bislang wenig bekannt. Dieser Problematik widmet sich die Abteilung Analytische Sensorik am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV. Prof. Dr. Andrea Büttner und ihr Team haben unter anderem vier lösungsmittelfreie Acrylklebstoffe untersucht, um herauszufinden, welche Komponenten die störenden Gerüche auslösen. Ihre Forschungsergebnisse haben die Freisinger Forscher im »International Journal of Adhesion and Adhesives« veröffentlicht.
Hinweis auf bedenkliche Substanzen
Bei ihren Analysen konnten die Wissenschaftler 27 Geruchstoffe identifizieren, die die Fehlgerüche verursachen, darunter Methylmethacrylat, Acetophenon, 1-Butanol, 4-Metylphenol, Phenylessigsäuremethylester und Essigsäure. 20 Substanzen wurden erstmals als geruchsaktive Bestandteile von Klebstoffen entdeckt wie beispielsweise die chemische Verbindung Borneol. Ebenso variantenreich wie die nachgewiesenen Geruchsstoffe waren die Geruchseindrücke, die von stechend, fruchtig, lederartig, rauchig bis schimmelig reichen. »Wenn Produkte besonders stark riechen, kann das darauf hinweisen, dass bedenkliche Substanzen enthalten sind«, so Prof. Büttner. Einige der Proben enthielten phenolische Verbindungen, die im Verdacht stehen, erbgutverändernd zu sein. Die Abteilungs- und stellvertretende Institutsleiterin sieht einen deutlichen Handlungsbedarf, die Produktentwicklung von Klebstoffen zu optimieren: »Unsere Analysen zeigen, dass eine Reihe der gefundenen Substanzen eliminiert werden müssten – nicht nur im Hinblick auf die Geruchsbelästigung. Die starken Gerüche können durchaus Kopfschmerzen und Schwindel hervorrufen. Man sollte es in Frage stellen, dass ein Kleber riecht. Hier müsste sich das Bewusstsein sowohl auf Verbraucher- als auch auf Herstellerseite ändern.«
Die Fraunhofer-Wissenschaftler bieten Herstellern Lösungen und zielgerichtete Strategien, um Klebstoffe ebenso wie andere Non-Food-Produkte des täglichen Bedarfs – dazu gehören unter anderem Lacke, Bindemittel, Möbel, Weichmacher, Reinigungsmittel und Kunststoffe – im Hinblick auf die enthaltenen Geruchsstoffe zu verbessern. »Wir haben uns die Aufgabe gestellt, die Hersteller bei der Produktentwicklung zu unterstützen. Denn diese können die verursachenden Komponenten mit ihren eigenen Methoden oft nicht kennen, hier ist eine Spezialanalytik erforderlich ebenso wie geschulte Probanden, um die Auslöser und eventuelle Verunreinigungen sowie beim Herstellungsprozess entstehende Nebenstoffe aufzuspüren«, betont die Lebensmittelchemikerin. Mit ihren Forschungsergebnissen legen die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen darüber hinaus die Basis zur physiologischen und toxikologischen Bewertung der störenden Substanzen.
Bei ihren Analysen setzen die Forscher auf verschiedene Methoden und Geräte wie etwa die Gaschromatographie und die Massenspektrometrie, die es ermöglichen, unter realen Lebensbedingungen simulierte Expositionsstudien durchzuführen und somit die freigesetzten Substanzen nicht nur zu erkennen, sondern auch zu quantifizieren. Das heißt, die Forscher ermitteln, welche Mengen bei normalem Gebrauch freigesetzt werden. Kurzum: Die analytischen Anforderungen sind hoch. Die Nachweismethoden müssen ein möglichst breites Spektrum an chemischen Substanzklassen abdecken, da Geruchsstoffe keine chemisch einheitliche Gruppe sind, sondern nur als gemeinsames Merkmal haben, dass sie flüchtig sind. Zudem muss zwischen geruchsaktiven und -inaktiven Substanzen unterschieden werden. Maschinelle Detektoren sind dazu aber nur teilweise in der Lage, die menschliche Nase ist hier bislang unersetzbar. Daher stehen sensorische Tests am Anfang der Untersuchungen.
Immer der Nase nach
Am Fraunhofer IVV wird in wöchentlichen Schulungen eine Gruppe von Testpersonen sensorisch geschult und zu Geruchsexperten ausgebildet. Die Prüfpersonen erhalten die Proben in geruchsneutralen Glasgefäßen. Das Sensorik-Panel legt für jede Probe charakteristische Geruchsattribute fest, die es in einer zweiten Sensorik-Session auf einer vorgegebenen Skala im Vergleich zu Referenzverbindungen bewertet. Die Gesamtintensität und das persönliche Ge- oder Missfallen eines Geruchseindrucks werden evaluiert, die Mittelwerte der Bewertungen zu einem Geruchsprofil zusammengefasst. Experte in Sachen Klebstoffe ist Philipp Denk, Kollege von Prof. Büttner. Der Freisinger Forscher untersucht klebende Komponenten aller Art, etwa in Lebensmittelverpackungen sowie im medizinischen Bereich, und fokussiert sich aktuell auf die Gruppe der Acrylklebstoffe. Sein nächstes Analyseobjekt sind Physiotapes, die teilweise ebenfalls geruchsintensive Klebstoffe enthalten. »Durch den globalisierten Markt und den stetig wachsenden Internethandel sind die amtlichen Prüfbehörden überfordert und nicht mehr in der Lage, die Fülle der Produkte auf störende oder bedenkliche Komponenten zu untersuchen. Wir werden daher neue Technologien entwickeln, um Produkte dezentral im Hinblick auf bedenkliche Komponenten testen zu können«.
Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft (idw)