Selbstlose Primaten
Archivmeldung vom 30.06.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.06.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Affen sind egoistisch", so lauteten die Ergebnisse von Versuchsanordnungen der vergangenen Jahre. Die entsprechenden Veröffentlichungen in Science und Nature im Jahr 2006 stützten die Annahme, dass altruistisches Verhalten nur dem Menschen zu Eigen ist. Die Max-Planck-Forscher vom Institut für evolutionäre Anthropologie haben diesen Trugschluss jetzt widerlegt und räumen mit dem altruistischen Alleinanspruch des Menschen auf.
In drei Versuchen mit Schimpansen und Kleinkindern konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Affen wie auch Menschenkinder ihnen unbekannten Artgenossen ohne Eigennutz helfen. Beide nahmen dabei sogar große Mühen auf sich und - anders als in vorangegangenen Experimenten der Max-Planck-Forscher - verzichteten die Schimpansen sogar auf eine Belohnung und schanzten einem Artgenossen tatsächlich uneigennützig Futter zu. Die Ergebnisse des Forscherteams um Felix Warneken zeigen, dass Kleinkinder wie auch Schimpansen wirklich altruistisch handeln und beweisen damit, dass die Eigenschaft zum selbstlosen Handeln viel früher in der Menschheitsgeschichte angelegt worden ist als bisher angenommen wurde und nicht durch Sozialisation entwickelt wird (PLoS, 26. Juni 2007).
Was macht einen Schimpansen zum Helfer? Bisher galt eine sehr einfache Antwort: der unmittelbare eigene Nutzen. Ähnlich wie beim Menschen, soll der Affe eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen. Dieses Bild vom egoistischen Primaten konnten jetzt jedoch Felix Warneken und seine Kollegen vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig entkräften: "Wir wollten herausfinden, ob Schimpansen und Kleinkinder helfen, um dafür eine sofortige Belohnung zu erhalten, oder ob sie helfen, weil die andere Person ein Problem hat", sagt Projektleiter Warneken. Das Forscherteam konzipierte drei Aufgaben für die 36 Schimpansen aus dem Ngamba Schutzgebiet in Uganda und führte diese gleichzeitig mit einer Gruppe von 36 Kleinkindern durch. "Sowohl Kinder als auch Schimpansen halfen, unabhängig davon, ob ihnen daraus ein Vorteil erwuchs oder nicht", erläutert Warneken die Ergebnisse.
Bisherige Studien zeigten lediglich, dass Schimpansen in passiven Versuchanordnungen eher dazu neigen, sich mehr Futter zu gönnen als anderen. Dabei saßen die Affen zum Beispiel auf Stühlen und konnten per Knopfdruck entweder sich und einem Partner oder nur sich selbst Futter besorgen. In diesen Versuchen tendierten die Affen eher dazu, nur sich selbst zu belohnen. "Durch den Futterreiz wurde die Hilfsbereitschaft überdeckt und die Ergebnisse verzerrt", erklärt der Verhaltensforscher. Altruistisches Verhalten sei vor allem von der Problemsituation abhängig, die der Helfer auch erkennt und in die er aktiv eingebunden sein müsse. "Wir haben untersucht, ob sowohl Schimpansen, die in der Wildnis groß geworden sind, als auch Kleinkinder ihnen völlig fremden Menschen helfen, die sie nie belohnten", beschreibt Warneken den experimentellen Ansatz.
In der ersten Aufgabe sah der Schimpanse zu, wie eine unbekannte Person sich vergeblich bemüht, nach einem Stock zu greifen. Der Stock war außerhalb der Reichweite des Menschen, befand sich aber in Reichweite des Schimpansen. Nach seinen verzweifelten Versuchen nahm der Mensch Blickkontakt mit den Affen auf. 12 von 18 Schimpansen hoben den Stock daraufhin auf und reichten ihn weiter, obwohl sie keine Belohnung dafür erhielten. Auch 16 von 18 Kindern halfen selbstlos der Person, indem sie ihr den Gegenstand gaben. Wichtig war aber offenbar der Faktor Hilflosigkeit. "Wenn der Gegenstand außer Reichweite war, die betroffene Person aber gar nicht versuchte, ihn aufzuheben, so boten Schimpansen und Kinder dem Gegenüber den Gegenstand auch nicht an", sagt Warneken. Offensichtlich helfen sowohl Affen als auch Kleinkinder nur in Problemsituationen. Für beide gilt: Sie sind in der Lage zu erkennen, wann jemand Hilfe benötigt, und helfen dann ohne unmittelbaren Eigennutz - in der vorliegenden Studie bis zu zehnmal hintereinander. Verblüffend war auch, dass eine Belohnung die Helfer-Rate nicht weiter erhöhte.
In der zweiten Versuchsanordnung steigerten die Forscher den Schwierigkeitsgrad. Sie wollten herausfinden, wie viel Mühe Schimpansen und Kleinkinder auf sich nehmen, um zu helfen. Die Schimpansen mussten dazu eine zweieinhalb Meter hohe Rampe hinaufklettern, um den Stock reichen zu können, die Kinder einen Hindernisparcours durchlaufen. Trotz der großen Anstrengungen halfen mehr als die Hälfte der Schimpansen und Kinder gleichermaßen, ohne dafür belohnt zu werden.
"Allerdings müssen wir berücksichtigen, dass die Affen und Kinder möglicherweise bereits in der Vergangenheit für ähnliches Verhalten von einem Menschen belohnt wurden", schränkt Warneken die Aussagekraft dieser Versuche ein. "Denn die Schimpansen halfen in diesem Fall Menschen, aber nicht Artgenossen." Die Forscher lösten sich daher vom Faktor Mensch und untersuchten, ob die Affen auch nicht verwandten Artgenossen zur Hand gehen. Der Versuchsaufbau sah dabei wie folgt aus: Futter wurde hinter einer Tür platziert, die versperrt war. Ein Affe stand vor der Tür, konnte sie aber nicht öffnen. Der potenzielle Helfer war in einem anderen Käfig ohne Zugang zum Futter, konnte aber dem Artgenossen die Tür zum Futter öffnen.
Die Ergebnisse erstaunten die Forscher: Knapp 80 Prozent der potenziellen Helfer öffneten ihren Artgenossen die Tür und verschafften ihnen damit Zugang zum Futter, obwohl sie selbst leer ausgingen. "Wir konnten nicht einmal beobachten, dass die Helfer den Begünstigten um Futter anbettelten oder ihn einschüchterten", sagt Warneken. "Dieses selbstlose Verhalten ist auch deshalb erstaunlich, weil sich die Schimpansen niemals zuvor in dieser Situation befunden haben. Und das zeigt, dass sie auch neuartige Problemsituationen flexibel erkennen und entsprechend neue Formen der Hilfe entwickeln können."
Die Studie liefert somit den Beweis, dass unsere nahen Verwandten auch altruistisch handeln und bereits Kleinkinder dies tun. "Hilfsbereitschaft hat ihren Ursprung also nicht allein in Kultur und Erziehung. Wir sollten uns von der Idee verabschieden, dass wir als Egoisten auf die Welt kommen und allein durch Kultur und Erziehung zu hilfsbereiten Wesen heranwachsen", sagt Warneken.
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.