Schwarze Löcher: Die Quellen höchstenergetischer kosmischer Teilchen?
Archivmeldung vom 10.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEin fast hundert Jahre altes Problem ist der Lösung nahe: Das Pierre Auger-Observatorium in Argentinien entdeckt in den Ankunftsrichtungen von sehr energiereichen Teilchen aus dem Weltraum das Abbild der Verteilung von so genannten Aktiven Galaxienkernen am Himmel.
Der Weg dieser Teilchen weist aus unserer Milchstraße hinaus zu fernen Galaxien, in denen vermutlich aktive Schwarze Löcher die Quelle für die extremen Teilchenenergien sind, über die sich die Physiker und Astronomen seit Jahrzehnten wundern. Jedes dieser Schwarzen Löcher besteht aus einer äußerst kompakten Materieansammlung mit bis zu über hundert Millionen Sonnenmassen. Das Auger-Observatorium stößt damit ein neues Fenster zum Kosmos auf, die Teilchenastronomie, durch das wir ganz neuartige Einblicke gewinnen werden.
In der argentinischen Pampa Amarilla, 1000 Kilometer westlich von
Buenos Aires in der Provinz Mendoza, entsteht mit dem Pierre Auger-Observatorium
das größte Messfeld der Welt zur Untersuchung der kosmischen Strahlung. Hier
werden die energiereichsten Teilchen untersucht, die im Universum zu finden
sind. Ihre Energien sind hunderte Millionen mal höher, als sie in den größten
irdischen Teilchenbeschleunigern erzeugt werden können. Dafür sind sie extrem
selten: nur einige Dutzend solcher Ereignisse konnten seit ersten
Pionierexperimenten in den 1960er Jahren gemessen werden.
Die geringe
Intensität von weniger als einem Teilchen pro Quadratkilometer und Jahrhundert
zwang die Forscher dazu, eine riesige Fläche mit Detektoren auszustatten. Dabei
nutzen sie die Entdeckung des Namensgebers Pierre Auger aus dem Jahr 1938: Die
kosmischen Teilchen kollidieren in großer Höhe mit den Atomkernen der Luft und
erzeugen (nach Einsteins Formel E=mc2) Milliarden von neuen Teilchen, die wie
ein kurzzeitiger Schauer mit Lichtgeschwindigkeit auf den Erdboden treffen und
eine Fläche von mehreren zehn Quadratkilometern bedecken können. Das
Auger-Observatorium registriert solche kosmischen Teilchenschauer mit einem
Netzwerk von 1600 Teilchendetektoren, die im Abstand von 1,5 Kilometern in der
flachen Pampa auf 3000 Quadratkilometern aufgestellt sind (Abb. 1 und 2). Ein
besonders leistungsfähiges Instrument, das unter Federführung der deutschen
Auger-Gruppen entwickelt und gebaut wurde, sind die 24 elektronischen Teleskope,
die in klaren dunklen Nächten aus der schwachen Leuchtspur der Teilchen in der
Luft ein optisches Abbild aufzeichnen (Abb. 3). Daraus lassen sich die Energie
und Richtung der Teilchen viel genauer bestimmen als es bisher möglich war. Des
Weiteren können die Forscher Informationen darüber gewinnen, um welches
ursprüngliche Teilchen es sich gehandelt hat.
Die Himmelskarten über die Herkunftsrichtung kosmischer Teilchen waren bisher strukturlos mit den Richtungen von Teilchen niedriger Energie gefüllt, bzw. nahezu leer mangels Daten bei hohen Teilchenenergien. Gerade aber die Energie spielt eine Schlüsselrolle bei der Rückverfolgung der Teilchen, da die hochenergetischen Teilchen zumeist nur wenig von den Magnetfeldern im Kosmos abgelenkt werden. Es ist darüber hinaus bis heute nicht geklärt, wie die Teilchen die extrem hohen Energien überhaupt erreichen können. Es geht hier etwa um die Energie eines hart geschlagenen Tennisballs, die sich in einem einzigen Elementarteilchen oder Atomkern befindet!
Die etwa dreihundert am Auger-Observatorium
beteiligten Physiker und Ingenieure analysieren laufend die Daten, die das
ständig wachsende Detektorsystem seit Januar 2004 liefert (Abb. 4 und 5). Die
erste Ausbaustufe auf der Südhalbkugel in Argentinien wird in wenigen Monaten
erreicht sein, aber die Überraschung traf die Forscher schon vorher: es gibt ein
deutliches Muster in den Richtungen der Teilchen!
Die Himmelskarte der Auger-Teilchen zeigt, dass sie nicht gleichmäßig aus allen Richtungen kommen, sondern einen Zusammenhang mit mutmaßlichen Schwarzen Löchern aufweisen, die sich im Zentrum so genannter Aktiver Galaxien befinden (Abb. 6). Schwarze Löcher werden in den Zentren der meisten Galaxien vermutet, auch in unserer Milchstraße. Während sich die meisten von ihnen 'ruhig' verhalten, herrschen in etwa einem Prozent der Galaxienkerne extreme Bedingungen. Riesige Materiemengen stürzen in das zentrale Schwarze Loch, wobei ein Teil der frei werdenden Energie in einen Strahl von Gas, Teilchen und Strahlung umgesetzt wird, der sich teilweise über Millionen von Lichtjahren entlang der Rotationsachse der Galaxie ausbreitet"Wir haben einen großen Schritt gemacht, um das Rätsel der energiereichsten kosmischen Strahlung zu lösen", sagt Nobelpreisträger James Cronin aus Chicago, der das Auger-Projekt mit dem Engländer Alan Watson Anfang der neunziger Jahre maßgeblich konzipierte.
"Wir beginnen zu verstehen,
was für unglaubliche Prozesse in der Nähe Schwarzer Löcher ablaufen, und wie
sich die Teilchen durch kosmische Magnetfelder ausbreiten", freut sich Peter
Biermann vom Max Planck-Institut für Radioastronomie Bonn, der seit vielen
Jahren theoretische Untersuchungen zu dem Thema durchführt.
"Der
deutsche Beitrag zum Pierre Auger-Observatorium und zu diesem Resultat ist
enorm", stellt Johannes Blümer vom Forschungszentrum Karlsruhe und dem
Karlsruher Institut für Technologie (KIT) fest.
"Das Zusammenspiel von Helmholtz-Gemeinschaft und Universitäten funktioniert optimal und wir haben in Aachen, Karlsruhe, Siegen und Wuppertal sehr erfolgreich zusammengearbeitet, insbesondere bei der Entwicklung und dem Aufbau der Teleskopsysteme", führt Karl-Heinz Kampert von der Universität Wuppertal aus. Blümer ergänzt: "Das Observatorium in Mendoza zu bauen ist eine phantastische internationale Leistung. Die heute veröffentlichten Resultate bedeuten, dass wir auf dem richtigen Weg sind und den gesamten Himmel sozusagen im Lichte der energiereichsten Teilchen beobachten müssen ..."
Die beteiligten Wissenschaftler beschäftigen sich daher bereits mit den Planungen eines noch größeren Observatoriums auf der Nordhalbkugel. Als Standort hierfür ist Colorado in den USA vorgesehen. Das Auger-Ergebnis ist auch für andere Großprojekte der Astroteilchenphysik wichtig. Christian Spiering vom DESY weist darauf hin: "Das Auger-Ergebnis bedeutet auch, dass Aktive Galaxien energiereiche Neutrinos entsenden, die wir vermutlich schon in ein paar Jahren mit dem IceCube-Detektor im Eis der Antarktis beobachten können". Alle Interpretationen weisen für zukünftige Experimente und Analysen in Richtung auf eine umfassende Sichtweise, die alle Informationen aus Licht, Gammastrahlen, Teilchen und Neutrinos zu einem Gesamtbild zusammensetzt.
In Deutschland sind das Forschungszentrum Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft und Partner im KIT, die Universitäten Aachen, Karlsruhe, Siegen und Wuppertal sowie das Max Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn am Pierre Auger-Experiment beteiligt. Die finanzielle Förderung des Projektes erfolgt durch die Helmholtz-Gemeinschaft, die Verbundforschung des Bundesministeriums (Förderschwerpunkt Erdgebundene Astrophysik und Astroteilchenphysik), die Deutsche Forschungsgemeinschaft, sowie durch die Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.
Das
Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist der Zusammenschluss zwischen der
Universität Karlsruhe und dem Forschungszentrum Karlsruhe. Gemeinsam arbeiten
hier 8000 Beschäftigte mit einem jährlichen Budget von 600 Millionen Euro. Im
KIT bündeln beide Partner ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten und Kapazitäten,
richten die dafür optimalen Forschungsstrukturen ein und entwickeln gemeinsame
Strategien und Visionen.
Mit KIT entsteht eine Institution international
herausragender Forschung und Lehre in den Natur- und Ingenieurwissenschaften.
KIT soll Attraktionspunkt für die besten Köpfe aus der ganzen Welt werden, neue
Maßstäbe in Lehre und Nachwuchsförderung setzen und das führende europäische
Zentrum in der Energieforschung bilden. Im Bereich der Nanowissenschaften will
KIT eine weltweit führende Rolle einnehmen. Ziel von KIT ist es, einer der
wichtigsten Kooperationspartner für die Wirtschaft zu sein.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.