Weniger Gift – dank einer „beispiellosen“ Reaktion
Archivmeldung vom 11.05.2019
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.05.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtIonische Flüssigkeiten sind nicht so reaktionsträge wie bislang angenommen – bei besonders eigenwilligen Reaktionspartnern bieten sie sogar endlich einen Hebel, um diese gezielt zu verändern. Das zeigt ein Team mittelhessischer Chemikerinnen und Chemiker in der frei verfügbaren Fachzeitschrift „Chemical Science“.
Bei ionischen Flüssigkeiten handelt es sich um Salze, die wegen ungünstiger Passformen der darin enthaltenen Ionen schlecht kristallisieren. „Sie eignen sich gut als Reaktionsmedien und zeigen dabei auch eine geringere Giftigkeit als viele gängige organische Substanzen“, sagt die Chemieprofessorin Dr. Stefanie Dehnen von der Philipps-Universität Marburg, Mitverfasserin der aktuellen Veröffentlichung. „Wir untersuchen derzeit systematisch den möglichen Einsatz ionischer Flüssigkeiten als Lösungsmittel und zugleich reaktives Agens, das dabei hilft, gezielt organische Seitengruppen an Metallchalkogenid-Cluster anzuhängen.“
Metallchalkogenid-Cluster sind Moleküle, die Metallatome mit Elementen wie Schwefel, Selen oder Tellur vereinen. „Es gibt viele Einsatzmöglichkeiten für Verbindungen, die solche Cluster enthalten“, berichtet Dehnens Mitarbeiter Bertram Peters, der federführende Autor der Studie. Als Beispiele nennt der Chemiker opto-elektronischen Anwendungen wie Leuchtdioden oder Solarzellen.
Um bestimmte Eigenschaften der Cluster zu verbessern, etwa ihre Löslichkeit in gängigen Lösungsmitteln, muss man organische Seitengruppen anhängen, die aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehen – zum Beispiel eine Methylgruppe. „Bisher war das nicht möglich“, erklärt Dehnens Mitarbeiterin und Koautorin Silke Santner, „es galt in der wissenschaftlichen Literatur auch als grundsätzlich nicht machbar.“ Der vermutete Grund bestehe in der mangelnden Neigung solcher Cluster, überzählige Elektronen zu einer Bindung mit einer Seitengruppe beizutragen, legt Mitverfasser Carsten Donsbach aus Dehnens Arbeitsgruppe dar.
Die mittelhessische Forschungsgruppe präsentiert nun „Produkte einer beispiellosen chemischen Reaktion“, wie die Autoren schreiben. Sie tritt auf, wenn man als Lösungsmittel für die Synthese der Metallchalkogenid-Cluster eine ionische Flüssigkeit einsetzt, die dabei gleichzeitig als Quelle der Methylgruppe dient. Dadurch erhielt das Forschungsteam neun Salze der in dieser neuartigen Weise veränderten Cluster. Das Team um Koautor Professor Dr. Bernd Smarsly von der Justus-Liebig-Universität Gießen bestätigte die Ergebnisse mittels Raman-Spektroskopie.
„Der wichtigste Aspekt ist dabei das Vorhandensein der endständigen Methylgruppen“, heben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hervor. Dieses Ziel ließ sich für verschiedene Clustergrößen und Kombinationen von Elementen verwirklichen, was die breite Anwendbarkeit der Methode belegt. „Unsere Ergebnisse ebnen neuen Strategien den Weg, mit denen sich Metallchalkogenid-Cluster zielgerichtet mit verhältnismäßig ungiftigen Reagenzien modifizieren lassen“, resümiert das Autorenteam.
Professorin Dr. Stefanie Dehnen lehrt Anorganische Chemie an der Philipps-Universität. Auch in der breitenwirksamen Vermittlung naturwissenschaftlicher Fragestellungen ist die Hochschullehrerin aktiv: Dehnen ist Direktorin des Mit-machlabors „Chemikum Marburg“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte die Forschungsarbeiten durch ihr Schwerpunktprogramm 1708 „Material-synthese nahe Raumtemperatur“.
Der Forschungscampus Mittelhessen ist eine hochschulübergreifende Einrichtung nach §47 des Hessischen Hochschulgesetzes der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Philipps-Universität Marburg und der Technischen Hochschule Mittelhessen zur Stärkung der regionalen Verbundbildung in der Forschung, Nachwuchsförderung und Forschungsinfrastruktur. Link zum Campus-Schwerpunkt „Materialforschung“: http://www.fcmh.de/mat
Quelle: Philipps-Universität Marburg (idw)