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Schuld war nur der Bossa Nova: Wie Musik unsere Wahrnehmung von Berührung verändert

Archivmeldung vom 05.09.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.09.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bild: Judith Lisser-Meister / pixelio.de
Bild: Judith Lisser-Meister / pixelio.de

Musik berührt. Was bisher eher im übertragenen Sinne gemeint war, kann für bestimmte Musikstücke offenbar auch wörtlich genommen werden: Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig haben herausgefunden, dass wir eine Berührung anders wahrnehmen, je nachdem welche Musik in dem Moment gespielt wird. Je betörender wir die Musik empfinden, desto sinnlicher nehmen wir auch die Berührung war – selbst wenn wir wissen, dass wir statt von einem Menschen von einem Roboter berührt werden.

Egal, ob in Lima, Liverpool oder Leipzig, Musik ist in jeder Kultur der Erde verbreitet. Wird sie dabei wohlwollend eingesetzt, kann sie ein positives Gruppengefühl erzeugen und Menschen dabei helfen, in größeren Gruppen zusammenzuleben als andere Primaten. Wie ihr das genau gelingt, ist bisher jedoch nicht vollständig geklärt.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig könnten nun einen wichtigen Teil der Erklärung gefunden haben: Musik beeinflusst unsere Wahrnehmung von Berührungen. „Wir haben beobachtet, dass wir Berührungen umso verführerischer erleben, je betörender wir die Musik empfinden, die wir dabei hören“, erklärt Studienleiter Tom Fritz.

Zu dieser Erkenntnis gelangten die Neurowissenschaftler mithilfe von inkognito-Berührungen. Dabei ließen sie Studienteilnehmer ihren Unterarm durch einen Vorhang strecken und dahinter mit einer genau kontrollierten Bewegung durch einen Pinsel-roboter streicheln. Gleichzeitig hörten die Teilnehmer verschiedene Musikstücke, die sie hinterher selbst auf einer Skala zwischen „überhaupt nicht sexy“ bis „extrem sexy“ eingeordnet hatten.

Das Interessante dabei: Selbst als die Probanden vor dem Experiment erfuhren, dass sie nicht von einem echten Menschen, sondern von einem Roboter gestreichelt werden, beeinflusste die Musik, wie sexy die Berührung wahrgenommen wurde. Dieser Roboter, ein automatisch gesteuerter Pinsel, sollte zum einen die Berührung in ihrer Länge und Intensität kontrollieren. Gleichzeitig konnte dessen Einsatz auch zeigen, dass die beobachteten sogenannten Transfereffekte von Musik auf Berührung auf sehr basalen Mechanismen beruhen müssen – und nicht etwa auf der Vorstellung von einer Person eines bestimmten Geschlechts und Attraktivitätslevels, die der gleichen verführerischen Musik lauscht, berührt zu werden.

„Musik scheint unsere Wahrnehmung von mechanischen Berührungsreizen zu verändern. Bestimmte Merkmale der Musik scheinen sich also auf den Berührungsreiz zu übertragen“, so Fritz. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass der emotionale Ausdruck einzelner musikalischer Klänge der gleichen Dynamik folgt wie der einer Berührung. Eine trauriger Klang wird somit in Bezug auf ihren Rhythmus ähnlich verarbeitet wie eine traurige Berührung, ein aggressiver entsprechend wie eine aggressive Berührung. Dementsprechend greifen wir zur genaueren Verarbeitung von Musik auf Bereiche im Gehirn zu, die sowohl für Berührung als auch Bewegung zuständig sind.

Solche Transfereffekte, bei denen sich Sinneswahrnehmungen verändern, je nachdem welcher Musik wir gerade lauschen, wurden auch bereits für andere Bereiche festgestellt. So entscheiden wir uns etwa für sattere, leuchtendere Farben, je lauter die Musik ist, der wir gerade ausgesetzt sind.

„Unsere Ergebnisse verdeutlichen auch, welche evolutionäre Bedeutung Musik als soziale Technologie hat“, erklärt der Neurowissenschaftler. Indem sie je nach Musikstück unsere Interpretation von Berührung und anderen Sinneseindrücken beeinflusst, lenkt sie auch unser Verhalten in Gruppen und damit letztlich sogar potenziell unsere sexuelle Selektion und unsere Fortpflanzung. Die Erkenntnisse widersprechen damit der Hypothese des bekannten Kognitionswissenschaftler Steven Pinker, nach der Musik nur ein „auditory cheesecake“ sei, also ein angenehmes Dessert, das aber aus evolutionärer Sicht von geringer Bedeutung und nicht mehr als ein Nebenprodukt von Sprache sei.

Quelle: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (idw)

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