Das Universum enthält weniger Materie als gedacht
Archivmeldung vom 07.12.2016
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.12.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDie Materie im Universum ist leichter und weniger strukturiert als bislang geglaubt. Das zeigen die Ergebnisse eines internationalen Forscherteams unter wesentlicher Beteiligung der Universität Bonn. Die Wissenschaftler haben die Dunkle Materie im Weltraum mit Hilfe des schwachen Gravitationslinseneffektes beobachtet. Hierfür zeichnete das VLT Survey Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile rund 15 Millionen Galaxien am Himmel auf. Die Ergebnisse sind nun in den “Monthly Notices of the Royal Astronomical Society” veröffentlicht. ACHTUNG SPERRFRIST: Nicht vor Mittwoch, 7. Dezember, 12 Uhr MEZ veröffentlichen!
Über wie viel Masse verfügt das Universum und wie verteilt sich die Materie im Raum? Diese Grundfragen der Kosmologie sind entscheidend für die Rekonstruktion der Prozesse seit dem Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren. Nach dem kosmologischen Standardmodell dehnte sich das Universum immer weiter aus, und allmählich bildeten sich Strukturen, wie zum Beispiel Galaxienhaufen. Die heutige Verteilung der Materie im Weltraum ist ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, wie sich das Universum entwickelt hat.
Verschiedene Forscher haben mit unterschiedlichen Methoden versucht, die Dichte der Materie im Universum und deren Verteilung zu bestimmen. Einen neuen Ansatz liefert nun ein internationales Team von Wissenschaftlern aus den Niederlanden, Großbritannien, Australien, Italien, Malta und Kanada unter wesentlicher Beteiligung der Universität Bonn. Mit Hilfe des VLT Survey Telescope (VST) der Europäischen Südsternwarte in Chile beobachteten die Forscher rund 15 Millionen Galaxien am Himmel.
Verzerrung des Lichts wie durch ein Weinglas
„Dabei interessierte uns, in welche Richtung die Längsachsen der Galaxien zeigen“, erläutert Dr. Hendrik Hildebrandt, der am Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Emmy Noether-Nachwuchsgruppe leitet. Bei den Millionen von Galaxien auf den aufgenommenen Bildern ist die ursprüngliche Ausrichtung im Raum im Mittel rein zufällig. Gemessene Abweichungen von dieser Zufallsverteilung sind auf den schwachen Gravitationslinseneffekt zurückführen. Dabei lenken große Massen das Licht leicht ab. „Wie bei einem Weinglas, das durch seine gebogene Form ein dahinterliegendes Bild verändert, verzerrt der Gravitationslinseneffekt das Licht, das Galaxien aussenden“, erklärt Dr. Hildebrandt.
Ein Großteil der Materie im Weltall ist nicht in Form von Sternen, Staub oder Gas sichtbar, weshalb sie „Dunkle Materie“ genannt wird. Anhand des Gravitationslinseneffektes lässt sich aber feststellen, wo sich größere Massen in Form von sichtbarer und Dunkler Materie im Universum befinden und das Licht ablenken. Kennt man den Grad der Verzerrung in einer bestimmten Region des Universums, kann man auf die Größe der Massen zurückschließen: Kleine Gravitationslinseneffekte sind auf geringere Massen und größere Effekte auf große Massen zurückzuführen.
Genaueste kosmologische Studie mit dem Gravitationslinseneffekt
Diese Messungen führten die Wissenschaftler für unterschiedliche Regionen am Himmel durch und erstellten auf diese Weise eine Massenverteilungskarte, die Bereiche hoher und geringer Dichte ausweist. „Auf dem Gebiet des schwachen Gravitationslinseneffektes handelt es sich um die bisher genaueste kosmologische Untersuchung“, berichtet Prof. Dr. Peter Schneider vom Argelander-Institut.
Die Ergebnisse des Forscherteams sind überraschend: Im Vergleich zu früheren Resultaten anderer Forschungsgruppen enthält das Universum weniger Materie als gedacht. „Die aktuellen Resultate zeigen, dass das kosmische Netz aus Dunkler Materie, das rund vier Fünftel der Masse im Universum ausmacht, weniger stark strukturiert ist als bislang geglaubt“, sagt Dr. Massimo Viola von der Universität Leiden (Niederlande).
Die leichte Diskrepanz zwischen den Ergebnissen anderer und der aktuellen Massenbestimmungen könnte der Auftakt für weitere wissenschaftliche Untersuchungen sein. „Unsere Studie wird helfen, das theoretische Modell von der Entwicklung seit dem Urknall zu verfeinern und unser Verständnis vom modernen Universum zu verbessern“, sagt Dr. Hildebrandt.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (idw)