Nährstoffe treten den geordneten Rückzug aus dem Blatt an
Archivmeldung vom 20.06.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn eine Pflanze ihre Blätter nicht mehr benötigt, lässt sie sie in einem streng kontrollierten Abbauprozess, der so genannten Seneszenz, sterben. Zuvor sichert sie sich jedoch alle Stoffe aus den Blättern, die sie noch gebrauchen kann. Die Tübinger Genetikerin Dr. Ulrike Zentgraf erforscht, welches Signal in Pflanzen die Seneszenz einzelner Organe auslöst und wie der komplizierte Prozess auf genetischer Ebene reguliert wird.
Tübinger Genetikerin untersucht die Regulierung der Seneszenzprozesse in Pflanzen
Eine einjährige Pflanze braucht ihre Blätter nur für eine
Saison. Denn sie bildet Blüten aus, die - im besten Falle - bestäubt werden und
Samen erzeugen. Die Samen wachsen unter günstigen Bedingungen wieder zu
Pflänzchen aus, die neue Blätter bilden. In den Blättern findet hauptsächlich
die Fotosynthese statt, mit der die Pflanze die Energie aus dem Sonnenlicht
nutzen kann, um Zucker und andere Stoffe herzustellen. Die einjährige Pflanze
Ackerschmalwand zum Beispiel kann ihre Blattrosette aber entbehren, sobald ein
Stängel ausgewachsen ist, der die Blüten trägt. Tatsächlich sterben die Blätter
zu dieser Zeit ab - Seneszenz heißt dafür der Fachbegriff. Was einfach klingt,
ist aber ein komplizierter und bisher grundsätzlich wenig erforschter Vorgang.
Denn vor dem Blättersterben sichert sich die Pflanze wertvolle Eiweiße und
Mineralstoffe aus den Zellen. Sie werden in den Blüten und Samen gespeichert und
der nächsten Pflanzengeneration mit auf den Weg gegeben. Die Genetikerin Dr.
Ulrike Zentgraf vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität
Tübingen erforscht, wie den Blättern signalisiert wird, dass es Zeit ist für den
geordneten Rückzug und was sich während der Seneszenzprozesse in den Zellen
abspielt.
Die Blattseneszenz ist ein aktiver, energieaufwendiger
Abbauprozess. "Im Vordergrund steht nicht der Zelltod, sondern die Mobilisierung
von Stoffen aus den Zellen des absterbenden Pflanzenorgans", erklärt die
Forscherin. Die Seneszenzprozesse könnten auch sehr lange, bis zum eigentlichen
Zelltod, rückgängig gemacht werden. Bei Tabakpflanzen könne man die
Blattseneszenz verzögern, indem man Blüten oder Schoten entfernt. Entferne man
den Stängel und behandle die Pflanzen mit dem Pflanzenhormon Cytokinin,
ergrünten die unteren Blätter sogar wieder. "Auch wenn man versucht, nur an
einer Stelle in die Abläufe der Seneszenz einzugreifen, erhält man eine Vielzahl
von Effekten, die sich dann kaum ordnen lassen", sagt die Genetikerin. Ulrike
Zentgraf hat sich daher entschieden, mit ihren Forschungen an einem möglichst
einfachen Pflanzenmodellsystem unter gleich bleibenden Laborbedingungen zu
beginnen. Die Wahl fiel - wie fast immer in der Pflanzengenetik - auf die
Ackerschmalwand, lateinisch Arabidopsis thaliana. Das Genom dieser Pflanze ist
vollständig sequenziert, die Daten sind in Datenbanken gut zugänglich, und es
gibt in der Genetik viele molekularbiologische Werkzeuge, mit denen sich die
Prozesse in den Zellen untersuchen oder im Experiment lenken lassen. Außerdem
hat die Ackerschmalwand im Labor eine kurze Generationszeit von nur zwölf
Wochen. Im Alter von sechs bis sieben Wochen zeigen die Arabidopsis-Blätter die
ersten Zeichen von Seneszenz. Sie werden hellgrün, später braun und welk, bald
ist die ganze Blattrosette betroffen. Doch wann und wie wird der Vorgang
eingeläutet?
Als möglicher Auslöser der Seneszenz käme das Absinken der
Fotosyntheserate im Blatt unter einen Schwellenwert in Frage - denn sie erreicht
im Modellsystem bereits vier bis sechs Tage nach der vollen Entfaltung des
Blatts nur noch die Hälfte des Maximums. Doch das Alter des Blatts kann nicht
allein bestimmend sein. "In einer bestimmten Phase zeigen ältere Blätter einer
relativ jungen Pflanze die gleichen Anzeichen von Seneszenz wie die jüngeren
Blätter einer älteren Pflanze", sagt Ulrike Zentgraf. Wenn man auf der Ebene der
Gene näher untersuche, welche in den beiden unterschiedlich alten Blättern aktiv
sind, unterschieden sich die so genannten Expressionsmuster stark voneinander.
Die Forscherin hat die unterschiedlich stark exprimierten Gene, deren
Genprodukte zum Beispiel für den Proteinabbau oder den Transport von Nährstoffen
zuständig sind, nach ihren Aktivitätsmustern sortiert. "Es zeigte sich, dass die
Aktivität mancher Gene mit dem Alter des Blatts zusammenhängt, bei anderen aber
mit dem Alter der ganzen Pflanze", berichtet sie.
Ein weiteres Fadenende
im Knäuel der schwer überschaubaren Seneszenzprozesse bekam die Forscherin mit
ihrem Team in die Hand, als sie die Reaktion auf den so genannten oxidativen
Stress untersuchte. Unter oxidativem Stress verstehen die Wissenschaftler
zerstörerische Sauerstoffradikale, die als unerwünschte Nebenprodukte in allen
Organismen entstehen, die Sauerstoff zum Leben benötigen. "Bei diesen Organismen
hängt die Lebensdauer stark davon ab, wie gut ihr Stoffwechsel solche
Sauerstoffradikale unschädlich machen kann", erklärt Ulrike Zentgraf. In den
Blättern der Ackerschmalwand, so hat sie festgestellt, werden bereits einige
Zeit bevor Anzeichen von Seneszenz zu erkennen sind, deutlich weniger Enzyme
hergestellt, die Sauerstoffradikale einfangen. "Wir haben vor allem das
Auftreten von Wasserstoffperoxid, das Gewebe schwer schädigen kann, in den
Blättern des Modellsystems untersucht. Dort gab es in sieben Wochen alten
Pflanzen eine auffällige Spitzenkonzentration", sagt die Forscherin.
Möglicherweise sei dies ein Signal zur Einleitung der Seneszenz in den
Blättern.
Diese Annahme wird dadurch gestützt, das zum Zeitpunkt der
Wasserstoffperoxidspitze der Stängel der Ackerschmalwand auswächst. Außerdem
ließ sich feststellen, dass eine ganze Reihe von Genen, die während der
Seneszenzprozesse angeschaltet werden, durch steigenden oxidativen Stress
induziert werden. Sie enthalten Informationen für Abbau- und Transportenzyme
sowie mehr als 40 verschiedene Transkriptionsfaktoren, die die Genexpression
regeln. "Wir haben einen Transkriptionsfaktor namens WRKY 53 identifiziert, der
in der komplizierten Regelungskaskade der Seneszenz weit oben stehen muss", sagt
die Forscherin. "In der sechsten bis siebten Woche des Pflanzensystems steigt
die Produktion von WRKY 53 in allen Blättern der Rosette. Es ist, als würde hier
der Regelungsschalter vom Blattalter zum Pflanzenalter umgelegt." WRKY 53, so
haben die Genetiker weiter festgestellt, hat als Aktionspartner ein weiteres
Protein. "Im lebenden Gewebe haben wir dieses Protein mit Hilfe eines
Fluoreszenzmarkers sowohl außerhalb des Zellkerns als auch darin gefunden",
berichtet Zentgraf. Bei gentechnisch veränderten Ackerschmalwand-Pflanzen, die
kein WRKY53 produzieren können, erscheint es nicht mehr im Zellkern. "Es kommt
dort also nur mit Hilfe von WRKY 53 hinein. "Wahrscheinlich beeinflusst dieses
Protein ein Enzym, das in die Herstellung von Stoffen eingreift, die gegen
Krankheitserreger wirken können. "Die Ausprägung der Seneszenz wird durch die
Gegenspieler WRKY53 und seinen Interaktionspartner beeinflusst. Die beiden
werden wiederum durch das Gegenspielerpaar der Hormone Salicylsäure und
Jasmonsäure reguliert. Und wir haben auch festgestellt, dass sich die Produktion
von WRKY53 durch Wasserstoffperoxid anwerfen lässt." So kompliziert es jetzt
schon klingt - das Team von Ulrike Zentgraf hat beim Ordnen der
Seneszenzprozesse noch viel Arbeit vor sich.
Zwischen den Prozessen, die
sich bei der Seneszenz abspielen und jenen, die auf einen Befall der Pflanze mit
Krankheitserregern folgten, gebe es eine starke Überlappung, sagt die
Forscherin. "Allerdings wehrt sich die Pflanze gegen einen Pathogenbefall
bereits innerhalb weniger Stunden mit dem Tod der infizierten Organe. Die
Seneszenz dauert im Arabidopsis-Modellsystem mehrere Tage und kann sich bei
anderen Pflanzen über mehrere Wochen hinziehen." Als Fernziel ihrer Forschungen
kann sich Ulrike Zentgraf vorstellen, dass sich in die Blattalterungsprozesse
und die Mobilisierung von Nährstoffen in der Pflanze für landwirtschaftliche
Zwecke eingreifen ließe, etwa zur Steigerung der Erträge von Nutzpflanzen. Auch
für die Lagerung von Früchten, Gemüse wie etwa Brokkoli, Schnittblumen oder
Getreide könnte es interessant sein, die Alterung der Pflanzenorgane
hinauszuzögern.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.