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Planetentheorie, auf den Kopf gestellt

Archivmeldung vom 13.04.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.04.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Künstlerische Darstellung eines Exoplaneten auf einer rückläufigen Umlaufbahn Bild: ESO/L. Calçada
Künstlerische Darstellung eines Exoplaneten auf einer rückläufigen Umlaufbahn Bild: ESO/L. Calçada

Heute wurde die Entdeckung von neun Exoplaneten bekannt gegeben, die von der Erde aus gesehen vor ihrem Stern vorüberlaufen. Die Untersuchung dieser und 18 weiterer Transitplaneten sorgte für eine Überraschung: Sechs der Planeten umrunden ihren Stern nicht in derselben Richtung, in der sich der Stern um seine eigene Achse dreht (wie die Planeten in unserem Sonnensystem), sondern in entgegengesetzter Richtung. Das stellt die gängigen Theorien zur Planetenentstehung vor ein ernstes Problem.

Weiterhin legen die Untersuchungen nahe, dass es unwahrscheinlich ist, in Exoplanetensystemen mit sogenannten "Hot Jupiters" auch erdähnliche Planeten zu finden. "Auf dem Gebiet der extrasolaren Planeten werden unsere Ergebnisse wie eine Bombe einschlagen", sagt Amaury Triaud, ein Doktorand am Observatorium Genf, der zusammen mit Andrew Cameron und Didier Queloz den wichtigsten Teil der Beobachtungskampagne leitete. In der Tat dürften die neuen Ergebnisse die Planetenforscher zum Umdenken zwingen.

Planeten entstehen in Scheiben aus Gas und Staub, die junge, gerade erst entstandene Stern umgeben. Eine solche protoplanetare Scheibe und ihr Zentralstern rotieren gemeinsam um ein und dieselbe Drehachse, die senkrecht zur Scheibe steht. Daher hat man bisher erwartet hat, dass sich die Planeten, die sich in der Scheibe bilden, sämtlich in der Scheibenebene um den Stern laufen sollten, und zwar in der gleichen Richtung, in der sich auch der Stern um sich selbst dreht. Bei den Planeten in unserem Sonnensystem ist dies tatsächlich der Fall.

Nach dem Nachweis der neun neuen Exoplaneten [1] im Rahmen des Projektes "Wide Angle Search for Planets" (WASP [2]) nutzte ein Astronomenteam den HARPS-Spektrografen am 3,6 m-Teleskop der ESO am La Silla-Observatorium in Chile, um die Entdeckungen zu bestätigen. Mit diesen und zusätzlichen Daten des Schweizer Leonard-Euler-Teleskops, das sich ebenfalls auf La Silla befindet, und weiterer Teleskope, untersuchten die Astronomen dann die Eigenschaften dieser neun sowie 18 weiterer Transitplaneten [3], die aus vorangehenden Studien bekannt waren.

Beim Kombinieren der neuen und alten Beobachtungsdaten stellten die Astronomen überraschenderweise fest, dass bei mehr als der Hälfte der untersuchten Planeten - so genannten "Hot Jupiters" [4] - die Umlaufbahn gegen die Drehachse des Sterns verkippt ist. Sechs der in dieser erweiterten Studie enthaltenen Planeten - zwei davon gehören wiederum zu den Neuentdeckungen - zeigen sogar eine rückläufige Bewegung: Sie umlaufen ihren Stern "verkehrt herum".

"Unsere Ergebnisse widersprechen der gängigen Vorstellung, dass Planeten ihren Mutterstern immer in derselben Richtung umlaufen sollten, in der sich der Stern um sich selbst dreht", erklärt Andrew Cameron von der schottischen University of St. Andrews, der die neuen Resultate in dieser Woche auf dem National Astronomy Meeting in Glasgow vorgestellt hat.

Seit vor 15 Jahren die ersten Hot Jupiters entdeckt wurden, war ihre Herkunft ein Rätsel. Hot Jupiters sind Planeten, mit Massen ähnlich groß oder größer der des Jupiter, die sich sehr nahe an ihren Muttersternen befinden und dadurch stark aufgeheizt werden. Man nimmt an, dass sich der Kern eines solchen Gasriesen aus einer Mischung aus Gesteins- und Eispartikeln bildet. Solche Partikel finden sich allerdings nur in den kalten Außenbereichen eines Planetensystems.. Die Hot Jupiters entstehen daher, den gängigen Vorstellungen nach, weit weg von ihrem Stern und wandern im Anschluss nach innen, bis sie ihre endgültigen Umlaufbahnen nahe am Stern erreicht haben. Im üblichen Modell wird die Wanderung nach innen durch Schwerkraftwechselwirkungen mit der Staubscheibe hervorgerufen, aus der die Planeten entstehen. In diesem Szenario dauert die Wanderung einige Millionen Jahre, und die Umlaufbahnen der Planeten sind danach in natürlicher Weise werden dabei entlang der Drehrichtung des Sterns um sich selbst ausgerichtet. Anschließend könnten sich dann erdähnliche Gesteinsplaneten bilden. Dieses Modell hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Die neuen Beobachtungsdaten sind damit nicht vereinbar.

Um auch rückläufige Exoplaneten in die Wanderungstheorie einbinden zu können, muss man annehmen, dass die Nähe der Hot Jupiters zu ihren Sternen nicht durch Wechselwirkung mit der Staubscheibe zustande kommt. Nach einer alternativen Theorie käme als Mechanismus ein langsamerer Prozess über mehrere 100 Millionen Jahre in Frage, eine Art gravitatives Tauziehen mit weiter entfernten Planeten oder Begleitersternen des Muttersterns. Nachdem solche Störungen einen großen Exoplaneten auf eine geneigte und langgestreckte Umlaufbahn bugsiert haben, würde er durch Gezeitenreibung bei jeder nahen Begegnung mit dem Stern Energie verlieren. Schließlich würde der neue Hot Jupiter auf einer beinahe kreisförmigen, aber willkürlich gegenüber der Hauptebene des Planetensystems geneigten Umlaufbahn nahe des Sterns enden. "Ein dramatischer Nebeneffekt dieses Prozesses wäre, dass sich in solchen Systemen keine kleineren erdähnlichen Planeten halten könnten", ergänzt Didier Queloz vom Observatorium Genf.

Bei zwei der neuentdeckten rückläufigen Planeten hat man tatsächlich zusätzliche, weiter entfernte Begleiter gefunden, die die ungewöhnliche Orientierung der Umlaufbahn verursacht haben könnten. Diese neuen Funde werden eine intensive Suche nach weiteren Himmelskörpern in anderen Planetensystemen auslösen.

Die hier vorgestellten Forschungsergebnisse wurden auf dem diesjährigen National Astronomy Meeting (NAM) der britischen Royal Astronomical Society präsentiert, das in dieser Woche im schottischen Glasgow stattfindet. Insgesamt werden dazu neun Fachartikel erscheinen, die bei internationalen Fachzeitschriften eingereicht wurden. Vier der Veröffentlichungen beruhen auf Daten von ESO-Einrichtungen. Außerdem erhielt das WASP-Konsortium den diesjährigen Royal Astronomical Society Group Achievement Award.

Endnoten

[1] Damit steigt die Zahl der bekannten Exoplaneten auf insgesamt 452.

[2] Die neun Planeten wurden im Rahmen des Projektes "Wide Angle Search for Planets" (WASP) entdeckt. WASP arbeitet mit zwei robotisch betriebenen Beobachtungsstationen, an denen jeweils acht Weitwinkelkameras gleichzeitig einen Großteil des Himmels überwachen und nach Transitereignissen suchen. Zu einem solchen Transit kommt es, wenn ein Planet auf seiner Umlaufbahn von der Erde aus gesehen vor seinem Mutterstern entlangläuft und dabei einen kleinen Teil des Sternenlichts abschirmt. Diese Art von "Sternfinsternis" bewirkt eine Änderung in der scheinbaren Helligkeit des Sterns, die man messen kann. Mit den acht Kameras von WASP lässt sich die Helligkeit von mehreren Millionen Sternen gleichzeitig beobachten, um nach den seltenen Transits zu suchen. Die WASP-Kameras werden von einem Konsortium betrieben, zu dem unter anderem die Queen's University im nordirischen Belfast, die Universitäten von Keele, Leicester und St. Andrews, die Open University, die Isaac Newton Group auf La Palma und das Instituto de Astrofisica de Canarias gehören.

[3] Um die Entdeckung neuer Transitplaneten zu bestätigen und die Eigenschaften der Planeten näher zu untersuchen, werden sie mit der Radialgeschwindigkeitsmethode nachbeobachtet. Dabei wird vermessen, wie sich der Mutterstern beim Umlauf von Stern und Planet um ihren gemeinsamen Schwerpunkt hin und her bewegt. Speziell für diese Art von Messungen gibt es ein weltweites Netzwerk von Teleskopen, die mit empfindlichen Spektrografen ausgestattet sind. Auf der Nordhalbkugel der Erde führen das Nordic Optical Telescope (NOT) auf den Kanarischen Inseln und das SOPHIE-Instrument am 1,93m-Teleskop am französischen Observatoire de Haute-Provence (OHP) die Suche an. Auf der Südhalbkugel wurde die Entdeckung der neuen Planeten mit dem Exoplanetenjäger HARPS am 3,6m-Teleskop der ESO und dem CORALIE-Spektrograf am Schweizer Euler-Teleskop bestätigt, die sich beide auf La Silla in Chile befinden. Außerdem werden mit diesen Instrumenten die Neigung der Planetenbahnen relativ zum Äquator des Sterns vermessen. Die beiden robotisch betriebenen Faulkes-Teleskope des Las Cumbres Observatory Global Telescope Network auf Hawaii und in Australien haben Helligkeitsmessungen beigesteuert, mit denen man die Größe der Planeten ermittelt hat. Die WASP-Exoplanetenkandidaten wurden mit dem Euler-Teleskop in Chile in Zusammenarbeit mit Kollegen am Observatiorium Genf, am NOT auf La Palma und mit dem 1,93m-Teleskop am OHP in Zusammenarbeit mit Kollegen am Institut d'Astrophysique de Paris und dem Laboratoire d'Astrophysique de Marseille nachbeobachtet.

Die Untersuchungen der Bahnneigungen der WASP-Planeten wurden auf der Südhalbkugel vom La Silla Observatorium mit dem HARPS-Spektrografen am 3,6 m-Teleskop der ESO und mit dem CORALIE-Instrument am Schweizer Euler-Teleskop und auf der Nordhalbkugel von der Thüringer Landessternwarte Tautenburg, vom McDonald Observatory in Texas und mit dem NOT durchgeführt.

[4] Hot Jupiters (heiße, jupiter-ähnliche Planeten) sind Exoplaneten mit Massen ähnlich der oder größer als die Masse des Jupiter. Ihre Umlaufbahnen liegen sehr viel näher an ihrem Mutterstern als die Bahnen der Planeten in unserem Sonnensystem, so dass sie stark aufgeheizt werden. Durch die große Masse und die Nähe zum Stern erzeugt die Schwerkraft der Hot Jupiters größere messbare Effekte am Mutterstern, so dass Hot Jupiters leichter zu finden sind als beispielsweise Planeten ähnlich denen in unserem Sonnensystem. Hinzu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit zur Beobachtung eines Planetentransits für diese großen Gasriesen ebenfalls größer ist. Ein Großteil der Exoplaneten, die man zuallererst gefunden hat, stammen daher aus dieser Klasse von Planeten.

Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie

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