Wie sich körperlicher und psychosozialer Stress unterscheiden
Archivmeldung vom 05.03.2020
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.03.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtZellfreie DNA könnte ein Marker sein, mit dem sich körperlicher und psychosozialer Stress unterscheiden lassen. Diese Theorie verfolgt das Team vom Lehrstuhl für Genetische Psychologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Dr. Dirk Moser und Prof. Dr. Robert Kumsta verglichen die körperlichen Reaktionen von Probanden nach einem Sport-Belastungstest und einem fiktiven Jobinterview. Beides ließ die Stresshormonlevel gleichermaßen ansteigen, es fand sich jedoch zellfreie DNA unterschiedlicher Herkunft in der Blutbahn.
Kumsta und Moser interessieren sich dafür, wie unterschiedliche Arten von Stress auf den Körper wirken und warum Stress manchmal positiv und manchmal negativ empfunden wird. Im Wissenschaftsmagazin Rubin der RUB berichten die Forscher von ihrer Arbeit.
Kein Unterschied im Stresshormonanstieg
20 Sportstudenten nahmen an der Studie teil. Sie mussten zum einen bis zur Belastungsgrenze auf einem Laufband laufen. Zum anderen absolvierten sie den etablierten Trier Social Stress Test, bei dem vor einem nüchtern agierenden Gremium und vor laufender Kamera ein fiktives Jobinterview abgehalten wird.
Obwohl die Probanden bis zur äußersten Belastungsgrenze gelaufen waren, gaben sie anschließend an, sich gut und gestärkt zu fühlen, auch wenn sie erschöpft waren. Nach dem fiktiven Bewerbungsgespräch fühlten sie sich hingegen unwohl. Die Konzentrationen der Stresshormone Cortisol und Noradrenalin waren in beiden Situationen ähnlich. Also suchten die Forscher nach einem anderen Biomarker.
Unter bestimmten Bedingungen findet sich DNA nicht im Zellkern, sondern frei in der Blutbahn. Das Team vom Lehrstuhl Genetische Psychologie zeigte, dass das auch unter Stress der Fall ist. Die Wissenschaftler wiesen außerdem nach, dass die zellfreie DNA, die bei körperlichem und psychosozialem Stress im Blut zirkuliert, aus unterschiedlichen Zelltypen stammte, denn sie besaß ein unterschiedliches Methylierungsmuster. Enzyme hängen bestimmte chemische Gruppen an die DNA an, um den Ableseprozess zu regulieren. Dieses Muster variiert je nach Zelltyp. Basierend auf dem Methylierungsmuster können die Forscher jedoch nicht direkt sagen, welche Zelltypen genau die Quelle sind.
Potenzieller zusätzlicher Stress-Kommunikationsweg
„Es könnte sein, dass es neben dem Hormonsystem einen zusätzlichen Stress-Kommunikationsmechanismus über zellfreie DNA gibt, den noch niemand versteht“, folgert Robert Kumsta. „Anscheinend will der Körper damit etwas bezwecken; aber wir wissen noch nicht was.“ Bislang haben die Forscher daher nur eine unbestätigte Hypothese, auf was für einen Mechanismus sie mit ihrer Studie gestoßen sein könnten. Sie könnten sich vorstellen, dass die zellfreie DNA eine Kommunikationsschleife zwischen Immunsystem, Muskeln und Gehirn bildet.
Die Theorie: Unter körperlicher Belastung könnten die Muskelzellen zellfreie DNA abgeben, um mit dem Immunsystem zu interagieren. Auch krankmachende Bakterien geben DNA ab, wenn sie in den menschlichen Körper gelangen, und das Immunsystem reagiert darauf. „Die körpereigene zellfreie DNA könnte ein Training für die Immunzellen sein“, vermutet Dirk Moser. „Sie werden sozusagen scharfgeschaltet, sobald sie DNA im System bemerken.“ Das könnte auch erklären, warum sich Sport förderlich auf das Immunsystem auswirkt. Zellfreie DNA aus Gehirnzellen hingegen könnte eine gegensätzliche Wirkung auf das Immunsystem haben und psychosozialer Stress unter gewissen Bedingungen Krankheiten fördern.
Quelle: Ruhr-Universität Bochum (idw)