Handschlag der Moleküle
Archivmeldung vom 21.04.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittLeben ist Teamarbeit im großen Stil: Im menschlichen Körper werkeln tausendmal mehr Moleküle Hand in Hand als Sterne im Weltall leuchten. Wie Moleküle ihre Kooperationspartner erkennen, hat nun ein internationales Wissenschaftlerteam um Forscher vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung beobachtet.
Sie verfolgten mit einem Rastertunnelmikroskop, wie sich zwei chirale Dipeptid-Moleküle zu einem Dimer zusammenschlossen. Solche Moleküle liegen wie die allermeisten Moleküle in unserem Körper in zwei spiegelbildlichen Formen vor, die sich wie die rechte und linke Hand nicht zur Deckung bringen lassen. Damit die Dipeptide stabile Paare formen und Biomoleküle die Lebensprozesse aufrecht erhalten können, müssen sich die Moleküle mit passenden Formen erkennen. Wie die Forscher nun herausgefunden haben, verändern sie sich dabei leicht - wie zwei Hände, die sich umeinander schließen. Nach dem Prinzip dieses molekularen Handschlags entstehen darüber hinaus komplexe Materialstrukturen. Die neuen Erkenntnisse helfen auch zu verstehen, wie sie sich im Detail bilden. (Angewandte Chemie, 20. April 2007)
Bild: Rastertunnelmikroskopie-Aufnahme von einzelnen L- und D-Diphenylalanin-Molekülen, die auf einer Kupfer-Oberfläche adsorbiert sind. Wie die Moleküle ihre Konformation ändern, während sie sich aneinander lagern, haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Bildsequenzen angeschaut.
1027 Moleküle mit nahezu Hunderttausend unterschiedlichen Formen
machen unseren Körper zu dem, was er ist. Jedes Molekül trägt eine strukturelle
Information, welche die Wechselwirkung mit anderen Molekülen bestimmt und somit
die Funktionen des Körpers aufrecht halten lässt. Sie vermitteln den Befehl,
dass unsere Muskeln kontrahieren. Sie sorgen dafür, dass wir unsere Nahrung
effizient verwerten. Und sie lassen Gedanken entstehen. Das internationale
Forscherteam, in dem Wissenschaftler aus dem Stuttgarter Max-Planck-Institut vom
Fraunhofer Institut für Werkstoffmechanik in Freiburg und dem King’s College in
London zusammenarbeiteten, hat nun untersucht, auf welche Weise sich Moleküle
erkennen und wie die im Molekül gespeicherte Information zum Aufbau von
komplexen Strukturen verwendet wird.
Die Wissenschaftler vom
Max-Planck-Institut für Festkörperforschung haben mit einem
Rastertunnelmikroskop im Detail verfolgt, wie zwei Diphenylalanin-Moleküle
miteinander wechselwirken, während sie sich aneinanderlagern. Den Prozess
hielten die Forscher in Bildsequenzen fest. Aus diesen geht hervor, dass sich
nur Moleküle gleicher Chiralität bereitwillig zu Paaren und Ketten
zusammenschließen.
Der Begriff der Chiralität leitet sich vom
griechischen Wort für Hand ab und beschreibt Moleküle, die wie die linke und
rechte Hände in zwei Formen existieren: der rechtshändigen (D-) und der
linkshändigen (L-) Form. Sie lassen sich räumlich nicht zur Deckung bringen - im
Bild der Hand gesprochen liegen entweder die Handflächen beziehungsweise -rücken
aufeinander oder die Daumen zeigen in entgegengesetzte Richtungen. Und nur zwei
rechte (oder zwei linke) Hände greifen beim Handschlag passgenau ineinander.
Genauso formen auch nur zwei Moleküle derselben chiralen Form eine stabile
Struktur.
Wenn Moleküle der rechtshändigen oder linkshändigen Form
zueinander finden, sprechen Chemiker von chiraler Erkennung. Sie ist für alle
Prozesse in unserem Körper von großer Bedeutung. Denn ein wesentlicher Teil der
Information, die etwa Eiweiße bei biochemischen Prozessen austauschen, steckt in
der Chiralität, also der exakten räumlichen Anordnung der Molekülbausteine: Ein
chirales Molekül kann andere Moleküle mit derselben Chiralität entsprechend den
möglichen Kombinationen D/D bzw. L/L erkennen, wohingegen die Kombinationen L/D
oder D/L ausgeschlossen sind.
Wie beim Händeschütteln reicht es aber
nicht, dass die Moleküle in der komplementären Gestalt zweier rechter oder
linker Hände vorliegen. Denn auch Hände greifen nur dann vollständig ineinander,
wenn sie sich umeinander schließen. Die Wissenschaftler konnten jetzt erstmals
nachweisen, dass sich auch die Formen der beiden Dipeptide bei ihrem molekularen
Händedruck dynamisch aneinander anpassen. Dabei induzieren die Moleküle
wechselseitig eine Änderung ihrer Konformation. Zu diesem Ergebnis gelangte das
Wissenschaftler-Team nicht nur, indem sie den Prozess rastertunnelmikroskopisch
untersuchten, sondern auch weil Theoretiker am King’s College in London und am
Fraunhofer Institut für Werkstoffmechanik in Freiburg ihn rechnerisch
modellierten.
Der Mechanismus chiraler Molekülerkennung, den die Forscher
an den Dipeptid-Molekülen beobachteten, trägt wesentlich dazu bei, die
Basisschritte der Evolution genauer zu verstehen. Zugleich helfen die
Erkenntnisse künstliche, komplexe Materialien mit spezifischen Funktionen zu
entwickeln.
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.