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Auge um Auge, Zahn um Zahn

Archivmeldung vom 26.10.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.10.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Demonstration der albanischen Nichtregierungsorganisation Mjaft! gegen die Blutrache. Auf dem Transparent steht Genug der Blutrache
Demonstration der albanischen Nichtregierungsorganisation Mjaft! gegen die Blutrache. Auf dem Transparent steht Genug der Blutrache

Foto: Terfili
Lizenz: GFDL
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Alles begann mit einem harmlosen Fußballspiel unter jungen Männern im Nordwesten Albaniens. Nachdem einer der Spieler in einer anschließenden Rangelei verletzt worden war, erschossen seine Angehörigen einen Verwandten des vermeintlichen Angreifers. Nun trauen sich die männlichen Familienmitglieder der Bluträcher seit Jahren nicht mehr aus dem Haus.

Solche Fehden und Blutrachen kommen in vielen Gesellschaften vor und erstrecken sich manchmal über Jahrzehnte. Der Schaden für die Beteiligten ist enorm, ohne offensichtlichen Nutzen, denn oft wissen die Beteiligten gar nicht mehr, was den Streit ausgelöst hat. Auch theoretische Berechnungen zeigen, dass Fehden aus einem evolutionären Gesichtspunkt zu kostspielig für die Beteiligten sind und sich deshalb nicht entwickeln sollten. Manfred Milinski und seine Kollegen von Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön und der Universität Göttingen haben nun erstmals die Entstehung von Fehden untersucht und dabei herausgefunden, dass Fehden innerhalb einer Gruppe von Akteuren langfristig bestehen bleiben können.

Bestrafung von Fehlverhalten ist aus evolutionärer Sicht kostspielig. Für den, der bestraft wird, aber auch für den Bestrafenden, denn er muss dafür Ressourcen einsetzen. Trotzdem ist Bestrafung im Tierreich und beim Menschen weit verbreitet, denn sie fördert das kooperative Verhalten der Mitglieder einer Gesellschaft. Kooperation auf diese Weise zu erzwingen, birgt allerdings eine Gefahr – nämlich, dass der Bestrafte zurückschlägt, wenn er die Strafe nicht akzeptiert. So kann aus einer einzelnen Strafaktion eine Serie von Racheakten entstehen, die den beteiligten Akteuren und auch der Gesellschaft im Ganzen schaden. Eine Konfliktlösung und kooperatives Verhalten wird dadurch unmöglich.

Theoretische Studien haben ergeben, dass Fehden in Zweier-Beziehungen keinen Bestand haben: Sie treten bei Konflikten zwischen zwei Personen nicht auf, denn die sinnvollste Antwort auf unkooperatives Verhalten ist, sich selbst auch unkooperativ zu verhalten und nicht, den anderen zu bestrafen. Die laut Theorie beste Reaktion auf Bestrafung ist demzufolge, sich ebenfalls unkooperativ zu verhalten.

Fehden sollten also – wenn überhaupt – nur bei Konflikten innerhalb von Gruppen aus drei oder mehr Individuen entstehen. Manfred Milinski und seine Kollegen haben deshalb das Verhalten von Probandengruppen in Gemeinwohlspielen getestet. Dabei mussten aus vier Spielern Spieler entscheiden, welchen Betrag ihres anfänglichen Spielvermögens sie in einen gemeinsamen Topf, der allen zugutekommt, einbezahlen wollen. In aufeinanderfolgenden Runden konnten sie kooperationsunwillige Mitspieler – aber auch andere – bestrafen und auch selbst bestraft werden. Unter diesen Bedingungen bestrafen die Spieler einander, wenn sie zu wenig oder kein Geld in den Gemeinschaftstopf einbezahlen. „Aus solchen Bestrafungen von Fehlverhalten haben sich regelmäßig Fehden entwickelt, insbesondere dann, wenn die ursprüngliche Strafe ungerecht oder zu hoch ausfiel. Trotzdem gelang es den Spielern, mit dem Mittel der Bestrafung die Kooperationswilligkeit zu steigern. Einige der Teilnehmer schienen die Gefahr möglicher Fehden sogar zu erahnen und zögerten ihre Bestrafung so weit wie möglich hinaus“, erzählt Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut in Plön.

Im sogenannten Gefangenendilemma beobachteten die Forscher dagegen kaum Bestrafungen und noch weniger Fehden. In diesem verhaltensbiologischen Experiment konnten zwei Spieler entscheiden, ob sie einen Teil ihres Spielvermögens in den gemeinsamen Topf einbezahlen. Von diesem Topf profitieren dann beide, allerdings nicht so stark, wie wenn sie nicht einbezahlen und nur vom Beitrag des anderen profitieren. „Es hängt folglich vom sozialen Umfeld ab, ob sich Bestrafungen lohnen und Fehden entstehen können“, sagt Katrin Fehl von der Universität Göttingen. „In Konflikten zwischen zwei Individuen sind die Kosten dafür zu hoch. Obwohl Fehden erhebliche Nachteile mit sich bringen, können sie in größeren Gruppen, Gerechtigkeit zwischen zwei Parteien herstellen. Dabei wird meist eine hohe Strafe mit einer hohen Gegenstrafe gerächt“, fügt Manred Milinski hinzu, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie.

Fehden haben möglicherweise eine gesellschaftliche Funktion. Sie regeln die Bewältigung von Konflikten und können vor ungerechter oder zu hoher Bestrafung schützen. Auch im Tierreich können Fehden auftreten. So rächen sich Japanmakaken nicht direkt an einem Individuum, von dem sie bestraft wurden, sondern an einem seiner Verwandten. So verringern sie die Gefahr erneuter Racheaktionen.

Fehden entstehen vor allem in Gebieten, in denen übergeordnete Instanzen nicht für ausreichend Schutz sorgen können, beispielsweise in Regionen, in denen es keine funktionierenden Polizei- und Justizbehörden gibt. So waren im kommunistischen Albanien nach dem Zweiten Weltkrieg Fehden und Blutrache beinahe verschwunden. Erst nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur 1990 verstrickten sich die Menschen wieder vermehrt in solche Auseinandersetzungen, da staatliche Institutionen zu schwach waren, um Konflikte zu lösen.

Eine funktionierende institutionelle Bestrafung könnte demnach die Gefahr von Fehden reduzieren. Polizei und Justiz fördern zudem kooperatives Verhalten innerhalb einer Gesellschaft. Darüber lassen sich Fehden möglicherweise verhindern, wenn die Sozialpartner regelmäßig wechseln. Dann neigen Individuen dazu, den Partner, der sich vorher ungerecht Verhalten hat, zu bestrafen, indem sie sich einen neuen Partner suchen. Städtische Gesellschaften oder solche mit hoher Mobilität sind daher vermutlich ebenfalls weniger anfällig für Fehden. Dies zeigt auch das Beispiel Albanien, wo das Prinzip der Blutrache vor allem im armen, ländlichen Norden des Landes praktiziert wird.

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (idw)

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