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Die Quanten-Grinsekatze

Archivmeldung vom 02.08.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.08.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
In einem Interferometer, das einen Strahl in einen oberen und einen unteren Weg aufteilt, wird ein O
Quelle: TU Wien. Zeichnung: Leon Filter (idw)
In einem Interferometer, das einen Strahl in einen oberen und einen unteren Weg aufteilt, wird ein O Quelle: TU Wien. Zeichnung: Leon Filter (idw)

Können sich Neutronen an einem anderen Ort befinden als ihr eigener Spin? Ein Quantenexperiment, durchgeführt von einem Team der TU Wien, zeigt ein neues Quanten-Paradox auf.

Tobias Denkmayr, beim Experiment in Grenoble.
Quelle: TU Wien (idw)
Tobias Denkmayr, beim Experiment in Grenoble. Quelle: TU Wien (idw)

Die Grinsekatze im Roman „Alice im Wunderland“ von Lewis Caroll hat ganz besondere Fähigkeiten: Sie selbst verschwindet, ihr Grinsen bleibt aber zurück. Lässt sich ein Objekt von seinen Eigenschaften trennen? In einem Quantenexperiment ist das nun gelungen: Neutronen wurden dazu gebracht, sich entlang eines anderen Wegs zu bewegen als eine ihrer Eigenschaften – ihr magnetisches Moment. Diese „Quanten-Grinsekatze“ könnte dazu dienen, Hochpräzisions-Messungen unempfindlicher gegen Störungen zu machen.

Gleichzeitig hier und dort

Nach den Gesetzen der Quantenphysik können sich Teilchen in einer Überlagerung unterschiedlicher Zustände befinden. So kann man beispielsweise einen Strahl von Neutronen mit Hilfe eines Silizium-Kristalls auf zwei unterschiedliche Strahlen aufteilen und zeigen, dass sich die einzelnen Neutronen nicht für einen der beiden möglichen Wege entscheiden müssen, sondern in einer Quanten-Überlagerung beide Strecken gleichzeitig durchlaufen.

„Diese experimentelle Technik bezeichnet man als Neutroneninterferometrie“, sagt Prof. Yuji Hasegawa von der TU Wien. „Sie wurde hier am Atominstitut in den 1970er Jahren entwickelt und hat sich als perfektes Werkzeug zur Untersuchung der Grundlagen der Quantenmechanik erwiesen.“

Yuji Hasegawa versammelte ein großes Team - mit Tobias Denkmayr, Hermann Geppert und Stephan Sponar (TU Wien), Alexandre Matzkin vom französischen Forschungsinstitut CNRS und Prof. Jeff Tollaksen von der Chapman University in Kalifornien. Gemeinsam gelang es, eine „Quanten-Grinsekatze“ zu fangen: Das System verhält sich, als wären die Neutronen räumlich von ihrem magnetischen Moment getrennt.

Das Experiment selbst wurde an der Neutronenquelle des Institut Laue-Langevin in Grenoble durchgeführt, wo das Atominstitut eine weltweit einzigartige Messstation für Neutroneninterferometrie betreibt. In Grenoble wurde das Team zusätzlich von Hartmut Lemmel unterstützt.

Wo ist die Katze...?

Neutronen besitzen zwar keine elektrische Ladung, tragen aber ein magnetisches Moment. Sie besitzen damit eine magnetische Richtung (den Spin), die durch äußere Magnetfelder beeinflusst werden kann.

In einem Interferometer wird zunächst ein Neutronenstrahl in zwei Teile aufgespalten, dann sorgt man dafür, dass die Spins beider Teilstrahlen unterschiedliche Richtungen einnehmen: Der obere Neutronenstrahl hat einen Spin parallel zur Flugrichtung des Neutrons, die Spinrichtung des unteren Strahls ist antiparallel zur Flugrichtung. Nachdem die beiden Strahlen wieder zusammengeführt worden sind, wählt man gezielt jene Neutronen aus, deren Spin in Flugrichtung zeigt – die anderen werden einfach ignoriert. „Das bezeichnet man als Postselection“, erklärt Hermann Geppert. „Im Strahl gibt es Neutronen unterschiedlicher Spin-Richtungen, wir analysieren aber nur um einen Teil davon.“

Diese Neutronen, die im Zustand „Spin in Flugrichtung“ vorgefunden werden, müssen sich entlang des oberen Pfades bewegt haben, denn nur dort befinden sich die Neutronen in diesem Zustand. Dies lässt sich auch experimentell beweisen: Baut man im unteren Pfad einen Filter ein, der einen geringen Anteil der Neutronen verschluckt, dann bleibt die Anzahl der am Ende gemessenen „Spin in Flugrichtung-Neutronen“ gleich. Baut man den Filter oben ein, sinkt die Zahl dieser Neutronen.

… und wo ist das Grinsen?

Komplizierter wird es allerdings, wenn man zusätzlich auch untersucht, wo der Spin der Neutronen zu finden ist: Durch ein Magnetfeld wird der Spin der Neutronen leicht verändert. Wenn man die beiden Strahlen auf geeignete Weise überlagert, können sie sich dann gegenseitig verstärken oder abschwächen. Genau das lässt sich im Experiment beobachten, wenn man ein Magnetfeld am unteren Pfad anlegt, also dort, wo die Neutronen, die für das Experiment entscheidend sind, sich eigentlich gar nicht aufhalten. Ein Magnetfeld am oberen Pfad hingegen hat keine Auswirkungen.

„Eben dadurch, dass wir die Neutronen anfangs in einem speziellen Zustand präparieren und am Ende ganz bestimmte Neutronen postselektieren, erreichen wir, dass die möglichen Wege im Interferometer beide eine Bedeutung für das Experiment haben – allerdings auf ganz unterschiedliche Weise“, sagt Tobias Denkmayr. „Entlang des einen Weges koppeln die Teilchen selbst an unseren Messapparat, aber nur der andere Weg ist empfindlich gegenüber einer Kopplung des Spins. Das System verhält sich also so, als wären Teilchen räumlich von ihren Eigenschaften getrennt.“

Chance für Hochpräzisions-Messungen

Interessant ist das für Hochpräzisionsmessungen, die heute sehr oft auf dem Prinzip der Quantenüberlagerung beruhen. „Wenn ein Quantensystem eine Eigenschaft hat, die man messen will, und eine andere, die das System anfällig gegen Störungen macht, kann man mit einer Quanten-Grinsekatze beides trennen und so möglicherweise die Beeinträchtigung des Experiments durch die Störung minimieren“, hofft Stephan Sponar.

Die Idee der Quanten-Grinsekatze hatten zunächst von Jeff Tollaksen und Ykir Aharonov (Chepman University) entwickelt. Ein Vorschlag für ein Experiment war im Vorjahr publiziert worden, die nun vorgestellten Messungen sind der erste experimentelle Nachweis dieses Phänomens. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im Fachjournal „Nature Communications“.

Quelle: Technische Universität Wien (idw)

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