Quantenturbo für verlustfreien Strom
Archivmeldung vom 08.06.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWann ein Metallteilchen den elektrischen Widerstand verliert, ist auch eine Frage seiner Größe. Die Temperatur, unterhalb derer ein Material zu einem Supraleiter wird, kann nämlich drastisch steigen - wenn der Stoff als Nanokügelchen mit bestimmtem Durchmesser vorliegt. Das haben Forscher des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung mit Kollegen aus Regensburg und Lissabon nachgewiesen, indem sie Zinn-Nanopartikel mit einem Rastertunnelmikroskop untersuchten.
Demnach verstärken Quanteneffekte in den winzigen Teilchen die Supraleitung um bis zu 60 Prozent, aber nur bei "magischen" Größen, die eine Theorie auf den Nanometer genau vorhersagt. Diese Ergebnisse liefern neue Ansatzpunkte, um der verlustfreien Stromleitung auch bei Raumtemperatur näherzukommen. (Nature Materials, Juni 2010)
Mit Materialien, die Strom auch bei sommerlichen Temperaturen noch ohne Widerstand transportieren, ließe sich eine Menge Energie sparen. Supraleiter können das - im Prinzip. Doch die derzeit besten Supraleiter geben ihren Widerstand erst unterhalb von rund minus 170 Grad Celsius auf. Obwohl die Supraleitung bei Raumtemperatur noch immer in weiter Ferne liegt, sind ihr die Forscher des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung ein kleines Stück näher gekommen: Sie haben die kritische Temperatur, unterhalb derer ein Material zum Supraleiter wird, im Labor dramatisch angehoben, indem sie Nanopartikel bestimmter Größe erzeugten.
Die kritische Temperatur steigt - die Physiker sprechen von einer Verstärkung der Supraleitung -, weil die Energiezustände in Nanoteilchen quantisiert sind. In einem größeren Stück des Materials bilden sie dagegen ein breites Band, das sich über das gesamte Material ausdehnt. Für viele Atome ergeben sich nämlich sehr viele dicht beieinander liegende Zustände. Die wenigen Atome in einem Nanoteilchen können dagegen nur eine kleine Zahl von Zuständen besetzen. Die Beschränkung der Quantenzustände ändert die Eigenschaften nanoskopischer Systeme abrupt und oft unvorhergesehen. "In niederdimensionalen Supraleitern ist eine der überraschendsten Konsequenzen, dass Schaleneffekte auftreten, die die Supraleitung verstärken", sagt Klaus Kern, Direktor am Stuttgarter Max-Planck-Institut.
Theoretisch haben Physiker diese Schaleneffekte bereits seit längerem vorhergesagt. Demnach bilden metallische Nanopartikel elektronische Schalen - ähnlich den Schalen, auf denen sich die Elektronen in einzelnen Atomen anordnen. Auch die Elektronen in den Nanopartikeln besetzen nun diese Schalen. Bei bestimmten Anzahlen schließen sich die Elektronen in den Schalen leichter zu Cooper-Paaren zusammen, die sich ohne Widerstand durch das Material bewegen können. Wann sich in den Schalen die ‚magischen’ Anzahl von Elektronen versammeln, hängt auch von der Größe und Form der Partikel ab.
"Die Experimente, um die vorhergesagten Quanteneffekte zu bestätigen,
sind extrem anspruchsvoll und erreichen die Grenze des technisch
Möglichen", sagt Sangita Bose, die zusammen mit Ivan Brihuega zum ersten
Mal untersucht hat, wie die Größe den supraleitenden Zustand
individueller Nanopartikel beeinflusst.
Die Forscher haben in einem extrem guten Vakuum zunächst exakte
Halbkugeln aus Zinn und Blei gezüchtet, deren Höhen sie gezielt zwischen
einem und 50 Nanometern einstellten. Mit einem speziellen
Rastertunnelmikroskop, das Forscher des Max-Planck-Instituts entwickelt
haben, untersuchten die Physiker anschließend die elektronischen
Eigenschaften der Nanoteilchen bei Temperaturen nahe dem absoluten
Nullpunkt von rund minus 273 Grad Celsius. Mit sehr hoher Auflösung
bestimmten sie für jedes individuelle Teilchen die supraleitende
Energielücke. Aus den Energielücken ergeben sich dann die kritischen
Temperaturen, bei denen sie Supraleitung auftritt.
Die Experimente zeigten, dass die supraleitende Energielücke der Zinn-Nanopartikel sehr empfindlich auf die Partikelgröße reagiert. Sie nimmt allerdings weder kontinuierlich ab noch steigt sie stetig an, sondern springt vielmehr stark hin und her. "Das sieht zunächst aus wie Rauschen, entspricht aber den Vorhersagen der Theorie", sagt Klaus Kern. Die Größe braucht sich nur um Bruchteile eines Nanometers zu ändern, und schon springt die kritische Temperatur in die Höhe, bevor sie im nächst kleineren Partikel schon wieder drastisch abfällt. Für Blei-Nanopartikel fällt der Effekt weit schwächer aus. In beiden Materialien tritt allerdings überhaupt keine Supraleitung mehr auf, wenn die Partikel kleiner als vier Nanometer sind. "Das wurde zwar bereits vor 50 Jahren theoretisch vorhergesagt, wir haben das aber jetzt zum ersten Mal an einzelnen Partikeln nachgewiesen", sagt Ivan Brihuega.
Um die experimentellen Ergebnisse theoretisch zu unterfüttern, haben Antonio M. García-García, Wissenschaftler am Instituto Superior Technico in Lissabon, und Juan D. Urbina von Universität Regensburg, Korrekturen für die endliche Ausdehnung und Form der Partikel in die Standard-BCS-Theorie für Supraleiter eingeführt. Ihre Berechnungen geben die experimentellen Ergebnisse sehr gut wieder. Sie spiegeln auch wider, dass die Supraleitung mit der Größe der Zinn-Nanopartikel stark variiert. Im Blei tritt der Effekt allerdings kaum auf. "Das unterschiedliche Verhalten der beiden Metalle lässt sich mit der unterschiedlichen Kohärenzlänge erklären, die die räumliche Ausdehnung der Elektronenpaare für die Supraleitung beschreibt", sagt Sangita Bose. Die Kohärenzlänge im Zinn ist viel größer als im Blei, was Zinn weitaus empfindlicher gegenüber Quanteneffekten macht.
Da die quantenmechanischen Schaleneffekte in allen Materialien auftreten, lassen sie sich nutzen, um die Supraleitung in vielen Materialien zu verstärken. "Damit eröffnet das ‚Quanten-Engineering’ durch die gezielte Nanostrukturierung eine völlig neue Perspektive für die Supraleitung und bietet auch vielversprechende technologische Aussichten", so Klaus Kern.
Quelle: Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, Stuttgart