Moderne Medientechnik im Atlasgebirge
Archivmeldung vom 17.08.2017
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtForscherInnen der Universität Siegen haben in Marokko ein Medienzentrum eröffnet. Sie möchten untersuchen, wie die Menschen im Hohen Atlasgebirge moderne Technik nutzen und diese in ihren Alltag integrieren.
Etwa zehntausend Menschen leben im Tal „Zawiha Ahansal“ im Hohen Atlasgebirge, viele von ihnen als Nomaden oder Halb-Nomaden. Sechs Dörfer gibt es, von denen eins nur zu Fuß oder mit Eseln erreicht werden kann. Es handelt sich um eine der ärmsten Regionen Marokkos. ForscherInnen der Uni Siegen haben dort jetzt gemeinsam mit KollegInnen der Universität zu Köln ein Medienzentrum eröffnet, den so genannten „MediaSpace“. Die Menschen im Tal bekommen so Zugang zu moderner Informations- und Kommunikationstechnologie. In den kommenden Jahren möchten die WissenschaftlerInnen untersuchen, wie die EinwohnerInnen diese Technik nutzen und in ihren Alltag integrieren. Das Projekt „Digitale Öffentlichkeiten und gesellschaftliche Transformation in Mahgreb“ ist Teil des Sonderforschungsbereichs „Medien der Kooperation“ an der Universität Siegen.
„Uns interessiert, inwiefern moderne Medientechnik den Menschen im Tal neue Möglichkeiten der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe eröffnet. Wie können sie sich über die Medien vernetzen und eine neue Selbstständigkeit entwickeln?“, sagt Projektleiter Markus Rohde von der Uni Siegen. Ziel sei es nicht in erster Linie, Technik ins Tal zu bringen, sondern den EinwohnerInnen über die Technik eine Stimme zu geben. Ein Vorhaben, das das Team bereits im Vorfeld vor Herausforderungen stellte. Bei Teilen der Bevölkerung habe es zunächst Skepsis und Vorbehalte gegeben, erzählen Sarah Rüller und Konstantin Aal, die im Rahmen des Projektes einige Wochen selbst vor Ort waren: „Da hält auf einmal die große Welt des Internet Einzug. Das ist für viele beängstigend – wir müssen bei den Menschen zunächst eine Vertrauensbasis schaffen.“
Auch sprachliche Hürden galt es zu überwinden. In Zawiha Ahansal sprechen die meisten den indigenen Dialekt „Tamazight“. Der Kölner Kollege Simon Holdermann habe eigens einen Arabisch-Sprachkurs belegt, berichtet das Projekt-Team. Vor Ort lernte er dann „Tamazight“. In den kommenden Monaten möchten die WissenschaftlerInnen erreichen, dass der MediaSpace mehr und mehr in den Alltag im Tal integriert wird. Einheimische wurden dazu als Tutoren ausgebildet, örtliche Lehrer für die Arbeit mit Jugendlichen geschult. „Sie sollen den Menschen den Umgang mit der neuen Technik zeigen, ihnen dieses neue Handwerkzeug vertraut machen“, erklärt Markus Rohde. Er kann sich zum Beispiel vorstellen, dass Frauen in örtlichen Nähprojekten Tablets nutzen, um neue Schnittmuster aus dem Internet herunterzuladen. Auf große Neugier seien Laptops, Kameras und 3-D-Drucker außerdem bei den Kindern gestoßen, erzählt Sarah Rüller: „Für sie war es sehr faszinierend, das eigene Gesicht als Aufnahme auf dem Tablet zu sehen.“
Als klassische Entwicklungshilfe versteht sich das Projekt ausdrücklich nicht. „Unser Ziel ist es, die technologische Entwicklung vor Ort in die eigene Hand zu geben“, betont das Siegener Forscherteam. „Wir sind gespannt, welche Ideen die Menschen im Tal dabei selbst noch entwickeln.“ Analysieren möchten die WissenschaftlerInnen insbesondere auch, wie sich die Beziehung zwischen Zawiha Ahansal und der Gesellschaft außerhalb des Tals verändert. Wird das Internet als zusätzliche Informationsquelle genutzt, um sich über aktuelle Ereignisse im Land zu informieren? Vernetzen sich die Menschen im Tal mithilfe der neuen Technik stärker mit externen Gruppen und Organisationen? Inwiefern verändert sich dadurch auch die Gesellschaft innerhalb des Tals?
Immer wieder werden MitarbeiterInnen des Forschungsprojektes in den kommenden Monaten ins Atlasgebirge reisen, die Mediennutzung vor Ort dokumentieren und Interviews mit BewohnerInnen des Tals führen. „Teilnehmende Beobachtung“ nennt sich diese Forschungsmethode. Unterstützt wird das Team dabei von der vor Ort tätigen Nichtregierungsorganisation „Smnid Amezray“. Neben MedienwissenschaftlerInnen und WirtschaftsinformatikerInnen der Uni Siegen sind auch ExpertInnen aus dem Bereich Medienethnografie der Uni Köln an dem Projekt beteiligt.
Hintergrund
Das Projekt ist eins von insgesamt sechszehn Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs „Medien der Kooperation“ an der Uni Siegen. Projektleiter sind neben Markus Rohde Prof. Dr. Volker Wulf vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien der Uni Siegen und der Medienethnograf Jun.-Prof. Dr. Martin Zillinger von der Uni Köln. Der SFB wird von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gefördert und ist Anfang 2016 gestartet. Über 60 WissenschaftlerInnen erforschen dort interdisziplinär digitale Medien und die durch sie hervorgerufenen, gesellschaftlichen Veränderungen.
Quelle: Universität Siegen (idw)