Planeten im Gleichtakt
Archivmeldung vom 13.06.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.06.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUnter den mehr als 180 Planeten um sonnenähnliche Sterne, die Wissenschaftler bisher außerhalb unseres Sonnensystems entdeckt haben, sind 18 echte Planetensysteme. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ein sonnenähnlicher Mutterstern von mindestens zwei Planeten umkreist wird. Unter diesen Mehrfachsystemen gibt es nun solche, bei denen die Umlaufperioden zweier Planeten um ihren Mutterstern genau im Verhältnis zweier ganzer Zahlen stehen.
Die Umlaufbahnen sind unter diesen Bedingungen besonders stabil. Bei vier
Systemen ist die Umlaufzeit des äußeren Planeten exakt zweimal so lang wie die
des inneren, man spricht von einer 2:1-Resonanz. Dazu gehört auch das neu
entdeckte Planetensystem HD 128311. Unter der Leitung von Prof. Wilhelm Kley
erforschen Wissenschaftler des Instituts für Astronomie und Astrophysik der
Universität Tübingen die Entstehung und Dynamik dieses Planetensystems. Die
Ergebnisse wurden zusammen mit dem ungarischen Gastwissenschaftler Zsolt Sandor
erarbeitet und sind in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics
veröffentlicht worden (Sandor, Z. & Kley, W.: "On the evolution of the
resonant planetary system HD128311" (2006), Astron. & Astrophys., 451,
L31).
In unserem Sonnensystem kommt eine echte Resonanzbedingung zwischen
zwei Planeten nur bei Neptun und Jupiter vor, die in einer 3:2-Resonanz
verbunden sind, wobei sich Pluto zu bestimmten Zeiten innerhalb der Neptunbahn
bewegt. Resonante Konfigurationen von Planetensystemen sind deswegen so
interessant, weil sie durch einen Wanderungsprozess (Migration) der Planeten im
System, bei dem sich deren Abstände vom Stern ändern, verursacht werden müssen.
Ihre Bahnen im System haben danach eine spezielle Orientierung, denn das System
wäre instabil, wenn sich die Planeten zu nahe kommen würden. Die Migration
geschieht bei den extrasolaren Planeten wahrscheinlich durch die Wechselwirkung
des jungen Planeten mit der so genannten protoplanetaren Scheibe, aus der er
entstanden ist. Die protoplanetare Scheibe, die aus Gas und Staub besteht,
umgibt bereits den jungen Mutterstern. Diese Staubteilchen können aneinander
stoßen, haften bleiben und zu größeren Brocken anwachsen, aus denen die Planeten
entstehen.
Bei dem zuerst entdeckten und bekanntesten extrasolaren System
dieser Art, GJ 876, umkreisen zwei Planeten den Stern genau in einer 2:1
Resonanz, wobei die Umlaufzeiten etwa 30 und 60 Tage betragen. Aus
Stabilitätsgründen sind die sternnächsten Positionen der Bahnen, die Periapsen,
bei GJ 876 immer exakt ausgerichtet. Verbindet man in den Planetenbahnen jeweils
den sternnächsten und den sternfernsten Punkt mit einer Linie, der so genannten
Apsidenlinie, so stellt man fest, dass beide Linien immer in die gleiche
Richtung zeigen (Apsiden-Resonanz). Mögliche Entstehungsszenarien für solche
Systeme wurden in den letzten Jahren intensiv in Tübingen in der Arbeitsgruppe
von Prof. Wilhelm Kley untersucht. Er hat sich nun in einem gemeinsamen Projekt
mit dem ungarischen Gastwissenschaftler Zsolt Sandor auf das System HD 128311
konzentriert, bei dem sich die Planeten ebenso in einer 2:1 Resonanz befinden.
Im Gegensatz zu GJ 876 zeigen die Apsidenlinien der Planeten im System HD 128311
jedoch nicht immer in die gleiche Richtung. Berechnungen der Forscher hatten
ergeben, dass es bei den Planeten nach einer Wanderung in der protoplanetaren
Scheibe und der Entstehung einer Resonanz theoretisch immer auch zu einer
Apsiden-Resonanz kommen müsste. Was konnte im System HD 128311 passiert
sein?
Die Wissenschaftler haben drei verschiedene Szenarien untersucht,
die zu einer Brechung der Apsiden-Resonanz geführt haben könnten: Erstens ein
plötzlicher Stopp der Wanderung des Planeten in der protoplanetaren Scheibe, zum
Beispiel verursacht durch eine innere Lücke in der Scheibe, zweitens die
Wechselwirkung des Planeten mit einem inneren Planeten kleiner Masse oder
drittens mit einem kleinen äußeren Planeten. Die Rechnungen ergaben, dass solche
Störungen in manchen Fällen tatsächlich ausreichen, um die Resonanz zu brechen,
aber nicht in allen. Auf jeden Fall ist es möglich, die Exzentrizitäten der
beiden Planeten so zu verändern, dass diese den Beobachtungen am Planetensystem
HD 128311 sehr ähnlich sehen. Die Rechnungen zeigen, dass plötzliche,
impulsartigen Vorgänge (Streuprozesse) für die Erzeugung der Vielfalt der
beobachteten extrasolaren Planeten eine große Bedeutung haben.
Nähere
Informationen:
Im Internet: www.tat.physik.uni-tuebingen.de/~kley/
Frühere Veröffentlichung zur
Entstehung von resonanten Planetensystemen: Kley, W., Lee, M.H., Murray, N.
& Peale, S.: "Modeling the resonant planetary system GJ 876, (2005), Astron.
& Astrophys., 437, 727-742
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.