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Auf dem Gipfel der Evolution – Flechten bei der Artbildung zugeschaut

Archivmeldung vom 27.04.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.04.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Pustel-Nabelflechte Lasallia pustulata auf Gestein
Quelle: Copyright: Imke Schmitt (idw)
Pustel-Nabelflechte Lasallia pustulata auf Gestein Quelle: Copyright: Imke Schmitt (idw)

Die europäische Flechtenart Lasallia pustulata erlaubt neue Einblicke in den Prozess der Artbildung als Reaktion auf Umweltbedingungen. Die unscheinbaren Überlebenskünstler aus Tal- und Gipfelregionen eines sardischen Bergmassivs sehen äußerlich alle gleich aus. Genom-Analysen haben aber ergeben, dass Hoch- und Tieflandpopulationen sich genetisch stark unterscheiden und auf dem Wege sind, sich in zwei Arten aufzuspalten, berichtet ein Senckenberg-Team in „BMC Evolutionary Ecology“. Mit einem detaillierten Einblick in diesen Mechanismus wollen die Forscher Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich Tiere und Pflanzen an Umwelt- und Klimaveränderungen anpassen.

Lebensgemeinschaft aus Alge (obere grüne Schicht) und Pilz  - die Flechte Lasallia Pustulata
Quelle: Copyright: Francesco Dal Grande (idw)
Lebensgemeinschaft aus Alge (obere grüne Schicht) und Pilz - die Flechte Lasallia Pustulata Quelle: Copyright: Francesco Dal Grande (idw)

Hände hoch, wer bei der Geburt einer neuen Art dabei sein will. Normalerweise kein einfaches Unterfangen, denn Evolution ist ein Langzeitprojekt. Bis aus einer Art zwei neue eigenständige Arten werden, dauert es oftmals Tausende, wenn nicht gar Millionen Jahre. So auch bei der Pustel-Nabelflechte Lasallia pustulata, die sich als eine der größten Flechten auf sonnenexponiertem Gestein quer durch Europa breitmacht. An einem Standort im Mittelmeer sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums jetzt auf Populationen gestoßen, bei denen sich Artbildung in Folge der Anpassung an Umweltbedingungen gerade ‚live‘ erleben lässt.

Francesco Dal Grande, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum dazu: „Die genetischen Unterschiede zwischen den Populationen der Flechtenart am Fuß und am Gipfel des Limbara Massivs auf Sardinien sind erstaunlich groß und ziehen sich durch das gesamte Genom. Außerdem sind die Gipfelpopulationen physiologisch besser an mehr Regen und weniger starke Lichteinstrahlung angepasst. Wir glauben daher, dass diese Flechtenart gerade im Begriff ist, sich in zwei Arten aufzuspalten.“

Die genetisch verschiedenen Berg- und Talpopulationen haben sich mit den jeweiligen Klimabedingungen ihres Standorts arrangiert. Im Tiefland herrscht mediterranes Klima mit heißen, trockenen Sommern und milden, feuchten Wintern. Oben am Gipfel herrscht gemäßigtes Klima. Die Gipfelflechten müssen sich gegen winterlichen Frost wappnen und ganzjährig größere Niederschlagsmengen vertragen. Die Anpassung an diese unterschiedlichen Bedingungen wird durch Veränderungen in mehreren hundert Genen möglich – zum Beispiel Gene, die für Frostschutz und Hitzeresistenz von Zellen benötigt werden.

Die Artbildung geschieht entlang eines Höhen- und damit Klimagradienten. Zwischen der Tal- und der Gipfelgruppe liegen rund 1100 Höhenmeter. Das ist ein klimatischer Unterschied, den die meisten Pflanzenarten nicht ertragen könnten und daher nur unten oder nur oben vorkommen. „An diesem Standort korrelieren viele genetische Unterschiede zwischen den Populationen der Flechtenart mit der Höhenlage. Deshalb gehen wir davon aus, dass Umweltfaktoren Motor dieser evolutionären Entwicklung sind“, so Prof. Dr. Imke Schmitt, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.

Bergmassive sind besonders geeignet, um zu erforschen, wie sich Klimaveränderungen im Erbgut der Organismen niederschlagen. Auf begrenztem Raum befinden sich – klimabedingt – ökologisch sehr unterschiedliche Lebensräume, an die sich Lebewesen anpassen müssen. Manchmal sind solche Anpassungen äußerlich nicht sichtbar. Erst der Vergleich der Genome zeigt, was in Reaktion auf Umwelteinflüsse alles passieren kann. „Wir haben viele Kandidatengene identifiziert, deren Funktion wir noch nicht genau kennen, die aber mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Umweltanpassung eine Rolle spielen. Wenn wir die Variabilität und die Funktion dieser Gene verstehen, können wir besser abschätzen, welche genetischen Möglichkeiten ein Organismus überhaupt hat, sich an den Klimawandel anzupassen“, resümiert Dal Grande.

Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen (idw)

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